Hamburg. Kontroverse Debatte über Koalitionsvertrag. Fraktionschef Lorenzen kritisiert designierten Verkehrsminister Wissing, lobt die Liberalen aber auch.
Noch ist die neue Bundesregierung gar nicht im Amt, aber das hält die Grünen-Fraktion in der Bürgerschaft nicht davon ab, gegen die Koalitionspartner zu sticheln. Er wolle keinen Hehl daraus machen, wie schmerzhaft sich der Start mit der FDP für die Grünen zum Teil gestaltet habe, sagte Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen in der Aktuellen Stunde.
Grüne knöpfen sich Wissing (FDP) vor
Millionen Tonnen CO2 würden „leichtfertig für einen verqueren Freiheitsbegriff auf deutschen Straßen unnötig und gefährlich verballert“. Die Grünen hatten sich mit einem generellen Tempolimit auf Autobahnen nicht durchsetzen können. Besonders scharf schoss Lorenzen gegen den designierten Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP).
Dieser mache sich „zum Anwalt von Blechbüchsen, anstatt die dringend nötige Mobilitätswende beherzt anzugehen und zu formulieren“, sagte Lorenzen. „Ich kann gerne, lieber Herr Wissing, ein Praktikum bei uns in der Mobilitätswendebehörde vermitteln, das hätten Sie anscheinend dringend nötig“, sagte Lorenzen etwas herablassend, um sich dann die SPD vorzunehmen.
„Ein geschäftsführender Bundesgesundheitsminister, der anscheinend schon aufgegeben hat, und eine ungeklärte Nachfolge sind kein guter Start“, sagte der Grünen-Politiker. Die SPD hat das Vorschlagsrecht für diesen Ministerposten. In Richtung des künftigen Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) sagte Lorenzen: „Sie werden Deutschland mit ruhiger Hand, für meinen Geschmack vielleicht manchmal zu ruhiger Hand, stark führen.“
Bürgerschaft: Grüne können FDP auch loben
Für die Legalisierung von Cannabis und den eingelegten „Turbo-Boost bei der Digitalisierung“ gab es vom Grünen-Fraktionschef jedoch auch Lob für den liberalen Koalitionspartner. Zudem bezeichnete Lorenzen das Bekenntnis zum 1,5-Grad-Ziel als „Meilenstein und eine Messlatte für diese neue Regierung“. Dennoch sei die Kritik der Umweltverbände und Fridays for Future auch berechtigt. „Jetzt ist es Aufgabe der Ampel-Koalition, Handlungsfähigkeit zu beweisen.“
Oppositionschef Dennis Thering (CDU) ging erwartbar hart mit der künftigen Ampel-Koalition ins Gericht und nahm den Zwist zwischen Grünen und FDP dankbar auf. „Noch ist die Bundesregierung nicht im Amt, aber der offene Streit ist schon ausgebrochen zwischen FDP und Grünen. Da werden wir noch einiges an Freude haben“, sagte Thering. Die Stimmung der absehbaren Partner sei schon jetzt im Keller. „Aber das kennen sie aus Hamburg“, fügte Thering mit Blick auf Differenzen in der rot-grünen Rathaus-Koalition hinzu.
„Es gibt keinen Grund für übertriebene Lobhudelei. Kümmern Sie sich um Ihre Aufgaben“, sagte Thering an die Adresse der künftigen Koalitionspartner gerichtet. Gleich zu Beginn hätte das Bündnis in spe mit der Aussetzung der epidemischen Notlage „das völlig falsche Signal“ angesichts stetig steigender Infektionszahlen ausgesendet.
Ampel-Bündnis: SPD verspürt Euphorie
Die fraktionslose Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein (FDP) lobte, dass der Koalitionsvertrag „geräuschlos und zügig“ vereinbart worden sei. „Er war auch alternativlos, denn CDU und CSU haben sich leider selbst aus dem Spiel genommen“, sagte die Liberale, die gegenüber dem Grünen-Fraktionschef milde blieb. „Mit Streitereien zwischen den Koalitionspartnern sollte man warten. Es geht ja gerade erst los.“
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SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf ließ sich die positive Stimmung nicht nehmen und nannte den Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP einen „Beleg für Fortschritt, Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung“. Es sei das richtige Bündnis für das Land. „Mit Olaf Scholz kommt der nächste Kanzler wieder aus dieser Stadt. Das ist ein gutes Zeichen“, sagte Kienscherf, der zudem auf mehrere inhaltliche „Impulse aus Hamburg“ wie die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro, die Kindergrundsicherung und die Ausbildungsplatzgarantie hinwies.
Bundesregierung: AfD zerlegt einfach alle
Mit harschen Worten kritisierte die AfD-Fraktion sowohl die Koalitionäre und den Koalitionsvertrag als auch die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). „Nach 16 Jahren Merkel-Regierung ist Deutschland zum Sanierungsfall geworden“, sagte AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann. Der im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition gezeichnete Weg würde den Weg in den wirtschaftlichen Abgrund und in die gesellschaftliche Spaltung ungebremst fortführen. „Dieser Vertrag enthält ein wenig Prosa, er enthält ein wenig Unverbindliches und Absichtserklärungen. Eins allerdings enthält er nicht, nämlich die großen Finanzfragen, die zu klären sind“, sagte der AfD-Fraktionschef.
Kein Lob für die Ampel-Verhandler gab es auch von Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus: „Der Koalitionsvertrag ist ein Dokument des kleinsten gemeinsamen Nenners, und den bestimmt zumeist die FDP, die mit sozialer Gerechtigkeit und Klimawende so viel zu tun hat wie Olaf Scholz mit Ehrlichkeit im Cum-Ex-Skandal.“ Zudem kritisierte Boeddinghaus die Wohnungspolitik der Ampel, die nicht den Mut habe, zum Beispiel durch die Einführung eines Bundesmietendeckels, „die Mietenexplosion zu stoppen“.