Hamburg. Die Anrufer zocken ältere Hamburger mit Lügengeschichten ab. Meist scheitern sie – doch schon ein „Erfolg“ lohnt sich.

Der Anruf kam kurz nach 16 Uhr. „Ich wollte gerade mit meinem Hund Gassi gehen und stand schon in der Tür, als das Telefon klingelte“, sagt Dr. Martin Hinsch (Name geändert). „Um die Zeit bekomme ich sonst keine Anrufe und dachte schon, dass es etwas Wichtiges ist, und bin hin zum Telefon.“ Vom anderen Ende der Leitung kam eine schluchzende, jugendliche Stimme: „Ich hab jemanden tot gefahren. Ich kann nicht mehr.“

Es sind wenige Worte, die Menschen völlig aus der Fassung bringen können. Schockanrufe nennt die Polizei diese Art von Betrug, der momentan massenhaft über die Telefonleitungen in Hamburger Wohnungen kommt. Immer wieder werden Menschen so verunsichert, dass sie unter Schock bereit sind, viel Geld zu zahlen, um einem geliebten und nahestehenden Menschen in einer vermeintlichen Notlage zu helfen.

Telefon-Betrüger: Viele Schockanrufe in Hamburg

„Die Zahl der Fälle geht gerade wirklich durch die Decke“, sagt der Leiter des Landeskriminalamtes, Mirko Streiber. „Bei der ganz überwiegenden Masse bleibt es beim Versuch.“ Allerdings ist die Beute bei den Fällen, in denen die Täter „erfolgreich“ sind, so hoch, dass es sich für sie lohnt, selbst wenn nur einer von 100 Angerufenen auf die Masche hereinfällt. Neu bei den Schockanrufen ist, dass die Opfer nicht mehr die ganz betagten Hamburger sind, denen häufig eine gewisse „Tüddeligkeit“ unterstellen. Der aktuelle Fall zeigt, dass selbst Menschen, die noch mitten im Leben stehen – wie der Mediziner – Opfer werden können.

Der 74-Jährige, der noch aktiv als Arzt arbeitet, beschreibt die Situation so: „Ich dachte, dass ich meinen Enkel gehört hatte. Er hat seinen Führerschein tatsächlich erst seit drei Monaten“, sagt er. „Für mich war das eine schlimme Situation. Ich habe mir Sorgen gemacht, befürchtet, dass ihn so ein Unfall sein Leben lang verfolgt, er nie wieder glücklich wird.“ Was folgte, war eine professionelle Gesprächsführung, die dem Arzt so geschickt Details entlockte, dass er tatsächlich glaubte, der vermeintliche Beamte am anderen Ende der Leitung habe Kenntnisse, die nur von seinem Enkel stammen konnten. „Ich habe dann irgendwann gefragt, ob das ein blöder Scherz ist“, sagt der Arzt. „Da bin ich sofort angefaucht worden.“

„Ich stand unter einem gewaltigen Schock“

„Glauben Sie, mit solcher Sache macht man Scherze? Wenn Sie das Wort Scherz noch einmal benutzen, lege ich sofort auf. Sie können sich ja vorstellen, was dann mit Ihrem Enkel passiert“, habe der Anrufer gesagt. Dann ließ der vermeintliche Polizist die Katze aus dem Sack. „Ich hatte gefragt, was ich jetzt tun soll“, so der Arzt. „Mir wurde gesagt, dass ich eine Kaution stellen kann, damit mein Enkel nicht ins Untersuchungsgefängnis muss. Der vermeintliche Polizist sagte auch, dass bei einem vergleichbaren Fall in Berlin die Tat als Mord gewertet worden und eine Kaution in Höhe von 80.000 Euro nötig sei.“

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Dazu wurde weiter Druck aufgebaut. Es sei nur noch wenig Zeit, um Geld, ersatzweise Schmuck, beim Amtsgericht abzugeben. „Im Nachhinein fragt man sich natürlich, ob so etwas überhaupt gehen kann“, sagt der Arzt. „Man sagt sich mit etwas Abstand, dass man eigentlich doof gewesen ist, und man hätte dezidierter nachfragen müssen. Aber ich stand unter so einem gewaltigen Schock, dass sich nur noch alles um meinen Enkel drehte und mein ganzes Denken darauf fokussiert war, wie ich ihm helfen kann.“

Telefon-Betrug in Hamburg: Hintermänner sitzen oft in der Türkei

Auch der Versuch, noch einmal mit dem Enkel zu sprechen, sei geschickt abgewendet worden. „Als ich nach ihm fragte, sagte man mir, dass er nur noch heult und jetzt bei einer Psychologin sei.“ Zur Geldübergabe kam es jedoch nicht. „Ich habe dann irgendwann geschaltet“, sagt der Arzt. Als er dann bei seiner Schwiegertochter war, die ganz in der Nähe wohnt, kam die Gewissheit, dass die ganze Geschichte nicht stimmen konnte.

Sein Enkel war zu Hause und saß in der Badewanne. Der Versuch, Polizisten zu informieren und die Täter in eine Falle zu locken, scheiterte jedoch, da auch der Anrufer die Finte witterte. Er legte auf. „Im Nachhinein muss ich feststellen, dass der Anrufer unheimlich geschickt war und jede meiner Bemerkungen genutzt und in das Gespräch eingebaut hat. So hat er mir das Gefühl gegeben hat, dass die Situation real ist“, sagt der Arzt.

Die Hintermänner solcher Taten sitzen in der Regel im Ausland, oft in der Türkei. Sie sind für die Hamburger Polizei nahezu unerreichbar. Daher setzt man auf Prävention. „Bekommt man so einen Anruf, sollte man möglichst schnell wieder auflegen und im Zweifelsfall selbst bei der Polizei anrufen“, sagt Streiber. Der LKA-Chef hofft, dass es bald mehr Möglichkeiten im Kampf gegen die „miese Masche“ gibt. Streiber: „Es gibt Gespräche mit der Türkei, um zu erreichen, dass die erbeuteten Gelder abgeschöpft werden und zurückfließen.“