Hamburg. Biontech am Bass und Moderna mit Musik: Großer Andrang beim Impfen im Konzerthaus. Hunderte Meter lange Schlange.

Manchmal muss man groß denken: Kleinkarierte jedenfalls hätten keine Elbphilharmonie gebaut und Kleingeister keinen mRNA-Impfstoff entwickelt. Anfang der 2000er-Jahre teilten Politik und Gesellschaft in Hamburg den Traum, ein neues Wahrzeichen zu errichten.

Und Anfang 2020 – Experten hielten Corona damals für ein chinesisches Problem – teilten die beiden Mainzer Forscher Ugur Sahin und Özlem Tureci den Traum, mit ihrem Unternehmen Biontech durch das Projekt Lightspeed die Welt zu verändern. Beide Träume wurden Wirklichkeit: Die Elbphilharmonie 2017, der Impfstoff Comirnaty im Dezember 2020. Insofern lag die Idee nahe, das Hamburger Konzerthaus in ein Impfzentrum zu verwandeln.

Corona Hamburg: Hunderte Meter lange Schlange vor der Elbphilharmonie

„Wir wollten die Stadt mobilisieren“, sagt Jochen Margedant, kaufmännischer Geschäftsführer der Elbphilharmonie. Was klein mit einer internen Impfung im Sommer begann, wuchs am Montag zur größten Impfaktion in Hamburg seit Schließung der Impfzentren.

Hunderte Menschen standen  in einer langen Schlange zur  Impfaktion in der Elbphilharmonie an. Zeitweise warteten mehr als 400 Personen.
Hunderte Menschen standen in einer langen Schlange zur Impfaktion in der Elbphilharmonie an. Zeitweise warteten mehr als 400 Personen. © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Die ersten Freiwilligen fanden sich schon Stunden vor dem Start am Container auf dem Vorplatz ein – gegen Mittag wand sich eine Hunderte Meter lange Schlange vom Konzerthaus über die Niederbaumbrücke, Vorsetzen und die Flutschutztreppen weiter bis Richtung Landungsbrücken. Gegen 14.30 Uhr standen 400 Menschen an, erst im Laufe des Nachmittags lichtete sich die Reihe etwas.

Schlange stehen für den Piks in Hamburgs schönstem Wartezimmer

Torben Diekmann wartete fast zwei Stunden, bevor er sich am Impfcontainer eine Zugangskarte und ein Armbändchen abholen kann. „Ich bin selbst Musiker“, sagt der junge Hamburger. „Die Pandemie dauert schon viel zu lange.“ Ein buntes Volk hat sich an der Elbphilharmonie eingefunden, Ältere wie Jüngere, Mütter mit Kinderwagen, komplette Familien und Gruppen. Daniel Friese ist mit zwei Freunden gekommen, um sich die Wartezeit zu verkürzen. Nach seiner Johnson&Johnson-Impfung im Sommer holt er sich nun die Auffrischung. „Die Impfung schützt mich und andere“, sagt er.

Die Aussicht stimmt: Eine Ärztin zieht eine Spritze mit Impfstoff auf.
Die Aussicht stimmt: Eine Ärztin zieht eine Spritze mit Impfstoff auf. © Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Es ist schon die dritte öffentliche Impfaktion in der Elbphilharmonie, clever als „Hamburgs schönstes Wartezimmer“ beworben. Anfang September kamen rund 850 Menschen, Anfang Oktober sogar 933 Personen an den Platz der Deutschen Einheit. Auf dem Programm standen Klassiker: Biontech, Moderna und Johnson & Johnson.

Impfen in der Elbphilharmonie und ein Blick hinter die Kulissen

Anfänglich lockte viele der Ort: Geimpft wird in den Künstlergarderoben im 11. und 12. Stock der Elbphilharmonie – der Zufall entscheidet, wie opulent die Impfkabine ausfällt. Wer Glück hat, staunt über den Flügel im Zimmer und blickt auf die Stadt, andere müssen sich den Piks in einem unspektakulären Innenraum geben lassen. Der Blick hinter die Kulissen fasziniert alle – nach der Impfung geht es auf den Spuren der Musiker durch den Backstage-Bereich auf die Bühne des Großen Saals. Hier dürfen die Hamburger rund 15 Minuten ausruhen, bevor sie ihren Impfpass zurückerhalten. Manche nutzen die Gunst der Stunde, stellen sich ans Dirigentenpult und schießen ein Selfie.

In diesem Pandemie-November steht bei vielen aber mehr die Pflicht denn die Kür im Mittelpunkt. Die Angestellten der Elbphilharmonie haben in einem Kraftakt kurzfristig ihre Kapazitäten hochgefahren – nun empfiehlt die Stiko jedem die Impfung, dessen erste Immunisierung mindestens sechs Monate zurückliegt. Statt acht Ärzten sind nun 24 Ärzte im Einsatz, in 17 Kabinen wird im Fünfminutentakt das Vakzin verabreicht.

Viele Mitarbeiter der Elbphilharmonie, ob Produktionsleiter oder Kassenkräfte, helfen beim Empfang oder Einweisen, leisten Überstunden. „Wir haben heute Menschen erreicht, die vorher noch nie in der Elbphilharmonie waren“, sagt Margedant. „Wir sind ein Haus für alle.“ Der Blick auf die Impflinge, die da auf der Bühne sitzen, wischt die letzten Zweifel an diesem Anspruch locker weg.

Mit mobilem Impfen wird eine andere Klientel erreicht

„Ich rechne heute mit mehr Boosterimpfungen“, sagt Christina Wulf, ärztliche Leitung mobiles Impfen, am Nachmittag. Sonst würden bei mobilen Impfangeboten rund ein Drittel Erstimpfungen, ein Drittel Zweitimpfungen und ein Drittel Auffrischungsimpfungen verabreicht. Noch immer, so Wulf, träfen die Ärzte auf Menschen, die bis zuletzt gewartet hätten. „Nun spüren sie einen gewissen sozialen Druck.“

Wulf kommt derzeit viel in der Hansestadt herum: Sie hat in der Wunderbar auf dem Kiez geimpft, in einem Irish Pub, am Millerntor-Stadion und in der Elbphilharmonie wie in den Stadtteilen. „Das Besondere am mobilen Impfen ist, dass wir stets mit besonderen Menschen zu tun haben – es ist immer anders.“ Inzwischen spürt sie einen massiven Nachfrageschub: Bei einem Termin im Shoppingzentrum warteten plötzlich 700 Personen, sagt Wulf. Und sie ermuntert ausdrücklich jeden zu kommen, auch Fragen zu stellen und Sorgen zur Impfung zu teilen: „Wir freuen uns über jede Erstimpfung!“

Die Aktion lief bis in den späten Abend. Die letzten Personen verließen die Bühne des Großen Saals gegen 22.50 Uhr. Insgesamt konnten 2231 Hamburger gegen Corona geimpft werden. "Die verabreichten Injektionen waren etwa zu je einem Drittel Erst-, Zweit- und Booster-Impfungen", sagte Tom R. Schulz, Pressesprecher der Elbphilharmonie.

Angesichts der vierten Welle nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Deutschland benötigt viele weitere ungewöhnliche Impf­orte, ungewöhnliche Impfzeiten, ungewöhnliche Impfangebote. Gerade in Pandemien muss man groß denken.