Hamburg. Louise Brown hat ihre Arbeit in einem Buch verarbeitet. Sie setzt sich seit dem Tod ihrer Eltern intensiv mit dem Thema auseinander.
Wenn Louise Brown nach ihrem Beruf gefragt wird, verstehen manche Zuhörer akustisch zunächst „Power-Rednerin“ und halten sie für eine Art weiblichen Coach. So ganz falsch ist das nicht – obwohl die 46-Jährige tatsächlich Trauerrednerin ist. Auch in dieser Funktion muss sie vergleichbare Arbeit leisten, zum Beispiel Menschen aufbauen und bestärken, ihre besonderen Themen in Gesprächen heraushören – und vieles mehr.
„Power-Rednerin wäre tatsächlich keine schlechte Beschreibung für eine Aufgabe, die sehr viel Kraft braucht“, sinniert Louise Brown beim Treffen auf dem Friedhof Stiller Weg. „Kraft, um mit den Hinterbliebenen mitfühlen zu können, ohne von ihren Gefühlen erdrückt zu werden, Kraft auch, um den Schmerz der Hinterbliebenen auffangen zu können, ohne selbst davon aufgefressen zu werden.“
Hamburger Trauerrednerin erlebte persönlichen Verlust
Louise Brown, geboren in London, aber seit vielen Jahren im Hamburger Westen zu Hause, hat über ihren Beruf, zu dem sie sich nach wie vor berufen fühlt, jetzt ein Buch geschrieben: „Was bleibt, wenn wir sterben?“ Brown ist eigentliche Journalistin. In ihrer Kindheit und Jugend hatte der Tod nie eine besondere Rolle gespielt – er schien weit entfernt zu sein. Dann starben kurz hintereinander ihre Eltern, und das Thema wurde plötzlich sehr präsent. Die recht distanzierte Rede eines Pastors ließ sie eher nachdenklich als getröstet zurück, und ihr neuer Berufsweg begann sich abzuzeichnen.
Irgendwann wurde Brown klar: Sie hatte dem Geistlichen zwar viel berichtet, aber zu wenig Persönliches. Die heiter-melancholischen Erinnerungen fehlten, das Bild konnte gar nicht rund werden. Eine gute Trauerrede müsse wie ein Echo dessen sein, was die Hinterbliebenen der Rednerin oder dem Redner gesagt haben, ist Brown heute sicher.
Trauergespräche: Bei Louise Brown muss alles stimmen
Louise Brown ist eine zierliche Frau, die sensibel, fast zerbrechlich wirkt, aber eine starke Ausstrahlung hat. Aus ihrer Arbeit konnte eine Fülle interessanter Erkenntnisse ziehen, die für viele Trauernde, aber eben auch für sie selbst hilfreich sind. Dazu gehört vor allem das Wissen, dass und wie stark Trauer individuell erlebt wird. „Es gibt keine zeitliche Begrenzung dazu, wann eine Trauerphase endet“, weiß sie heute, und: „Auch ,Trauer-Veteranen’, also Menschen, die schon viel Lied erlebt haben, können von Verlusten immer wieder neu und immer wieder schwer getroffen werden.“
Zur Vorbereitung gehöre es, bei Trauergesprächen zu erfühlen, ob nicht irgendein wichtiger Aspekt vergessen wurde, der in der Rede unbedingt Erwähnung finden muss. Auch sonst nimmt sie ihre Arbeit ernst, von der gepflegten, deutlichen Aussprache bis zu den geputzten Schuhen muss alles stimmen. „Das ist an einem solchen Tag, an dem ja fast immer letztmalig öffentlich über einen verstorbenen Menschen gesprochen wird, ungeheuer wichtig.“
Tiefer Respekt für Lebensleistungen der Verstorbenen
Mit Neugier und Aufgeschlossenheit lauscht sie den langen Lebensgeschichten, die Angehörige schildern, und sehr oft empfindet Brown tiefen Respekt für die Lebensleistungen der Verstorbenen. Das seien zum Beispiel die Menschen, „die mit einem Kind auf den Armen durch eine brennende Stadt laufen mussten, um sich in Sicherheit zu bringen“, schreibt sie in ihrem Buch. „Oder als Teenager an die Front geschickt wurden und dann als Männer aus dem Kampf zurückgekehrt sind. Menschen, die nach dem Krieg fliehen und alles Vertraute zurücklassen mussten.“
Auf dem Rückweg von Trauergesprächen habe sie sich oft gefragt, wie diese Menschen ihr Schicksals ausgehalten haben, sagt Brown. „Sie haben mir gezeigt, dass mancher Berg, der einem vorerst unbezwingbar erscheint, sich als Hügel entpuppen kann, den man zu meistern vermag“, schreibt Brown. „Es sind die Hindernisse, denen wir im Leben begegnen, und unsere Kraft, diese zu ertragen oder zu überwinde, die uns als Menschen definieren.“
Trauerrednerin in Hamburg: Feiern „ohne Schnickschnack“
Lächeln, mitunter sogar Lachen unter Tränen – auch das hat die Mutter zweier Kinder bei Trauerfeiern oft erlebt – und entsprechend Begebenheiten im Buch versammelt. Mal knallte eine Eichel von einem Baum mit weithin hörbarem „Klong“ genau auf eine soeben versenkte Urne, mal berichtete sie in einer Rede von einer über 90-Jährigen, die einige Monate zuvor ihren Rollator beiseite gestellt hatte, um einmal einen Kickroller auszuprobieren. Das ist es, was Brown als besonders wichtig für das Gelingen eine Rede definiert – gerade in Hamburg: Ganz klassisch-feierlich „ohne Schnickschnack“ eine Lebensgeschichte zu erzählen, aber dabei eben auch einige „moderne“ Schilderungen einzubauen, die das ganz Individuelle des verstorbenen Menschen für alle sichtbar machen.
Es gibt kein Rezept für eine hundertprozentig gelungene Trauerrede, weiß Louise Brown, aber es gibt Hinweise darauf, dass sie ziemlich gut gelungen ist. Wenn Angehörige hinterher sagen, dass sie die Anwesenheit des verstorbenen Menschen während der Rede gespürt hätten, ist das ein solcher Hinweis.
Das Buch stimmt nicht traurig, sondern sorgt eher für zuversichtliche Stimmung. Brown selbst nennt es dann auch „eine Liebeserklärung an das Leben“.