Hamburg. Björn Kranefuß ist Seelsorger am Hamburger Flughafen. Ein Gespräch über Trauer, Trauungen und eine besondere Segnung.
Er ist der Pastor mit der – mit großem Abstand – größten und buntesten Gemeinde Hamburgs: Björn Kranefuß ist seit 20 Jahren Flughafenpastor am Hamburg Airport. 16 Millionen Reisende, 8 Millionen Besucher und 15.000 Mitarbeiter zählen zu seinem Wirkungskreis. Ein Gespräch über Leben und Tod, die Segnung von Flugzeugen, den Klimaschutz, Chorgesang im Terminal – und Traumjobs beim HSV.
Check-In: Flughafenpastor Björn Kranefuß über Taufen
Mich hat tatsächlich kürzlich eine ehemalige Flughafenmitarbeiterin, die mittlerweile in Portugal lebt, gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, ihre Tochter zu taufen. Ich habe dann meinen Talar per Post dorthingeschickt und bin hinterhergereist. Und dann haben wir eben in einer ganz kleinen Kirche in den Bergen an der Algarve in einer katholischen Kirche (ich bin evangelisch ...) eine zweisprachige Taufe gefeiert. Das war sehr berührend, weil eben die Familienmitglieder beteiligt waren, auch mit Übersetzen.
… Trauungen:
Ich habe schon mehrere Trauungen am Flughafen vollzogen – auch von Flughafen-Mitarbeitern untereinander. An eine Trauung erinnere ich mich besonders: In dem Fall ist die Braut nach dem Jawort in Ohnmacht gefallen. Und dann konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, dass sie schon Ja gesagt hatte.
Es war ein Schock für alle Beteiligten, aber hinterher stellte sich heraus, dass die Aufregung und ein Virus verantwortlich für die Ohnmacht waren. Schließlich konnten wir aber die Trauung ganz normal fortsetzen, und es war noch eine schöne Hochzeit.
… Trauer:
Kurz bevor ich heute Morgen hierherkam, erhielt ich einen Anruf. Es war ein eine Frau am Telefon, die erzählte mir eben, dass eine nahe Angehörige von ihr im Ausland auf gewaltsame Weise ums Leben gekommen ist. Nun reist der Lebenspartner der Toten allein zurück nach Hamburg und wird von der Familie in Empfang genommen. Die Frau am Telefon konnte sich überhaupt nicht vorstellen, wie das gehen soll – im Empfangsbereich des Flughafens, wo Menschen stehen, die sich freuen auf ihre Angehörigen, dass sie wieder da sind.
Sie suchte Unterstützung, und da fiel ihr glücklicherweise der Flughafenpastor ein. Tatsächlich gibt es für solche Situationen, die ich immer wieder erlebe, einen Raum am Flughafen, ein geschützter Raum der Stille.
… den Raum der Stille am Flughafen:
Er ist eins der am besten gehüteten Geheimnisse des Flughafens: Er liegt sehr versteckt im Terminal 1. Wenn Sie also die Koffer abgegeben haben und dann noch eine Ebene höher gehen, sehen Sie ja vor allem die Reisebüros. Und hinter den Reisebüros gibt es dann zunächst einen muslimischen Andachtsraum. Dann kommt unser christlicher Andachtsraum. Die Verschwiegenheit hat den Vorteil, dass man auch aus der Hektik des Flughafens raus ist. Und so ist er auch gedacht – als Oase der Ruhe.
… gesegnete Reisen:
Bei mir rief eines Tages eine Mutter an: Ihre Tochter werde nach Südamerika reisen und dort ihren Vater zum ersten Mal treffen. Es war also eine ganz besondere Reise. Ganz allein. Und deshalb hat sich die Mutter überlegt: Da wäre ein Segen für die Reise doch eine gute Sache. Und deshalb kam die junge Frau am Abreisetag zu mir. Wir hatten am Telefon vorher miteinander gesprochen. Ich legte die Hände auf. Ich segnete sie, sprach ein Bibelwort zu ihr, und wir beteten zusammen das Vaterunser. Danach konnte sie sich mit Kraft auf ihre Reise begeben. Später hat sie mir berichtet, dass die Begegnung mit dem Vater zwar schwierig, aber am Ende für sie ein wichtiger Entwicklungsschritt war.
… Schnitzeljagd im Andachtsraum:
Was ich schön finde, ist, dass man als Kirche hier auch Dinge ausprobieren kann. Wir haben im Andachtsraum einen Geocache – das ist so eine Schnitzeljagd auf modern, mit GPS und Smartphone sucht man Schätze. Und wir haben so eine Schatzkiste an unserem Andachtsraum. Hier kommen Geocacher hin und lösen Aufgaben, hinterlegen kleine Gegenstände, die dann von hier aus auf Reisen gehen. Ihre Besitzer können im Internet sehen, wo ihr Schatz gerade ist. Die Gegenstände treten im Grunde eine symbolische Weltreise für sie an. Und wir haben mit dem Geocache auch einen Preis gewonnen.
- Der Mann, dem die Piloten folgen
- Man muss als Fluglotse kein Überflieger sein
- Der Mann, der alle Flughafen-Passagiere im Blick hat
- Max Kownatzki: Der Airline-Chef, der selber fliegt
… seinen Lieblingsort am Flughafen:
Mein Lieblingsort am Flughafen ist das Top Deck. Das ist im Terminal 2, über der Gastronomie: Das ist ein Ort, an dem man aufs Vorfeld hinausschauen kann und gleichzeitig auch ins Terminal hineinblickt. Da ist man so ganz mit beiden Welten verbunden, draußen und drinnen. Dort haben wir schon mehrfach Himmelfahrt-Gottesdienste gefeiert.
...den Flughafen-Chor:
Die HAM Singers habe ich vor neun Jahren auf Anregung einer Kollegin am Flughafen gegründet. Wir hatten in den Vor-Corona-Zeiten 60 Sängerinnen und Sänger. Derzeit sind wir 40. Im Chor sind viele Flughafen-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter, aber wir haben auch Sängerinnen und Sänger aus der Nachbarschaft des Flughafens. Zur Weihnachtszeit lädt der Flughafen seine Mitarbeiter in den Michel ein, und wir singen dort.
Der zweite Auftritt findet in der Regel als Überraschungsauftritt im Terminal statt. Wir singen im Ankunftsbereich: Dort, wo die Menschen auf ihre Freunde und Angehörigen warten, ertönt dann Weihnachts- und Popmusik, und wir sehen in die überraschten Gesichter. Das ist schon sehr, sehr besonders. Inzwischen habe ich übrigens auch noch einen HSV-Chor gegründet.
… Traumberufe als Kind:
Erst Fußballprofi, dann Fußballreporter, dann Fußballtrainer, dann Pastoralpsychologe beim HSV.
… Kritik an seiner Rolle:
Meine Position wird in der Kirche auch durchaus kritisch diskutiert. Insbesondere die evangelische Nordkirche engagiert sich stark klimapolitisch. Und da gibt es immer wieder Stimmen, die fragen: Warum machen wir das am Flughafen? Ich finde, das muss man auch immer diskutieren. Im Zuge der Diskussion um den Klimawandel ist der Flughafen in den Fokus gerückt ist. Früher war es ein unumstrittener Ort der Begeisterung – heute muss man sich dafür rechtfertigen, dass man das Flugzeug benutzt.
Da hat sich viel verändert. Ich sehe das auch in mir selbst: Einerseits fühle ich mich nach wie vor zum Flughafen hingezogen und berufen. Ich möchte für die Menschen hier da sein. Und gleichzeitig stelle ich mir natürlich auch kritische Fragen und möchte auch meinen Beitrag leisten, die Menschen und die Welt zu schützen. Aber man darf die Welt auch nicht schwarz-weiß malen.
… die Segnung von Flugzeugen:
Das machen wir als evangelische Kirche natürlich nicht. Aber bei der katholischen gibt es das durchaus. Ich musste schon ein paarmal den katholischen Pfarrer aus Niendorf um Hilfe bitten, als philippinische Piloten bei Airbus eine neue Maschine abholen wollten. Sie wollten mit dem Flugzeug nicht starten, ehe ein Priester es gesegnet hat.