Hamburg. Joachim Pawlik erklärt, wie sich die Rolle der Chefs verändert hat und was eine Präsenzpflicht im Büro über Vertrauen aussagt.

Geht die Zeit der autoritären, ständig sendenden und vor allem auf sich fixierten Chefs zu Ende? Joachim Pawlik, Inhaber einer Hamburger Unternehmensberatung mit 300 Mitarbeitern und Ausrichter des jährlichen Pawlik Congresses, ist genau davon überzeugt. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht er über die „neue Empathie“, die von Führungskräften in der „neuen Arbeitswelt“ erwartet wird, und die ihr (Selbst-)Bild völlig verändern dürfte.

Das sagt Joachim Pawlik über …

… seine erstaunliche Karriere:

Ich habe das Unternehmen vor 25 Jahren als Einzelkämpfer gegründet, nachdem ich in meinem Abi-Jahrgang mit einer Note von 3,7 der Schlechteste gewesen war und mein Studium der Betriebswirtschaftslehre nach drei Semestern abgebrochen hatte. Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich eines Tages Chef einer weltweit tätigen Beratungsfirma mit 300 Mitarbeitern sein würde, ich hätte ihm nicht geglaubt.

Ursprünglich wollte ich Fußball-Profi werden, blieb aber auch da letzten Endes erfolglos. In der 2. Liga beim FC St. Pauli durfte ich mich gerade mal warmlaufen. Dieser Start hat mich geprägt, und deshalb habe ich irgendwann angefangen, mich damit zu beschäftigen, wie man Karriere macht.

… die Chefs von früher:

Früher musste man als Führungskraft dem Job alles unterordnen, und hat das auch gern, fast schon selbstverständlich getan. Wer 70 Stunden in der Woche gearbeitet hat, signalisierte: Ich mache Karriere. Das ist heute vorbei. Trotzdem glaube ich, dass man auch im Jahr 2021 nur nach oben kommen kann, wenn man sich bedingungslos fokussiert.

… die neue Arbeitswelt, die Managern alter Schule Angst macht:

Wir haben es den Mitarbeitern freigestellt, wann sie arbeiten und von wo aus sie arbeiten, meinetwegen müssen sie auch gar nicht in Deutschland sein. Ich habe in der Corona-Zeit, also in den vergangenen anderthalb Jahren, die Erfahrung gemacht, dass die Produktivität deutlich gestiegen ist, auch deshalb habe ich überhaupt nichts gegen Homeoffice. Ich weiß aber, dass gerade Manager der alten Schule, die stärker über Kontrolle und Autorität führen, das generell doof finden.

Diese Einstellung dokumentiert, dass diese Führungskräfte wenig Vertrauen in ihr Team haben. Sie glauben, dass die Firma besser funktioniert, wenn die Leute Druck empfinden und kontrolliert werden, was Quatsch ist. Wenn man einen Chef hat, der nach der Pandemie deshalb alle Mitarbeiter wieder ins Büro holen will, ist das kein gutes Zeichen für die Unternehmenskultur. Vertrauen bekommt man nur zurück, wenn man vertraut.

… Widerspruch:

Wenn Leute einer Führungskraft nicht mehr widersprechen, kann das nur zwei Gründe haben: Entweder trauen sie sich nicht, oder sie haben abgeschlossen mit der Firma. Beides ist nicht gut. Nur dort, wo Leute sich als Teil eines Unternehmens sehen, an dessen Erfolg interessiert sind und das Gefühl haben, ihre Arbeitsleistung trägt zum Erfolg bei gibt es Rückmeldungen. Wenn ein Chef keinen Widerspruch mehr bekommt, sollte er sich fragen, ob er noch an der richtigen Stelle ist – auch, weil so ein passives Verhalten am Ende das Ergebnis seiner Führung ist.

… die Zeit der Manager alter Schule, die zu Ende geht:

Wenn die neue Generation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Mehrheit ausmacht, und das wird in ein paar Jahren so sein, orientiert sie sich nicht an den Managern alter Schule. Die neue Generation sucht sich ihre eigenen Vorbilder, sie will vielleicht nicht einmal Chef werden. Dinge wie Einzelbüros, Dienstwagen, Mitarbeiter ist ihr nicht mehr wichtig. Viele junge Menschen sind heute extrem selbstbewusst. Jeder hat eine eigene Vorstellung davon, wie sein Leben funktioniert. Sie suchen keinen Chef, an dem sie sich orientieren.

Die Älteren müssen lernen, dass die Generation andere Ansprüche stellt: dass sie einerseits an einer Work-Life-Balance interessiert ist, andererseits aber uneingeschränkt mitreden will. Das wirkt auf viele Manager alter Prägung absurd und trifft oft auf Unverständnis. Empathie für Gleichgesinnte zu entwickeln ist leicht. Wenn es um andere Lebensent­würfe geht, wird es aber schwer. Man muss als älterer Chef nicht so leben wie die neue Generation, aber man muss sie verstehen. Was nicht für jeden leicht ist. Am wenigsten für jene, die mit Eigenschaften wie Kaltblütigkeit, Selbstzentriertheit und einer gewissen Härte gegen sich selbst nach oben gekommen sind.

… empathische Manager:

Empathische Manager hatten es in der Vergangenheit nicht immer leicht, nach oben zu kommen. Denn Empathie verlangsamt, sie lässt einen auch mal zweifeln. Bis jetzt war es so, dass Menschen die größte Karrieren gemacht haben, die selbstbewusst wirken, nicht die, die selbstbewusst sind. Eine Grundüberheblichkeit im Auftreten hat sich oft durchgesetzt, weil andere in ihrem Umfeld dachten: Der oder die weiß, wo es langgeht, deshalb folgen wir. Ich glaube, so hat das funktioniert. Zweiflern folgt man nicht. Dabei sind das oft diejenigen mit der höchsten intellektuellen Kompetenz.

… die neue Rolle von Chefs, die viel mehr loben als kritisieren müssen:

Führungskräfte haben nicht mehr die Lösungsallmacht. Das können sie bei der Komplexität der Aufgaben auch gar nicht mehr. Sie sind verantwortlich für die Prozesse, die zu einer Lösung führen. Dabei müssen sie alles dafür tun, dass ihre Mitarbeiter besser werden. Man muss nicht vorneweg laufen, sondern auf die Menschen zugehen. Ich muss als Chef Rückmeldungen geben, wo die Leute stehen.

Sie müssen die Chance haben, auf ihrem Weg von meinen Erfahrungen zu profitieren. Und dann gilt: fünfmal loben, einmal kritisieren. Da kommt zwar kaum einer hin. Aber wenn man dieses Verhältnis von Lob und Kritik nicht zumindest annähernd erreicht, bekommt man niemals eine vertrauensvolle Zusammenarbeit hin. Wer zu viel kritisiert, dem folgt man nicht. Das muss man wissen. Viele Chefs verlernen das Loben übrigens auch, weil sie selbst so selten gelobt werden.

… ein Beispiel für Wertschätzung:

Ich mache mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Moment gern Zoom-Konferenzen, eine Viertelstunde lang. Und wenn die dann fragen, worum es geht, sage ich: Ich will nur wissen, wie es dir geht.

… Authentizität:

Ich kann mit dem Begriff nichts anfangen. Freundlicher Service, der nicht authentisch ist, ist mir zum Beispiel deutlich lieber als authentische Unfreundlichkeit. Ob ein Chef sich authentisch fühlt oder es ist, interessiert mich eigentlich nicht. Er hat eine Dienstleistungsfunktion gegenüber den Mitarbeitern, er muss sie besser machen. Wer das nicht mag, muss entweder den Job aufgeben oder lernen zu schauspielern, bis er sich damit irgendwann wohlfühlt.

… die Frage, ob der Chef ein eigenes Büro hat:

Ich habe ein schönes Einzelbüro. Aber dieses, mein Büro, ist für alle Kollegen als Treffpunkt oder Rückzugsmöglichkeit buchbar. Das Chefbüro ist jetzt Besprechungsraum für alle Mitarbeiter.

Der Fragebogen: Warum Barack Obama noch nie als Redner kam

Was wollten Sie als Kind werden und warum?

Astronaut.

Was war der beste Rat Ihrer Eltern?

Meine Eltern haben mir beruflich alle Freiheiten gelassen, mich zu entwickeln. Dabei gaben sie mir aber einen Rat mit: „Egal, was du machst. Wenn du es machst, dann mach es richtig. Mit vollem Einsatz.“ Also keine halben Sachen.

Wer war beziehungsweise ist Ihr Vorbild?

Es gibt viele Persönlichkeiten, von denen ich einzelne Dinge mitnehmen kann. Die eine Person als Vorbild habe ich aber noch nicht gefunden.

Was haben Ihre Lehrer über Sie gesagt?

Wenn sie mich gesehen haben, nichts Gutes. Eines der Male, an denen ein Lehrer direkt etwas an mich adressiert hat, war der Schulleiter bei der Übergabe des Abis mit den Worten: „Herzlichen Glückwunsch, das war das schlechteste Jahrgangsabitur, das ich übergeben darf.“

Wer waren Ihre wichtigsten Förderer?

Meine Eltern.

Auf wen hören Sie?

Auf meine Frau.

Was sind Eigenschaften, die Sie an Ihren Chefs bewundert haben?

Ich habe es bewundert, wenn Menschen mit Selbstvertrauen eine Idee für die Zukunft haben und sie mit Demut angehen. Das hat mir immer das Gefühl gegeben, mitmachen zu können und Teil der Erfolgsgeschichte zu sein.

Was sollte man als Chef keinesfalls tun?

Man sollte sich nicht für unersetzlich halten oder überheblich und arrogant sein.

Was sind die Prinzipien Ihres Führungsstils?

Ich glaube grundsätzlich, dass jeder versucht, das Beste zu tun. Und wenn es ihm nicht gelingt, dann hat er sich trotzdem bemüht, es richtig zu machen. Auf diese wohlwollende Haltung kommt es mir an, auf diese Romantik gegenüber Mitarbeitern. Den anderen zu unterstützen, auch wenn es mal länger dauert. Das ist ein wichtiger Teil der Unternehmenskultur bei PAWLIK Consultants.

Wie wichtig war/ist Ihnen Geld?

Ich habe kein Verhältnis zu Geld. Für mich ist es lediglich ein Werkzeug, um frei zu sein und souverän zu agieren.

Was erwarten Sie von Mitarbeitern?

Ich wünsche mir Leute, die morgens von selbst mit Puls aufstehen. Grundsätzlich habe ich keine Lust, Mitarbeiter zu motivieren. Wenn sie dann Verantwortung übernehmen, für alles, was in ihrem Umfeld passiert, dann bin ich glücklich.

Worauf achten Sie bei Bewerbungen?

Ich finde es unerträglich, die Erfolgsstorys in den Bewerbungen zu lesen. Bei jeder zweiten Bewerbung habe ich den Eindruck, dass könnte der nächste Bill Gates oder Kanzler sein. Deshalb konzentriere ich mich sehr darauf, Konflikte, Krisen und Fehler zu entdecken, weil deren Überwindung aus meiner Sicht die wahre Qualität von Mitarbeitern ausmacht.

Duzen oder siezen Sie?

Das ist mir völlig egal.

Was sind Ihre größten Stärken?

Ich habe irgendwann entdeckt, dass ich ganz gut mit Menschen umgehen kann. In Menschen die Potenziale zu entdecken und die Wege aufzuzeigen, wie sie sich dahin entwickeln können.

Was sind Ihre größten Schwächen?

Manchmal möchte ich Menschen weiter entwickeln als sie sich selbst. Meine Romantik geht dann zu weit. Nicht jeder will immer dahin, wo ich ihn sehe.

Welchen anderen Entscheider würden Sie gern näher kennenlernen?

Ich habe den großen Luxus, dass ich seit 20 Jahren zum Pawlik Congress berühmte Persönlichkeiten einlade. Außer, dass sie etwas zu unserem jeweiligen Schwerpunktthema zu sagen haben, sind das immer Redner, die ich Lust habe, kennenzulernen. Einen habe ich allerdings seit Jahren versucht zu bekommen, aber der war immer zu teuer. Das ist Barack Obama.

Was würden Sie ihn fragen?

Ich würde fragen, was wirklich hinter den Kulissen vor sich geht. Weil ich glaube, dass nichts, was in der Presse steht, dem entspricht, was drinnen wirklich passiert.

Was denken Sie über Betriebsräte?

Nichts Besonderes. Sie sind manchmal extrem wertvoll und manchmal extrem hinderlich, wie alle anderen Verantwortlichen im Unternehmen auch.

Wann haben Sie zuletzt einen Fehler gemacht?

Ich mache täglich Fehler. Nach Gesprächen oder wenn ich am Abend darüber nachdenke, frage ich mich, ob ich Dinge falsch gesagt und Missverständnisse erzeugt habe. Und mir fällt immer etwas ein.

Welche Entscheidung hat Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen?

Dass ich grundsätzlich meinen eigenen Weg gegangen bin, war für mich richtungsweisend. Meine Karriere hat sich dann in den vergangenen 30 Jahren über viele kleine Entscheidungen so entwickelt, wie sie heute ist.

Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?

60 bis 70 Stunden.

Wie viele Stunden schlafen Sie (pro Nacht)?

Acht Stunden.

Wie gehen Sie mit Stress um?

Ich mache drei- bis viermal die Woche Sport, und wenn es sehr viel wird, dann nehme ich mir eine Auszeit.

Wie kommunizieren Sie?

Wohlwollend gegenüber den Menschen, aber klar in der Sache.

Wie viel Zeit verbringen Sie an Ihrem Schreibtisch?

Etwa 50 Prozent meiner Zeit verbringe ich am Schreibtisch, die anderen 50 Prozent bin ich unterwegs.

Wenn Sie anderen Menschen nur einen Rat für ihren beruflichen Werdegang geben dürften, welcher wäre das?

Finde heraus, was du wirklich willst. Nicht was deine Eltern oder andere, die es gut mit dir meinen, für richtig halten, sondern, was du selbst willst.

Was unterscheidet den Menschen von dem Manager Joachim Pawlik?

Nichts.

Und zum Schluss: Was wollten Sie immer schon mal sagen?

Das habe ich schon gesagt.