Hamburg. Die „Elphi“ wird fünf! Passend zum Geburtstag erscheint das neue Buch von Abendblatt-Redakteur Joachim Mischke, das Ungeahntes enthüllt.

Es gab in Hamburg eine Zeitrechnung ohne, die könnte man, wenn man möchte, „o. E.“ nennen. „Ohne Elbphilharmonie“. Und eine mit ihr. Denn seit dem 11. Januar 2017 könnte der Senat in seinem Briefkopf das entsprechende „m. E.“ als Selbstvergewisserung der kulturpolitischen Besserung in die Datumszeile setzen. Macht der Senat nicht, klar. Das wäre dann doch etwas zu eitel und schulterklopfend.

Andererseits: Stolz darf man schon sein auf das hier Geschaffte, das Geleistete, das Gegönnte. Das Unikat Elbphilharmonie. In diesen Tagen vor fünf Jahren wurde die Plaza für den Besuch durch die Allgemeinheit freigegeben. Am 11. Januar 2017 fand das mit Höchstspannung erwartete erste Eröffnungskonzert im Großen Saal statt. Außer dem Papst war gefühlt so ziemlich jeder da, der Rang und Namen hatte.

Neues Buch zum Geburtstag: Geschichten und Geheimnisse der Elbphilharmonie

Seitdem ist viel passiert in und mit dem Konzerthaus an der Westspitze der HafenCity. Die drei wichtigsten Eckdaten: Tausende von Konzerten für Millionen glücklicher Besucherinnen und Besucher aus aller Welt, oder auch nur ein Hausbesuch ohne Musik. Ein G20-Gipfel im Juli 2017, bei dem ausgerechnet Beethovens Neunte gespielt wurde, bevor es im Schanzenviertel krachte und brannte. Und eine (noch nicht überstandene) Corona-Pandemie, die dem Konzerthaus, mitten im Dauerbetrieb, im Frühjahr 2020 von jetzt auf gleich den Stecker zog und anschließend die gesamte Kulturlandschaft verwüstete.

In wenigen Wochen, am 11. Januar, soll der fünfte Geburtstag der Elbphilharmonie groß gefeiert werden, mit einem Konzert des NDR Elbphilharmonie Orchesters und außerdem einer Wiederaufnahme von Jörg Widmanns Oratorium „ARCHE“ durch das Philharmonische Staatsorchester. Ein Wiederauferstehen mit vielen Noten soll es sein, eine zweite Premiere geradezu.

Ein Steinway wird „Dickerchen“ genannt

Die Konzerte, ihr wichtigster Daseinszweck, sind eine Seite dieser Glücks-Immobilie. Viele andere Seiten kennt und sieht man - zumindest als Publikum – nicht. Niemand, der nur eine Konzertkarte hat, schafft es vom Platz in einem der Säle bis zu „Dickerchen“ ins hauseigene Flügellager, wo sie gepflegt und gestimmt werden. Einer der dort geparkten Steinways hat diesen Spitznamen von der Pianistin Mitsuko Uchida erhalten, seines runden Klangs wegen.

Was haben die Solistengarderoben zu bieten, die fast unmittelbar hinter der Tür zur Saalbühne liegen? Welche Bedeutung hat das Dirigentenpult, wie ist die Energie direkt vor und direkt nach einem Konzert im Backstagebereich?

Die No-go-Area in der Elbphilharmonie

Es gibt viel zu entdecken dort: In einem hinteren Flur-Abschnitt der Intendanz hängt ein Sitzplan des Großen Saals, auf dem mit kleinen Fähnchen in mühsamer Kleinarbeit markiert wurde, wer damals wo sitzen sollte. Direkt neben dem Eingang zum Kontrollraum des Großen Saals (die No-go-Area, verborgen hinter dem breiten Glasfenster) kann man tatsächlich noch einige der Federpakete bestaunen, auf denen der Konzertsaal ruht.

Und neben den Fahrstühlen beim Künstlereingang hängt zur Begrüßung ein großes, historisch eindrucksvolles Foto: Maria Callas im März 1962 bei einem ihrer Konzerte in der Laeisz­halle. Huldvoll die Bewunderung entgegennehmend, als die Diva assoluta, die sie war. Die Elbphilharmonie ist zwar erst fünf Jahre jung, doch auch sie hat inzwischen schon viele solcher Geschichten in ihren Jahresringen eingelagert.

Die Backsteinfassade

Ein bisschen überflüssig ist er schon, dieser Namenszug an der Ostfassade, in schnörkelloser Industrieschrift gehalten. Wer es bis hier geschafft hat, muss wohl nicht mehr in Großbuchstaben vorgeschrieben bekommen, wie das Gebäude vor ihm heißt. Faszinierender und auf seine Weise hanseatisch gediegener ist das Baumaterial, auf dem das E-Wort angebracht wurde: der gute alte Backstein. Der gehört zur DNA der Hanse- und Handelsstadt Hamburg. Die Ummantelung des früheren Kaispeichers A war mal roter und ist wettergegerbt; sie hat nichts überzüchtet Mondänes, sie hält einfach brav alles zusammen. Und weil sie in ihrer schlichten Schönheit so dezent ist, lenkt sie den Blick nach oben. Zum Neuen. Vor dem Aufsetzen der Glaskrone wurde die Kaispeicher-Fas­sade mit neuen Backsteinen ein wenig himmelwärts verlängert. Und als das Gesamtkunstwerk fertig war, bekam der damalige Chef des Baukonzerns Hochtief was wohl, mit FERTIG eingebrannt, als Geschenk? Genau. Einen Backstein.

Die Intendanz

Ein Denkmal für den unbekannten Bauarbeiter, ein kleines Mahnmal als Erinnerung, wie viel wie schrecklich wie lang schiefging beim Bau. Im zehnten Stock – direkt links neben den Fahrstühlen, die Besucher und Musiker zum Empfangsbereich der Intendanz bringen – steht ein Paar gelber Gummistiefel, gut ausgeleuchtet auf einem Ehrenplatz-Sockel, zum historischen Einzelstück geadelt. Einen Titel hat das selbstironische Kunstwerk natürlich auch, verewigt auf einer kleinen Plakette: „Gelbe Gummistiefel 2007–2016“.

Die Foyers des Großen Saals

In den Foyers hat man einen spektakulären Ausblick auf die Stadt und den Hafen.
In den Foyers hat man einen spektakulären Ausblick auf die Stadt und den Hafen. © Thomas Leidig

„Die schöne Natur kann man für sich genießen, aber wenn man Musik im Saal und vor Leuten macht, will man nicht allein sein.“ Johannes Brahms 1861 in einem Brief an Clara Schumann. Die Foyers rund um den Großen Saal machen das, auf ihre Weise, spektakulär möglich. Als Ouvertüre für das eigentliche Konzert bieten sie die Möglichkeit, ganz individuell das Stadtpanorama zu besichtigen. Nur einen Schritt weg vom Fenster, schon könnte – und sollte – man mit jemandem über Musik sprechen. Bevor eine Tür weiter die Musik beginnt.

Das Dirigentenpult

„Wie komme ich auf die Bühne im Großen Saal der Elbphilharmonie? – Ganz einfach: üben, üben, üben.“ Bedingt lustig, dieser Klassiker, aber unbedingt wahr. Und das gilt umso mehr für die wenigen Quadratzentimeter Holz, die etwas oberhalb des Bühnenbodens als Bühne auf der Bühne für Dirigentinnen und Dirigenten reserviert sind. Dekorativ ist so ein Podest in den seltensten Fällen, es ist ganz profan, kein Ziermöbel, sondern ein Mittel zum künstlerischen Zweck: Hören und gesehen werden, darum geht es auf diesem Hochstand. Wer möchte, kann mit Taktstock dirigieren; wer das nicht möchte, hat dort auch dafür freie Hand. Auf diesem Podest redet einem ja niemand mehr rein. Und dennoch muss man von dort aus unentwegt kommunizieren, regeln, lenken und Prioritäten setzen. Respekt kann man hier in Sekundenbruchteilen gewinnen. Wichtig ist nur: Wer hier an sich zweifelt, verliert ihn auch wieder, ebenso schnell. Und das dann leider vor den Augen und Ohren vieler Menschen.