Hamburg. Insbesondere Altona sieht sich mit Wohnungs-Soll überfordert. Senat sitze mit seinen Behörden „im Elfenbeinturm“.

Der Wohnungsbau in Hamburg wird zum Streitobjekt. Vor der Sommerpause einigten sich Wohnungswirtschaft und Stadt darauf, den als Erfolgsmodell gehandelten Pakt zum Bau von jährlich 10.000 Wohnungen fortzuschreiben. Jetzt aber, wo im Anschluss der „Vertrag für Hamburg“ zwischen Stadt und Bezirken geschlossen werden muss, knirscht es im Getriebe. Obwohl die Stadt die Prämie, die die Bezirke für jede genehmigte Wohneinheit bekommen, von 250 auf 350 Euro erhöhen will, fordern die Bezirke Eimsbüttel und Altona weitere Nachbesserungen.

Insbesondere Altona sieht sich überfordert und möchte das Kontingent an Baugenehmigungen, zu dessen „Lieferung“ der Bezirk sich gegenüber der Landesebene verpflichten soll, reduziert sehen. Bisher sind es 1500. CDU und Grüne in Altona hatten im Vorfeld der Debatte in der Bezirksversammlung zunächst 1300 ins Spiel gebracht.

Wohnen in Hamburg: Altona schafft Wohnungs-Soll nicht

Der Grund: In Altona gibt es mit Diebsteich, Science City und Neuer Mitte Altona drei sogenannte Vorbehaltsgebiete, deren Wohnungen nicht ins Altonaer Kontingent gezählt, sondern dem Senat zugeschlagen werden. Altona muss also seine Sollzahl ohne die genannten Großgebiete erreichen.

Im Vertrag verpflichten sich die sieben Bezirke auf ihren Beitrag zum beschleunigten Wohnungsbau und sichern Kontingente zu. Auch in der jetzt neu abzuschließenden Variante muss demnach Hamburg-Mitte 1400, Altona 1500, Eimsbüttel 1050, Hamburg-Nord 1200, Wandsbek 1800 und Bergedorf und Harburg je 800 Wohneinheiten pro Jahr genehmigen. Die zu 10.000 jährlichen Wohnungen fehlenden 1450 Einheiten muss der Senat selbst in den sogenannten Vorbehaltsgebieten genehmigen, in denen er ohne bezirkliche Beteiligung entscheidet. Im Hinblick auf die Vorbehaltsgebiete wird der Senat im Vertrag für Hamburg also wie ein achter Bezirk gezählt.

„Es ist schon heute klar, dass Altona sein Soll nicht schaffen kann“, sagt der Chef der CDU-Bezirksfraktion Altona, Sven Hielscher. „Einen Vertrag, bei dem ich vorher weiß, dass ich Ihn auf Grund fehlenden Personals nicht einhalten kann, unterschreibe ich als hanseatischer Kaufmann nicht. Das sollte auch für die Politik gelten.“ Die Altonaer Grünen-Fraktionschefin Gesche Boehlich warf dem Senat vor, mit seinen Behörden „im Elfenbeinturm zu sitzen“. Der Vertrag sei „nicht in Ordnung.“

Wohnungsbau in Hamburg: Grüne wollen sieben individuelle Verträge für jeden Bezirk

Hielscher sieht ein Ungleichgewicht im Verhältnis zu Wandsbek, das doppelt so viel Fläche wie Altona hat, aber mit 1800 nur unwesentlich mehr Wohneinheiten genehmigen und dabei kein einziges Vorbehaltsgebiet in Abzug bringen müsse. Hielscher wollte zusammen mit den Grünen in Altona eine Reduzierung der Soll-Zahlen um 200 auf 1300 erreichen und dabei die Genehmigungen in den sogenannten Vorbehaltsgebieten auf Altonaer Territorium einrechnen. Außerdem sollte die Prämie pro bezirklicher Baugenehmigung hamburgweit auf 500 Euro steigen.

Altonas Grünen-Fraktionschefin will den Vertrag individualisieren. Boehlich: „Ein pauschales Papier für alle wird der Sache nicht gerecht. Jeder Bezirk ist anders. Deshalb sollte mit jedem Bezirk ein individueller Plan erarbeitet werden. Es geht auch nicht nur um Wohnungen, sondern zugleich auch um Schulen, Verkehr und soziale Infrastruktur. Und um ein vernünftiges Miteinander aller Beteiligten. Niemand soll beschimpft werden, wenn er oder sie nicht die gewünschte Menge an Baugenehmigungen liefert.“   

Tschentscher soll Bezirkschefin angeschrien haben

Boehlich spielt damit auf einen angeblichen Ausbruch des Bürgermeisters Peter Tschentscher (SPD) an, der die Altonaer Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg (Grüne) hart und persönlich angegangen haben soll, weil sie die Zielzahlen verfehlt hatte. „Wir können uns keine Flächen aus den Rippen schneiden“, sagt Boehlich.

Die rotgrüne Koalition auf Landesebene wollte den vor Jahren ausgehandelten Zahlenschlüssel für die Bezirke aber nicht anfassen. Ihn aufzuschnüren würde der Landesebene zu viele Begehrlichkeiten in den Bezirken wecken. Auch waren ihr 500 Euro Prämie für jede genehmigte Wohnung zu teuer. Nach zweieinhalb Stunden Diskussion im Altonaer Hauptausschuss und anschließender interner Fortsetzung der Debatte in der Grünen-Fraktion ließen sich die widerspenstigen Gallier von der SPD-Staatsrätin aus der Stadtentwicklungsbehörde überzeugen.

Kein Vertrag zwischen Partnern, sondern eine Anweisung

Boehlich: „Das Papier ist eigentlich kein Vertrag, sondern eine Anweisung. Aber die 10.000 Wohnungen stehen leider im Koalitionsvertrag. Das hat Stress verursacht und ist ein Punkt, den wir in der nächsten Legislatur besser machen können. Die Vorgabe existiert seit sehr vielen Jahren und muss überarbeitet werden.“ Sie verwies allerdings darauf, dass der Vertrag nur noch gut drei Jahre Laufzeit habe.  

Heraus kam jetzt ein gemeinsamer Antrag der Bezirks-Grünen mit der Altonaer SPD-Fraktion, in dem Bezirksamtsleiterin Stefanie von Berg (Grüne) und die Vorsitzende der Bezirksversammlung Altona, Stefanie Wolpert (Grüne), aufgefordert werden, den Vertrag für Hamburg zu unterschreiben und zugleich einige Forderungen geltend zu machen, deren Einhaltung jedoch vor der Unterschrift nicht verbindlich zugesagt werden muss. Ähnlich verfährt auch Eimsbüttel. Beide billigen den Vertrag am Donnerstag (28. Oktober). Die 350-Euro-Prämie steigt nicht noch weiter. Allerdings bekommen die Altonaer sie jetzt ausbezahlt auch für die Wohnungen, die die Stadtentwicklungsbehörde in ihren Altonaer Vorbehaltsgebieten ohne Zutun des Bezirks genehmigt.

Forderungen erlaubt, aber nur, wenn sie unverbindlich sind

Ansonsten weisen SPD und Grüne in Altona darauf hin, dass die „Instrumente zur Bereitstellung des erforderlichen Personals für die Bezirksämter bisher nicht genug eingehalten“ wurden und der Personalschlüssel anzupassen sei. „Das gilt nicht nur für die Stadtplaner und Bauämter, sondern auch für die Rechtsabteilung und die Mitarbeiter, die Bürgerbeteiligungen organisieren“, sagt Boehlich. Die  Online-Formate sollen weiter laufen, aber von der Landesebene mit den erforderlichen Mitteln ausgestattet werden. Das alles aber sind Forderungen an die Landesbehörden, die laut Hielscher schon länger einen gewissen Bekanntheitsgrad aufweisen. „Wir werden weiter nerven“, sagt Boehlich. „Wir sind die untere Behörde. Da muss man immer kämpfen.“

Hielscher hätte sich dafür härtere Bandagen gewünscht. Jetzt benennen SPD und Grüne die Zielkonflikte bloß, die vor allem bei der Magistralenbebauung aufbrechen, wenn die Verfechter der Verkehrswende mit ihren breiten Rad- und Fußwegen auf die Platzbedarfe der Wohnungsbauer prallen. Der Konflikt sei „im Vorwege“ im Flächennutzungsplan oder durch Festlegung einheitlicher Standards zu lösen, fordern Bezirks-Grüne und Bezirks-SPD von der Zentralgewalt.

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„Das bleibt alles im vagen und unverbindlichen“, sagt Hielscher, der die Unterschrift von Bergs an die Erfüllung von Forderungen knüpfen wollte. Ein weiterer Passus im rot-grünen Papier ist dem „Vertrag für das Stadtgrün“ gewidmet, der von den Wohnungsbauern „strikt zu beachten“ sei.

„Allein die Notwendigkeit dieses Hinweises spricht Bände“, sagt Hielscher. „Dass Verträge einzuhalten sind, bedarf normalerweise keiner gesonderten Erwähnung.“