Hamburg. „Entscheider treffen Haider“: Jonathan Kurfess über seine Geschäftsidee, Unternehmenskultur – und wie er auf der Straße landete.

Kann ein 23 Jahre alter Mann ohne jede Berufserfahrung und aus einer acht Quadratmeter großen Abstellkammer heraus die Welt der Marktforschung revolutionieren? Der Hamburger Jonathan Kurfess hat genau das vor acht Jahren behauptet. Heute beschäftigt seine Firma Appinio 120 Mitarbeiter, macht mehr als zehn Millionen Euro Umsatz und liefert tatsächlich Markt­forschung in wenigen Stunden.

In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht Kurfess über den ersten Kunden (Jägermeister), den Zusammenhang von Homeoffice und Unternehmenskultur – und seine Zeit als Obdachloser.

Das sagt Jonathan Kurfess über …

… seine Geschäftsidee:

„Wir geben Entscheidern die Möglichkeit, direkt von ihren Kunden zu erfahren, wie sie ein bestimmtes Produkt finden, und das so schnell wie möglich. Dafür haben wir eine Plattform gebaut, auf der man sich eine bestimmte Zielgruppe aussuchen kann, zum Beispiel Kaffee trinkende Männer zwischen 20 und 40, um denen dann Fragen zu stellen. Die gehen direkt raus an die Nutzer von Appinio, die Antworten kommen innerhalb weniger Minuten oder Stunden. Wir haben damit die schnellste Marktforschung der Welt geschaffen und eine der günstigsten: Bei uns geht es ab 500 Euro los.“

… das Netzwerk von Appinio:

„Wir haben uns überlegt, wie man Menschen davon überzeugen kann, freiwillig an einer Marktforschung teilzunehmen, denn normalerweise bringt das keinen Spaß. Wir haben dann angefangen, ein Netzwerk, eine Gemeinschaft aufzubauen, in der die Menschen das machen können, was sie auf den sozialen Medien sowieso sehr gern machen: nämlich, ihre Meinung sagen, Fragen beantworten, usw. Unsere Nutzer können sich in unzähligen­ Kategorien miteinander vergleichen, sie können auch selbst Fragen stellen, das Ganze funktioniert wie ein Spiel, bei dem man Punkte sammeln kann, mit denen soziale Projekte unterstützt oder die in Gutscheine umgetauscht werden. Das macht Spaß, und deshalb nehmen Menschen von sich aus an dieser Marktforschung teil, im Moment sind es im Monat mehrere Hunderttausend.“

… die schwierigen Anfänge als Unternehmer:

„Wenn man als 23-Jähriger, der weder eine relevante Berufserfahrung noch jemals in der Marktforschung gearbeitet hat, behauptet, die Marktforschung zu revolutionieren, stößt man nicht sofort auf offene Türen. Wir haben zu viert in einer acht Quadratmeter großen Abstellkammer an der Elbstraße gesessen, und ich habe acht, neun, zehn Stunden am Telefon gesessen, um an Kunden zu kommen – im Zweifel habe ich auch mal behauptet, dass ich der Cousin des Geschäftsführers oder Firmeninhabers bin, um wenigstens einmal drei Minuten mit jemanden sprechen zu können, der etwas zu sagen hat. So ging es los. Der erste Kunde war Jägermeister, der zum Ende des Jahres noch ein kleines Budget für Marktforschung übrig hatte. Das war der erste Auftrag, und zum Glück funktionierte es auch.“

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… seine Zeit als Obdachloser:

„Ich habe mich sehr früh für Obdachlosigkeit interessiert, schon als Kind gern mit Obdachlosen gesprochen. Ich wollte wissen, wie sie auf der Straße gelandet sind, habe später in den USA, wo mein Vater lebt, viele Interviews mit Obdachlosen gemacht, um genau das zu erfahren. Als ich zurück in Deutschland war, wollte ich einmal selbst erleben, wie sich das anfühlt, obdachlos zu sein, und habe in Hannover vier Tage und drei Nächte auf der Straße gelebt, im Park geschlafen, Flaschen gesammelt. Das war eine krasse Erfahrung, durch die ich gelernt habe, all das zu wertschätzen, was ich habe, ein Bett, einen Kühlschrank, die Dusche. So etwas hilft manchmal, Probleme richtig einzuordnen.“

… Homeoffice und Unternehmenskultur:

„Bei uns können die Leute arbeiten, wo sie wollen. Das ist ein wichtiger Bestandteil unserer Unternehmenskultur. Wenn man es schafft, eine Firma zu bauen, mit der sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter identifizieren, wird man automatisch ein hohes Niveau an Motivation, Engagement und unternehmerischem Handeln erreichen. Dann muss man gar nicht so viel kontrollieren und kann maximal flexibel arbeiten. Wenn Homeoffice in einem Unternehmen nicht funktioniert, sagt das auch etwas über die Unternehmenskultur aus. Dann ist in der Organisation ein geringes Maß an Vertrauen vorhanden. Ich sage: Wenn Menschen besser von Ibiza aus arbeiten oder tief in der Nacht, dann sollen sie es doch bitte machen, solange das Ergebnis stimmt. Wer bin ich denn, denen vorzuschreiben, wer, wann, wie und wo arbeitet? Am Ende kommt es darauf an, dass jedem bewusst wird, dass er eine Verantwortung für das Unternehmen hat und sein Bestes dafür gibt. Wir alle sind Appinio, das macht uns so stark. Wir funktionieren nur als Team, Ego ist dabei ein richtiger Killer.“