Hamburg. Dr. Goetz hat als Ringarzt schon viele Verletzungen gesehen. Warum er einem Sportler riet das Profiboxen an den Nagel zu hängen.
Vielleicht könnte man ihn als medizinisches „Schwergewicht“ bezeichnen. Auf jeden Fall ist Dr. Christoph Goetz als Chefarzt der Abteilung für Wirbelsäulen- und Neurochirurgie am Asklepios Klinikum Harburg ein Experte für Schleudertraumata und Verletzungen der Halswirbel. Und ganz nebenbei ist er seit 2003 auch noch Ringarzt beim Boxen, hat in dieser Funktion unzählige Kämpfe der unterschiedlichsten Gewichtsklassen gesehen.
„Zum Glück passiert da weniger als man befürchtet“, sagt der Mediziner in der neuen Podcast-Folge. Er erinnere sich beispielsweise noch gut an einen Boxer, der „schrecklich geblutet“ habe. „Aber medizinisch lag da nichts Gravierendes vor.“
Christoph Goetz ist mit der NDR-Sportjournalistin Sandra Maahn liiert
In Erinnerung geblieben sei ihm auch der Fall eines Boxers aus dem Universum-Stall, der zehn Tage vor einem Profikampf im Sparring einen Kopftreffer abbekam und plötzlich einige Minuten lang weder Arme noch Beine bewegen konnte. Als sich das beim nächsten Training wiederholte, habe der Trainer panisch angerufen. „Ich habe nur gesagt: Bringt ihn bitte sofort in die Klinik“, erzählt der Chefarzt, der mit der beliebten NDR-Sportjournalistin Sandra Maahn liiert ist, über die er auch zum Boxen kam.
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Die Diagnose: Der Sportler hatte einen verengten Wirbelkanal und zwei Bandscheibenvorfälle, von denen einer durch den Schlag auf das Rückenmark gedrückt hatte. „Wir haben operiert, um den Druck vom Rückenmark zu nehmen. Und ich habe ihm aus medizinischer Sicht ganz klar empfohlen, das Profiboxen an den Nagel zu hängen, weil einfach weitere Bandscheibenvorfälle drohten“, sagt Dr. Christoph Goetz. Er habe sich mit den Rat nicht gerade beliebt gemacht, aber Monate später habe er den Mann wiedergetroffen. „Und er hatte tatsächlich mit dem Boxen aufgehört und hat sich bei mir für die Behandlung und die Ehrlichkeit bedankt.“
Gefahr einer Halswirbelverletzung ist beim Sport eher gering
Grundsätzlich sei die Gefahr einer Halswirbelverletzung beim Sport eher gering. „Anders sieht es beispielsweise beim Motorradfahren aus. Da schützt ein Helm schon ganz gut. Aber der federt auch nicht immer alles ab, wie der furchtbare Skiunfall von Michael Schumacher zeigt.“ Im Boxsport sei das Tragen eines Helmes umstritten. „Viele Sportler sagen, ein Helm mache sie langsamer und damit auch verletzlicher, weil sie die Schläge im toten Winkel einfach nicht kommen sehen.“
Fernab vom Sport komme es vor allem bei älteren Patienten vor, dass sie gar nichts von der Verengung ihres Wirbelkanals wüssten. „Allein in Harburg behandeln wir jedes Jahr zwei bis drei Betroffene, die nach einem Sturz halb querschnittgelähmt zu uns in die Klinik gebracht werden“, sagt der Mediziner, der in seiner Freizeit gern kocht, gärtnert, mit dem Wohnmobil unterwegs ist und Opern hört („bei ,La Bohème‘ in der New Yorker Met habe ich geweint“).
Druck aufs Rückenmark verursacht erst mal keine Schmerzen
Doch wie kommt es, dass die Diagnose nicht früher gestellt wird? „Der Druck aufs Rückenmark verursacht erst mal keine Schmerzen. Und wenn ein Betroffener über ein Taubheitsgefühl klagt, wird das gern mal als Alterserscheinung fehlgedeutet“, sagt der Spezialist. „Das ist auch nicht verwunderlich, denn diese Erkrankung ist sehr selten.“
Häufiger hört man von Bandscheibenvorfällen. Ist die Ursache dafür Stress im Job? Wie sehr spielt die Psyche eine Rolle? „Ehrlich gesagt, ist die Ursache deutlich häufiger Pech als Belastung“, sagt der Chefarzt. „Sonst müssten wir ja täglich chirurgische Kollegen oder Zahnärzte behandeln, die durch eine stundenlange Zwangshaltung körperlich belastet sind.“ Es handele sich um eine Verschleißerscheinung, die jeden treffen könne. „Deshalb ist auch der Werbespruch vom starken Rücken, der keinen Schmerz kennt, leider Quatsch. Dafür habe ich schon zu viele Sportler operiert, die einen wirklich starken und trainierten Rücken hatten.“
Bandscheibenvorfälle müssen selten operiert werden
Bandscheibenvorfälle müssten übrigens in den seltensten Fällen operiert werden. „Oberste Prämisse ist immer, einen Eingriff zu verhindern.“ Manchmal müsse man einfach etwas Zeit vergehen lassen. „Das passt natürlich nicht in unserer Zeit der schnellen Lösungen. Aber an einem grippalen Infekt kuriert man auch zehn Tage, und ein gebrochenes Bein heilt auch erst nach vier bis sechs Wochen. Und beim Bandscheibenvorfall sehen wir auch, dass der Körper ihn oft nach zwei bis drei Monaten ganz von selbst abräumt“, sagt der Neurochirurg, der an seinem Fach schätzt, dass man „den Erfolg eben schnell sieht“.