Hamburg. Der Künstler Michael Batz holte die Speicherstadt aus dem Schatten ans Licht – und hat noch viele weitere Ideen für Hamburg.
Blättert man in alten Hamburg-Reiseführern, sucht man eine Sehenswürdigkeiten vergeblich: Die Speicherstadt, 2015 zum Weltkulturerbe geadelt, war bis vor zwei Jahrzehnten ein Lagerhauskomplex am Rande der Innenstadt. Erst 2001 verwandelte der Lichtkünstler Michael Batz die Speicherstadt und holte die Backsteingotikwelt aus dem Schattendasein hinein ins Licht der Stadt.
Dabei war es der pure Zufall, der den Künstler zum Licht brachte, erzählt Michael Batz im Abendblatt-Podcast „Was wird aus Hamburg?“ Nach seinem Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie in Marburg arbeitete der gebürtige Hannoveraner als Stückeschreiber an einer Studiobühne. „Eines Tages wurde der Beleuchter krank, und man schickte mich an die Anlage“, erzählt er. „Da hatte ich als Schöngeist aus der geisteswissenschaftlichen Ecke ein Problem: Ich hatte einen Riesenkasten vor mir und keine Ahnung, was ich tun sollte.“
Stadtentwicklung: Wahrzeichen als Leuchtzeichen
Aus der Überforderung wurde Spaß, aus dem Zufall ein Schlüsselerlebnis: „Ich habe schnell gesehen, was man mit einer einfachen Bewegung am Regler bewirken kann: Man kann einen Schauspieler kaputt machen, man kann ihn stützen oder wunderbar darstellen. Man kann eine Atmosphäre schaffen, man kann sogar eine Geschichte erzählen.“
Heute ist Batz ein Geschichtenerzähler im öffentlichen Raum geworden – mit der Sprache des Lichts. Das Rheinufer in Köln, den Reichstag, das Lübecker Holstentor und das Bauhaus in Dessau – er hat Wahrzeichen in Leuchtzeichen verwandelt. „Für mich ist Lichtmachen nichts anderes als eine Form von Schreiben.“
Batz hat Hamburger Stadtteile spielend erfahren
Mitte der Siebzigerjahre begann Michael Batz mit Horst Schroth Theater und Kabarett zu machen. „Wir haben mit Straßentheater angefangen, als das Alstervergnügen noch ein Kunstfestival war“, sagt er. Mit ihrer Volkszählungsrevue zogen die beiden gemeinsam um die Häuser und durch die Städte, „als Schreiber und stümpernder Schauspieler“.
Diese frühen Jahre haben Batz geprägt. Bis heute schreibt er als Autor Sachbücher, Theater- und Dokumentarstücke und Hörspiele. Mit Straßentheater bekommt man zugleich einen besonderen Blick für Stadtentwicklung. So hat Batz viele Stadtteile spielend erfahren, das alte Ottensen, aber auch Problembezirke wie die Berzeliusstraße in Billstedt, Osdorf oder Lurup.
Batz: „Licht ist ein Reizstoff"
Von der Inszenierung eines Stückes zur Inszenierung eines Straßenzuges ist es manchmal ein kurzer Weg. Licht, betont der 70-Jährige, ist für eine Stadt elementar. „Licht ist für die Lesbarkeit des Raums extrem wichtig, für die Aufenthaltsqualität, aber auch für die Orientierung.“ Licht habe die Städte radikal verändert und einen Bedeutungswandel ausgelöst: „Früher ging es darum, die Finsternis zu überwinden und Tagesaufgaben in die Nacht zu übertragen. Heute steht alles unter Strom: Alles ist hell – jeder Laden, jedes Geschäft, jede Auslage. Ein Haus, aus dem kein Licht nach außen dringt, gilt als tot.“
Batz kritisiert eine Lichtverschmutzung. „Es wird häufig sehr bedenkenlos verwendet. Ein Knips genügt.“ Für Batz liegt darin keine gute Entwicklung: „Licht ist ein Reizstoff. Man sollte Licht besser in der Apotheke kaufen und nicht im Supermarkt.“ Batz bezeichnet sich halb scherzhaft, halb konsequent als „Apotheker des Lichts“.
Batz holte die Speicherstadt aus dem Schatten
Wie ein Apotheker hat er in Hamburg einem ganzen Stadtteil die richtige Medizin verabreicht – und die Speicherstadt aus dem Schatten geholt. Wieder war es das Theater, das Batz auf die Idee brachte. „Wir hatten 1994 begonnen, den ,Hamburger Jedermann‘ dort hinter dem Zollzaun zu spielen, was damals Avantgarde war.“ Die Speicherstadt, von Denkmalschützern „das dunkle Tier“ genannt, war als Teil des Hafens der Stadt entrückt. „Es war ein Unort, der nicht mehr zu Hamburg gehörte. Da ging man nicht hin. Der Zollzaun war wie eine Wand, wie eine chinesische Mauer.“
Als Batz sah, wie das Bühnenlicht Schatten auf der Fassade des Blocks E gegenüber malte, kam ihm eine Idee. „Was würde aus diesem Ort, wenn man ihn in Licht taucht?“ Fünf Jahre lang versuchte Batz, Begeisterung für seine Vision zu wecken. „Aber es brauchte ein Projekt, um das Ganze ins Rollen zu bringen.“ Mit seiner Erzählung „Mozart. Amerika“ über den Mozart-Librettisten Lorenzo da Ponte in Hamburg wurde der Wunsch im Spätsommer 1999 Wirklichkeit: In dem Stück trieben fünf Barkassen durch die Speicherstadt, die erstmals zur Musik von Don Giovanni illuminiert worden war. „Das war der Durchbruch.“ Eineinhalb Jahre später, vom 27. April 2001 an, tauchte ein Lichtermeer die Lagerhäuser der Speicherstadt dauerhaft in ein fantastisches Licht.
Speicherstadt schmückt Postkarten
Heute schmückt sie Reiseführer, Postkarten – und ist zu dem Hamburg-Bild geworden. Finanziert wird das Projekt heute wie damals vom Verein Licht-Kunst-Speicherstadt, hinter dem Unternehmen und Privatpersonen stehen. Seit Beginn sind rund eine Million Euro investiert worden. Die rund 1200 Leuchten an Speicherblöcken und Brücken leuchten klimaneutral, verschlingen aber Stromkosten in Höhe von 20.000 Euro.
Hinzu kommt die teure Instandhaltung, etwa nach Hochwasser. „Die Illumination wird zwar als eine öffentliche Beleuchtung wahrgenommen. Es ist aber Sache dieses Vereins, das Ganze ehrenamtlich zu stemmen“, sagt Batz. „Das ist bürgerschaftliches Engagement für die Ikone der Hamburger Stadtlandschaft.“ Manchmal, so verrät er, würde er sich mehr Unterstützung und mehr Planungssicherheit wünschen
HafenCity leuchtet auf seine eigene Weise
20 Jahre Lichttechnik sind eine Ewigkeit, längst haben neue Techniken Einzug in seine Kunst gehalten: Neue LED verbrauchen deutlich weniger Strom, ermöglichen zugleich eine feinere Steuerung. „Früher konnte man immer nur ganze Blocks an- oder ausschalten“, sagt Batz. „In Zukunft geht mehr.“
Fünf Fragen |
Meine Lieblingsstadt ... ist schwer zu beantworten: Ich habe lange in Marburg gelebt. Solche Formate lassen sich eher lieben als Megacitys. Auch Städte am Meer wie Cadiz, Palma, Palermo, Havanna ... Aber Heimat ist für mich eher eine Zeit als ein Ort. Man kehrt immer in eine andere Stadt zurück als die, die man zu kennen glaubt.Mein Lieblingsort ... sind das Alsterfleet und die Alsterarkaden. Die eigene Stadt nimmt man oft erst wahr, wenn man sie Gästen zeigt: Dann zieht es mich dorthin: Dort ist Hamburg Hamburg, zugleich aber auch französisch, ja international. Man erlebt so einen entrückten Moment, wenn man dort sitzt oder sich in der Mellin Passage umschaut. Beim Blick auf die Buchhandlung Felix Jud fallen das intellektuelle, das schöne, aber auch das lebendige kommerzielle Hamburg zusammen.Mein Lieblingsstadtteil ... ist immer der Stadtteil, den ich noch nicht kenne, wo ich noch etwas entdecken kann. Früher war es mal Ottensen, wo wir in den 70er-Jahren Straßentheater gemacht haben. Das war sehr spannend. Aber er war ein anderes Ottensen, als wir es heute kennen. Im Moment ist es Rotherbaum. Ich befasse mich seit Jahren intensiv mit der Geschichte eines Hauses, der Rothenbaumchaussee 26. Das Haus ist unglaublich, es erzählt viele Geschichten, die den Stadtteil ebenso wie deutsche Geschichte betreffen. Momentan bin ich fasziniert von der Litfaßsäule am Eingang der Edmund-Siemers-Allee, die dort seit 120 Jahren steht – sie ist ein Buch des Jahrhunderts über die Plakatierung, die Anschläge, die Veröffentlichungen. Einen Ort kennt man erst dann, wenn man einige seiner Geschichten gefunden hat.Mein Lieblingsgebäude ... ist die Speicherstadt. Dieses unglaubliche Ensemble aus Strenge und Schönheit, aus Nüchternheit und fantastischer Imagination, aus Wasserinsel und Backsteingebirge.Einmal mit der Abrissbirne würde ich ... mich zurückhalten: Ich bin keine wandelnde Abrissbirne, ich versuche eher zu verstehen. Ich möchte mich ausdrücklich nicht bei der Abschaffung der 60er-Jahre anschließen. Gerade erleben wir, dass ein ganzes Jahrzehnt nach und nach verschwindet. Es gibt aber in der Freien und Abrissstadt Hamburg vieles, von dem man sich trennen könnte: Ich kenne Gebäude, die so nichtssagend sind und nur aus fadenscheinigen Gründen irgendwann einmal errichtet wurden. Da hat sich das Kapital nur ausgetobt und weiter keine Geschichte erzählt. |
Als die Illuminierung der Speicherstadt begann, stand der Bau der HafenCity noch am Anfang – und der Verein widmete sich zunächst nicht der Südseite der Speicherstadt. Inzwischen ist der neue Stadtteil fast fertig und leuchtet auf seine eigene Weise. Batz hält die Beleuchtung der HafenCity teilweise für problematisch. „Das ganze Projekt war sehr ambitioniert, und man wollte und musste sehr viel ausprobieren. Also hat man dort Neuland betreten.“ Manches ist Batz zu sehr in Szene gesetzt. „Beim Sandtorkai hätte ich mir mehr quartierliches Miteinander gewünscht.“
Versteckte Anschlüsse in der Elbphilharmonie
Die Speicherstadt war für Batz der Anfang einer Welle des Lichts. Mitte September hat Batz den Alten Wall und die Wasserseite am Alsterfleet illuminiert. Er setzte dem historischen Gebäude-Ensemble einen Lichtkranz auf, zugleich wurden dort „Blue Bridges“ in Szene gesetzt. Jedes Projekt bedarf einer langen Vorlaufzeit: „Man muss das Gebäude erst einmal kennenlernen. Allein die Frage nach der Stromverteilung ist oft kompliziert.“ Sein eindrücklichstes Beispiel sei die Elbphilharmonie: „Sie glauben nicht, wo wir da gesucht haben!“, erzählt er.
„Selbst die Hausverwaltung konnte uns teilweise nicht sagen, wo die Stromanschlüsse liegen. Da mussten wir mit langen Kabeln über sehr viele Fensterklappen sehen, dass wir Strom bekommen.“ Während kleinere Projekte wie der Alte Wall mit einem halben Dutzend Mitarbeiter gestemmt werden können, benötigt Batz für Großinstallationen wie den Blue Port bis zu 50 Leute: Dann müssten Wagemutige mit Leuchtstoffröhren unter dem Arm auf Ausleger in 120 Meter Höhe klettern.
Nur blaues Licht für Hamburger Hafen
Batz hat eine Lieblingsfarbe – aber es ist nicht das Blau der „Blue Goals“ der Fußball-WM oder des „Blue Ports“ im Hafen. „Meine Lieblingsfarbe ist eigentlich ein tiefes Smaragdgrün, ein wassertiefes, lebendiges Pflanzengrün.“ Blau sei die Farbe des Hafens – aber aus einem einfachen Grund. „Im Hafen darf man weder Grün noch Rot einsetzen. Das sind die Seeschifffahrtsfarben. Weiß und Gelb sind ohnehin vorhanden, das ist langweilig. So bleibt nur Blau übrig.“
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Zur Fußball-WM 2006 leuchteten von vielen Dächern blaue Fußballtore. „Blau ist die Farbe, die als Ereignis wahrgenommen wird. Sie gilt als kühl, als distanziert, steht aber auch für höchste Aufregung und wird deswegen bei Feuerwehr, Polizei, Rettungswagen eingesetzt. Dieser Widerspruch ist hochinteressant“, sagt Batz. Zugleich verrät er, dass die Blauen Tore missverstanden wurden. Gedacht waren sie als Hommage an die Städtepartnerschaft mit Shanghai. Dort setzt man traditionelle chinesische Zeichen oder Lotusblumen auf die Hochhäusern. „Dem haben wir als Tor zur Welt mit dem Tor ästhetisch begegnen wollen. Dann kam König Fußball – und wir hatten ein legendäres Bild.“
„Licht ist für mich eine Literatur der Nacht“
Etwas Besonderes bleibt für Batz die Illuminierung des Berliner Reichstags, der seit 2009 nach seinem Konzept beleuchtet wird. An der Spree habe er schon bei den Proben magische Momente erlebt mit einem neugierigen Fuchs, der immer Schlag Mitternacht zum Reichstag pirschte. „Und das im Licht, in diesem sanften Licht und in diesem vorsichtigen, schönen erzählerischen Licht“, schwärmt Batz. „Licht ist für mich eine Literatur der Nacht.“
Einen Wunsch hat er noch auf seiner Liste der Leuchtkörper: „Das ist das vierte Verfassungsorgan, das Kanzleramt. Ich habe Schloss Bellevue illuminieren dürfen, den Reichstag und in der Leipziger Straße den Bundesrat. Mit dem Kanzleramt hätte ich das Quartett voll.“
Stadtentwicklung: Batz plant neue Projekte
Auch in Hamburg stehen einige Gebäude auf seiner To-do-Liste: „Erst einmal möchte ich die Speicherstadt vervollständigen“, sagt er. Im nächsten Jahr steht dann der Blue Port auf dem Programm. Zudem reizt ihn, im geplanten Hafenmuseum die „Peking“, den legendären Viermaster der berühmten Flying P-Liner, ins rechte Licht zu rücken. Und nach dem Alten Wall würde er gern die Alsterläufe und Fleetverbindungen von der Altstadt zum Hafen beleuchten. „Das ist uraltes Hamburg, da könnten wir die Stadt noch einmal ganz neu erzählen.“