Hamburg. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat ihre Empfehlungen für Stickoxid- und Feinstaubgrenzwerte drastisch verschärft.

Es ist eine teilweise drastische Verschärfung, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) am Mittwoch in ihren neuen Leitlinien zur Luftqualität vorgenommen hat. So sinkt die Empfehlung für den Grenzwert beim Stickstoffdioxid (NO2) auf 10 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel.

Bisher lagen die WHO-Empfehlung und der auch in Deutschland gültige EU-Grenzwert bei 40 Mikrogramm – also viermal so hoch. Auch die Empfehlung für Feinstaub-Grenzwerte sinkt deutlich.

Abgas: Schon gegen aktuelle Grenzwerte wird in Hamburg verstoßen

Schon gegen diesen Wert wurde in fast allen Städten jahrelang verstoßen – so dass auch angesichts von Klagen und Gerichtsurteilen in Hamburg an manchen Straßen Fahrverbote für ältere Diesel verhängt wurden. Eine Absenkung der Grenzwerte auf ein Viertel könnte daher zu deutlich massiveren Einschränkungen führen. In Städten sind Dieselfahrzeuge Hauptquelle des Schadstoffs.

Die WHO-Richtlinie ist allerdings zunächst nur eine Empfehlung. Gleichwohl hat das Europäische Parlament im Frühjahr 2021 bereits beschlossen, dass die erwarteten neuen WHO-Leitlinien zur Grundlage für die EU-Politik werden sollen. Ob, wie und wann genau das geschieht, ist noch unklar. Es ist allerdings zu erwarten, dass die neuen WHO-Vorgaben sich mittelfristig auch in Europa, Deutschland und Hamburg auswirken werden – durch niedrigere Grenzwerte.

Neue WHO-Empfehlung: BUND sieht sich bestätigt

Der Naturschutzverband BUND, der seit Jahren gegen Luftverschmutzung in Hamburg kämpft, sieht sich durch die WHO-Entscheidung bestätigt. Der BUND habe sich in mehreren Gerichtsverfahren gegen die Stadt durchgesetzt, damit diese endlich die bereits seit über zehn Jahren europaweit geltenden Grenzwerte einhalte und einen neuen Luftreinhalteplan auf den Weg bringe, sagte BUND-Vorsitzende Christiane Blömeke. Nun sei davon auszugehen, dass die EU-Kommission diese Grenzwerte im Sinne der WHO-Vorgaben nochmals verschärfe.

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„Das zentrale Anliegen muss die Gesundheit der Menschen sein. Wir fordern den Hamburger Senat und die Umweltbehörde deshalb auf, einen Luftreinhalteplan auf den Weg zu bringen, der nicht nur die Einhaltung der derzeit gültigen Grenzwerte berücksichtigt, sondern auch die neuen Vorgaben der WHO“, sagte Blömeke dem Abendblatt. „Ansonsten läuft der Senat Gefahr, dass der Plan bereits in wenigen Monaten wieder vor den Gerichten landet.“

Nabu über Verschärfungen: "Krass, aber auch überfällig"

Der Vorsitzende des Naturschutzbundes Deutschland (NABU), Malte Siegert, nannte die Verschärfungen „krass, aber auch überfällig“. Die EU müsse die neuen Vorgaben jetzt so schnell wie möglich in europäisches Recht überführen. „Wenn Hamburg diese Grenzwerte umsetzt, muss es massive Änderungen in der Verkehrspolitik und am Hafen geben“, so Siegert. „Die Belastung gerade am Hafenrand ist gewaltig.“

Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe sprach von einer „schallenden Ohrfeige für die Bundesregierung und Verkehrsminister Scheuer, der noch vor zwei Jahren sogar die bislang geltenden, laxen NO2-Grenzwerte abschaffen wollte“.

Umweltbehörde: WHO-Richtlinien allein nicht durchsetzbar

In der Umweltbehörde will man den Ball dagegen erst einmal flach halten. „Die Empfehlungen der WHO müssten zunächst in EU-Recht und in der Folge in deutsches (Bundes-)Recht übertragen werden. Auf Landesebene haben wir hierzu keine Gesetzgebungskompetenz“, sagte Umweltbehördensprecherin Renate Pinzke.

„Rechtlich bindend sind für uns die nach deutschem Recht festgesetzten Werte, die der Umsetzung von EU-Recht dienen. Allein auf Basis von WHO-Richtlinien zu handeln, wäre also nicht durchsetzbar. Für uns beinhalten die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation aber immer Zielwerte, die wir im Blick haben und uns noch ehrgeiziger in der Luftreinhaltung machen.“

WHO verschärft Grenzwert-Empfehlung auch für Feinstaub

Die WHO hat neben den Grenzwerten für NO2 auch die für Feinstaub, Schwefeldioxid (SO2), Ozon (O3) und Kohlenmonoxid (CO) angepasst. Beim gröberen Feinstaub (PM10) sinkt die Empfehlung von 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel auf 15, beim feineren „lungengängigen“ Feinstaub PM2.5 von 10 auf 5 Mikrogramm.

Begründet werden die Änderungen mit den Ergebnissen von Langzeitstudien. Seit der letzten Anpassung 2005 habe es viele neue Beweise gegeben, wie stark Luftverschmutzung die Gesundheit belaste, schreibt die WHO in ihrer Presseerklärung. Daher seien die Werte angepasst worden. Ihre Überschreitung führe zu „signifikanten Risiken für die Gesundheit“, ihre Einhaltung könne Millionen Leben retten.

Luftverschmutzung "eine der größten Umweltbedrohungen"

Pro Jahr führe Luftverschmutzung zu geschätzt sieben Millionen vorzeitigen Todesfällen. Bei Kindern könne Luftverschmutzung zu reduziertem Lungenwachstum und Asthma führen, bei Erwachsenen zu Herzerkrankungen und Infarkten. Auch gebe es Hinweise, dass Nervenerkrankungen und Diabetes durch Luftschadstoffe ausgelöst werden könnten, so die WHO.

Luftverschmutzung sei „eine der größten Umweltbedrohungen der menschlichen Gesundheit, zusammen mit dem Klimawandel“.