Hamburg. Extreme Wettereignisse haben Auswirkungen auf unseren Körper. Der BKK-Landesverband Nordwest hat vier Aspekte untersucht.
Starkregen, Hitzewellen, Stürme und Tornados – wie stark Wetterextreme unser Leben beeinflussen, hat gerade das Drama um die Flutkatastrophe im Südwesten Deutschlands gezeigt. Auch in den vergangenen Jahren hat der Klimawandel mit Hitzewellen und Stürmen zu starken Beeeinträchtigungen im Alltag geführt. Wie sich der in den vergangenen Jahren zu beobachtende Temperaturanstieg und die steigende Häufigkeit von Tagen mit extrem hohe Temperaturen oder Hitzetagen auf unsere Gesundheit auswirkt, hat der BKK-Landesverband Nordwest untersucht.
Er hat die Zusammenhänge und die Entwicklung klimasensibler Erkrankungen von mehr als zehn Millionen BKK-Versicherten im Zeitraum von 2010 bis 2019 unter die Lupe genommen. In ihrer Analyse kommt die Krankenkasse zu dem Schluss, dass klimasensible Erkrankungen in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland teilweise drastisch angestiegen sind. Im Mittelpunkt der Untersuchung standen die Auswirkungen von Hitzetagen, die Zunahme und Ausbreitung von Infektionskrankheiten, Allergien und Hautkrebserkrankungen.
Hitzeschäden: Besonders betroffen waren junge Menschen
Laut der Analyse ist die Zahl der durch Hitze verursachten Erkrankungen, wie zum Beispiel Hitzeerschöpfung, Hitzekollaps, Hitzekrampf und Hitzschlag, deutlich angestiegen. Dabei ergibt sich ein Zusammenhang mit der jährlichen Zahl der Hitzetage, an denen die Temperatur mindestens 30 Grad erreicht. Spitzenwerte wurden im Sommer des Jahres 2018 erreicht, das mit einer Durchschnittstemperatur von 10,5 Grad das bislang wärmste Jahr in Deutschland seit dem Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881 war. Allein in Hamburg gab es 86,67 Behandlungsfälle auf 100.000 Versicherte, teilweise doppelt so viele wie in den Jahren zuvor.
Besonders betroffen von Hitzeschäden war die Altersgruppe der 15- bis 29-Jährigen. Besonders betroffene Berufsgruppen waren Spargelstecher, Verkäufer und Krankenpflegekräfte. Von April bis September 2019 registrierte die Krankenkasse bei ihren Versicherten 102 Arbeitsunfähigkeitstage je 100.000 BKK-Versicherte, fast eine Verdreifachung im Vergleich zu 2011.
Besonders gefährlich ist Flüssigkeitsmangel
Was bei Hitze besonders gefährlich werden kann, ist ein Flüssigkeitsmangel. Wenn die Flüssigkeit, die der Körper bei Temperaturen über 30 Grad verliert, nicht durch ausreichende Trinkmengen ausgeglichen wird, kann es zu einer bedrohlichen Austrocknung kommen. Das Risiko für Thrombosen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Nierenversagen steigt. Außerdem bedeutet die Hitze Stress für den Körper, weil er mehr Energie dafür aufwenden muss, die Körperkerntemperatur von etwa 37 Grad konstant zu halten.
Die Krankenkasse hat in der Zeit von 2010 bis 2019 einen Anstieg der Krankenhauseinweisungen festgestellt. In den Monaten von April bis September stiegen sie kontinuierlich an, um 31,5 Prozent auf 782 Fälle je 100.000 BKK-Versicherte im Bund. Besonders betroffen waren davon Säuglinge und Kleinkinder sowie ältere Menschen ab 75 Jahren.
Heuschnupfen-Fälle in Hamburg um 25 Prozent gestiegen
Auch beim Heuschnupfen sieht die Krankenkasse einen Zusammenhang mit dem Klimawandel. Die Zahl der daran Erkrankten stieg im Beobachtungszeitraum um 29,16 Prozent. Ein besonders hoher Anstieg war in Nordrhein-Westfalen zu beobachten und eine besonders hohe Patientenanzahl in Hamburg. In der Hansestadt stieg die Zahl der Fälle von Heuschnupfen von 2010 bis 2019 um 25 Prozent. In allen Bundesländern waren Frauen um rund zehn Prozent häufiger betroffen als Männer. 2019 waren 6,2 Prozent aller BKK-Versicherten wegen eines Heuschnupfens in ärztlicher Behandlung.
Auch wenn die Ursache für den Anstieg nicht eindeutig geklärt ist, nennt die Kasse als wahrscheinliche Gründe:
- Die Pollensaison verlängert sich, da die allergieauslösenden Pflanzen, zu denen Birkengewächse wie Haselnuss, Erle und die Birke sowie Gräser und Kräuter zählen, infolge der steigenden Temperaturen länger blühen.
- Die Pollenmenge erhöht sich, da die ansteigende Konzentration von CO2 das Pflanzenwachstum und die Pollenproduktion begünstigen.
- Die Verbreitungsgebiete von Pollen werden größer, da wärmere Luftmassen sie über größere Distanzen tragen.
- In Ballungsgebieten mit einer hohen Belastung an Luftschadstoffen verstärken diese Substanzen offenbar die allergene Wirkung der Pollen. So binden Feinstaubpartikel, die mit Pollen interagieren, Substanzen an sich, die Allergien auslösen können (Allergene). Es entstehen allergenhaltige Aerosole (Schwebeteilchen). Diese gesellen sich in der Atmosphäre zu den Pollen und bewirken dann zusätzlich zu den ohnehin vorkommenden Pollen allergische Reaktionen.
- Es gibt neue Quellen für Pollen. Im Zuge des Klimawandels fühlen sich in Deutschland zunehmend allergene Pflanzen wohl, die ursprünglich in wärmeren Regionen der Erde beheimatet sind und mit dem globalen Handelsund Reiseverkehr auch nach Europa kamen. Dazu zählt die o. g. Ambrosia artemisiifolia, das Beifußblättrige Traubenkraut, dessen Samen vermutlich im Vogelfutter nach Europa gelangten. Die hochallergenen Pollen lösen ab August/ September den sogenannten Spätsommerheuschnupfen aus.
Lyme-Borreliose: In allen Bundesländern auf dem Vormarsch
Der Klimawandel begünstigt auch die Aus- und Verbreitung von Infektionskrankheiten. Mit steigenden sommerlichen Temperaturen, milderen Wintern und verstärkten Niederschlägen ändern sich die klimatischen Bedingungen. Damit verändern sich auch die Lebensbedingungen von krankmachenden Mikroorganismen. Untersucht wurde insbesondere die Ausbreitung der Lyme-Borreliose, die durch Zecken übertragen wird.
In ihrer Analyse hat die Krankenkasse festgestellt, dass die Lyme-Borreliose in allen Bundesländern auf dem Vormarsch ist. Die höchsten Werte wurden in Sachsen(1171 Patienten je 100.000 Versicherte in Monaten April bis September 2019), und Thüringen (896 Patienten /100.000 Versicherte) festgestellt, geringe Werte in den Stadtstaaten Berlin (302 Patienten/100.000 Versicherte) und Hamburg (227 Patienten/100.000 Versicherte).
Hautkrebs: Zahl ambulanter Behandlungen um 78 Prozent gestiegen
Die vermehrte Sonnen- und UV-Einstrahlung, die mit dem Klimawandel einhergehen, erhöhen das Risiko für weißen und schwarzen Hautkrebs. Die UV-Strahlung ist sogar die Hauptursache für Hautkrebs, insbesondere, wenn es dadurch zu Sonnenbränden kommt. Schwere kindliche Sonnenbrände steigern das Risiko sogar um das Zwei- bis Dreifache.
Die Krankenkasse hat festgestellt, dass die Zahl ihrer Versicherten, die sich wegen eines Hautkrebses in ambulanter Behandlung befinden, im Beobachtungszeitraum um 78 Prozent gestiegen ist und dass die Zahl der Krankenhauseinweisungen wegen eines Hautkrebses ebenfalls deutlich gestiegen ist. Im Jahr 2019 waren mehr als sechs Prozent der BKK-Versicherten daran erkrankt.
Klimawandel: Was für den Schutz der Gesundheit nötig ist
Aufgrund dieser Ergebnisse kommt die Krankenkasse zu dem Schluss, dass zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung folgende Aspekte zur Klimaanpassung berücksichtigt werden müssen:
- Bei der Stadtentwicklung ist immer zu beachten, dass Städte oft Hitzefallen sind. Beispielsweise ausreichend Grünanlagen, Windschneisen und Gründächer können dem entgegenwirken.
- Flexible Arbeits-und Arbeitszeitmodelle müssen entwickelt werden, um Hitzestress zu reduzieren.
- Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen sind bislang baulich hierauf meist nicht vorbereitet. In der Planung und der Sanierung der Einrichtungen muss die Klimaanpassung ein zwingender Eckpunkt werden.
- Älteren Menschen fehlt es oft am gesunden Durstgefühl. Mangelnde Flüssigkeitszunahme verstärkt die Hitzeerkrankungen unmittelbar. Die Kontrolle der Getränkeaufnahme in Pflegeheimen muss ein standardisierter Prozess werden. Bei alleinstehenden Personen können digitale Hilfsmittel mit Erinnerungsfunktion helfen.
- Spezielle Informationen und Prävention sind zur Vermeidung von durch Zecken oder Mücken übertragene Infektionserkrankungen und Hautschäden durch Sonnenlicht wichtig.
- Apps zur Warnung vor regionalen Wetterextremen und Pollenflug können betroffene Menschen ebenfalls helfen.