Hamburg. Das Bezirksamt Wandsbek erklärt die Wege des Wassers für regelkonform, auch wenn sie jenseits der Entwässerungssysteme verlaufen.

Wer im Hamburger Nordosten Opfer von Starkregenfällen wird und regelmäßig Wassereinbrüche erlebt, kann bis auf Weiteres keine Hilfe von der Stadt erwarten. Das Bezirksamt Wandsbek hat angesichts der sintflutartigen Regenfälle vom 10. September jegliche Verantwortung von sich gewiesen und erklärt, die Entwässerungssysteme seien „richtlinienkonform nicht auf jedwedes Starkregenereignis ausgelegt“.

Laut Hamburg Wasser verkraften die Systeme Starkregenereignisse der Kategorie 1 und 2. Ab Stärke 3 kann es zu Überschwemmungen kommen. Am Freitag des 10. September erreichte der Regen die Stärken 4, 5 und 6 in der bis 12 reichenden Skala. Im Einsatzbericht der Feuerwehr heißt es:

Viele Hamburger Stadtteile von Starkregen betroffen

„In den Stadtteilen Sasel, Poppenbüttel, Wellingsbüttel, Lemsahl-Mellingstedt, Bergstedt und Duvenstedt sowie vereinzelt auch in anderen Stadtteilen (Alle im Bezirk Wandsbek, Anmerkung der Redaktion) traten Entwässerungsgräben und Bäche über die Ufer, wurden Straßen überflutet, liefen Keller von Wohngebäuden, Schulen und Tiefgaragen mit Regenwasser voll. Im Zeitraum von 8.30 Uhr bis 12 Uhr wurden im sogenannten Betriebszustand Ausnahme insgesamt rund 300 wetterbedingte Einsätze disponiert und überwiegend durch die Kameradinnen und Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr abgearbeitet. Diese waren mit 18 Wehren im Einsatz.“

Auch die Familie Stumpf in der Poppenbütteler Hennebergstraße befand sich im Ausnahmezustand. Bereits zum zweiten Mal in diesem Sommer waren ihre Doppelgarage im Keller und sämtliche Räume im Untergeschoss voll Wasser gelaufen.

Das Amt beschreibt nur die Wege des Wassers

„Wir liegen am tiefsten Punkt der Straße“, sagt Hans Stumpf. „Das Wasser kommt von den Grundstücken der Stadtbahn- und der Meinertstraße in die Hennerbergstraße und wird per Rohr von der Stadt unter der Fahrbahn hindurch auf unsere Straßenseite geführt. Da tritt der Graben über die Ufer und schickt das Wasser über unsere Einfahrt in den Keller.“ Mithilfe von Nachbarn und einer größeren Pumpe als der von Stumpf besorgten waren die 30 Zentimeter Wasser in der Garage nach zwei Stunden wieder im Garten.

Auf Fragen nach Ursachen für die Überlastung des Grabensystems reagiert das Bezirksamt Wandsbek nur mit Erläuterungen zum Weg des Wassers: „Die Belegenheit Hennebergstraße 22 weist die Besonderheit auf, dass ab der Grundstücksgrenze die Zufahrt zum Haus (Tiefgarageneinfahrt) hin abschüssig und versiegelt ist. Der tiefste Punkt der Auffahrt liegt vermutlich tiefer als der Entwässerungsgraben an der Straße. Wenn also viel Wasser von oben kommt, läuft es zum Haus hin und nicht vom Haus weg. Wenn die Entwässerung auf dem Grundstück die Wassermasse nicht mehr bewältigen kann, sammelt es sich dort bzw. läuft in den Keller. Wenn zusätzlich die Grabenentwässerung an der Straße die Wassermassen nicht mehr bewältigen kann, fließt auch das Oberflächenwasser von der Straße an tieferliegende Stellen wie hier ab.“

Stumpf bat schon vor zehn Jahren um Hilfe

Vor zehn Jahren bereits machte Stumpf den Wegewart des Bezirksamtes auf diese schlichten Tatsachen aufmerksam und bat um Hilfe. Schließlich könne die vom Amt angesprochene „Entwässerung auf dem Grundstück“ der Stumpfs nicht den Regen ganzer Straßenzüge aus der Nachbarschaft aufnehmen.

Das Amt habe im Juni 2011 schriftlich die Umleitung des Wassers aus der Meinertstraße angekündigt und nichts getan, sagt Stumpf. Auf Abendblatt-Anfrage äußerte es sich nicht zu dem Vorwurf. Stumpf hat jetzt einen Anwalt eingeschaltet. „Es ist richtig, dass wir unser Grundstück auch selbst schützen müssen“, sagt Stumpf. „Aber die Stadt kann uns nicht aktiv das Wasser anderer zuleiten und erwarten, dass wir das auf unsere Rechnung speichern oder entsorgen.“

Paradigmenwechsel in der Wasserwirtschaft

Mit dem von Umweltbehörde und dem städtischen Entwässerungsunternehmen Hamburg Wasser 2015 verkündeten Paradigmenwechsel in der Wasserwirtschaft soll der Regen nicht mehr bloß abgeleitet, sondern möglichst zurückgehalten werden, um die natürliche Versickerung und Verdunstung zu nutzen. Das soll der immer noch zunehmenden Verdichtung, aber auch dem Klimawandel Rechnung tragen. Das Programm zur „Regeninfrastrukturanpassung“ (RISA) soll die Gräben und Siele entlasten, und zugleich anerkennen, dass Siele und Grabensysteme nur bedingt Schutz vor Starkregen bieten können.

Demnach wäre das Wasser aus Meinert- und Stadtbahnstraße nicht auf kürzestem Weg in den am tiefsten liegenden Graben zu leiten, sondern möglichst lange sowohl in der Grünanlage Ecke Stadtbahnstraße als auch im zweiten Entwässerungsgraben auf der höher gelegenen Seite der Hennebergstraße zu halten. Das Rohr unter der Straße entwässert jedoch den Graben der höher liegenden Straßenseite schon bei geringen Wasserständen in den tieferliegenden Graben, hält das Wasser also gerade nicht zurück. Die Grünanlage wird auch nicht systematisch genutzt. Beides ginge nach RISA besser.

Hamburg Wasser ohne Statement

Hamburg Wasser wollte sich mangels Zuständigkeit zu den Gräben nicht äußern, bot aber an, die Grünanlage RISA-gerecht umzugestalten, falls das Bezirksamt die Arbeiten beauftrage. In Höhe des Hauses Hennebergstraße 16 gibt es im Graben ein weiteres Rohr, dass das Wasser der tief liegenden Straßenseite über Privatgrund zur S-Bahn-Trasse und Richtung Alster ableiten soll. Dieses Rohr soll auch Stumpfs Grundstück Nummer 22 entlasten.

Es sei laut Amt von der Bahn erweitert und „nach einem vergangenen Starkregenereignis“ gespült worden, sodass „Verstopfungen dort unwahrscheinlich sind – bei dem Einzugsgebiet und der Wetterlage allenfalls eine Vollfüllung“. Ein Blick des Abendblatt-Reporters in den verrohrten Teil des Grabens kurz vor dem Ablauf zeigte jedoch, dass nur die Hälfte des Querschnitts frei von Schlick war.

Amt hält Grabenunterhaltung für ausreichend

Die jährliche Grabenunterhaltung ist laut Amt aber ausreichend. „Die Gewässer in den Stadtteilen werden nach der Richtlinie für die Gewässerunterhaltung so gepflegt, dass das jeweilige Bemessungshochwasser ungehindert abfließen bzw. in den Rückhaltebecken zurückgehalten werden kann und die Verkehrssicherheit gewährt wird.“

Mit anderen Worten: Nur Starkregen der Stärken eins und zwei werden bewältigt, und das entspricht dem, was Gesetze und Verordnungen als „verkehrssicher“ einstufen. Resümierend schreibt das Amt: „Hinsichtlich Ihrer Aufgaben sind die Anlagen in einem angemessenen Zustand. Die Begrenztheit der Mittel führt vereinzelt dazu, dass darüber hinausgehenden Bedürfnissen an die Schönheit und Sauberkeit der Anlagen nicht immer Rechnung getragen werden kann und teilweise der Eindruck eines weniger guten Pflegezustandes entsteht.“

Hamburger Familie muss selbst Barrieren errichten

Das klingt nicht nach Aktionismus. Stumpf wird laut Hamburg Wasser kaum umhinkommen, auf seinem Grundstück selbst Barrieren zu errichten, die das Wasser auf dem Gehweg halten oder zumindest daran hindern, die Garageneinfahrt hinabzustürzen.