Hamburg. Eine neue Studie zeigt: Kinder stoßen deutlich weniger gefährliche Aerosole aus. Schon 3500 Menschen bei Sonderaktionen geimpft.

„Die Auswirkungen der Pandemie treffen leider ausgerechnet die Kinder und Jugendlichen besonders hart, die es auch vorher schon schwer hatten. Um sie müssen wir uns ganz besonders kümmern“, sagte Familienministerin Christine Lambrecht (SPD) am Mittwoch. Die neuen Empfehlungen, die ihr Ministerium mit dem Gesundheitsministerium von Jens Spahn (CDU) herausgibt, haben im Kern eine Botschaft: Für Kinder soll so schnell und sicher wie möglich die Normalität zurückkehren.

Die neue Studie über die Infektionsrisiken, die dem Abendblatt vorliegt, unterstützt diesen Weg. Wie der Charité-Experte Prof. Dirk Mürbe in aufwendigen Experimenten herausfand, verbreiten sich Aerosole, die Coronaviren transportieren können, bei Kindern deutlich weniger stark als bei Erwachsenen. Mit Vorsichtsmaßnahmen und Testen dürfte das Infektionsgeschehen an Schulen demnach weniger dramatisch verlaufen als bisher gedacht.

Trotz Impfung mussten neun Menschen intensiv behandelt werden

Mürbe stellt seine Ergebnisse am Freitag bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie am UKE vor. Tagungspräsidentin Dr. Christina Pflug (UKE-Klinikdirektorin) sagte: „Die Schalldruckpegel sind das Entscheidende – und die sind bei Kindern geringer. Um die Aerosolemissionen zu senken, sollte auf eine ausreichende Lüftung geachtet werden. Gleichzeitig gilt: Je größer der Raum, desto geringer die Konzentration.“ Kinder sollten wieder unbeschwert singen dürfen, wenn man sich an diesen Maßstäben orientiere.

Bislang mussten in Hamburg 86 Menschen, die an Corona erkrankt sind, obwohl sie vollständig geimpft waren, im Krankenhaus behandelt werden. Neun von ihnen mussten sogar auf die Intensivstation. Dennoch bleibt die Zahl der sogenannten „Impfdurchbrüche“ in Hamburg ausgesprochen niedrig. Bei 1.164.692 vollständigen Impfungen (bis 30. August) gab es 1405 Fälle.

Senat: Inzidenzen nur „Momentaufnahme“

In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des Linken-Gesundheitspolitikers Deniz Celik geht der Senat auch auf mögliche Ursachen dafür ein, dass die Infektionszahlen bei Kindern und Jugendlichen in den Bezirken sehr unterschiedlich sind. Die großen Abweichungen bei den Inzidenzen seien nur eine „Momentaufnahme“, so der Senat.

„Zu den Faktoren, die zu einer unterschiedlichen Inzidenz beitragen können, gehören beispielsweise die Gesamtinzidenz in dem jeweiligen Bezirk, die Wohnverhältnisse, die Arbeitsverhältnisse, unterschiedliches Kontaktverhalten und der Grad der Mobilität, sowie die Inanspruchnahme von Testmöglichkeiten und Impfangeboten.“

Celik: Senat blendet die "soziale Dimension" aus

Hintergrund: Bis Ende August erhobene Daten zeigen extreme Unterschiede zwischen den Bezirken. So lag die Sieben-Tage-Inzidenz bei den Sechs- bis Elfjährigen in Mitte bei 378, in Eimsbüttel aber bei nur 45. Bei den Zwölf- bis 17-Jährigen verzeichnete Mitte eine Inzidenz von 434, Eimsbüttel aber nur 91.

„Wenn der Senat die unterschiedlichen Inzidenzen in den Bezirken nur als Momentaufnahme abtut, blendet er damit die soziale Dimension der Pandemie weiterhin völlig aus. Kein Wunder also, dass die dezentralen Impfangebote in Hamburg viel zu spät gekommen sind“, kritisierte Linken-Gesundheitspolitiker Celik.

„Wir haben als Linksfraktion immer wieder das unterschiedliche Infektionsgeschehen in den Bezirken mit Anträgen und Anfragen begleitet. Hamburg hat bei dem Thema ganz erheblichen Nachholbedarf: Wir brauchen mehr zielgruppenspezifische Ansprache und tägliche Impfangebote.“

Kommt die Corona-Ampel?

Dabei verweist die Linke auf das Beispiel Bremen, wo alle Jugendlichen von der Stadt angeschrieben worden seien. Celik kritisiert auch, dass der rot-grüne Senat neben der Inzidenz zunächst keine anderen Indikatoren zur Bewertung der Pandemielage nutzt.

„Hamburg hat in Erwartung bundesweiter Parameter bislang keine gesonderten Leitindikatoren oder Schwellenwerte eingeführt“, hatte der Senat auf seine Anfrage geantwortet. Das findet der Linken-Politiker unbefriedigend. „Ob bei der Ausgangssperre oder 2G, der Senat ist bei seiner bisherigen Corona-Politik immer ganz weit vorgeprescht und hat sich furchtbar gern als bundesweiter Vorreiter präsentiert.

Deshalb ist die Zurückhaltung jetzt schon sehr auffällig, wenn es um das Thema Datenerhebung geht“, so Celik. „Plötzlich will Hamburg auf bundeseinheitliche Regeln warten.“ Der Bewertungsmaßstab für die aktuelle Corona-Lage sei intransparent. „Was spricht beispielsweise gegen eine Corona-Ampel nach Berliner Vorbild?“

Wirkungsvoll: Impfangebot an ungewöhnlichen Orten

Die Sieben-Tage-Inzidenz ist indes in Hamburg weiter gesunken: von 79,6 auf 76,5. Die Sozialbehörde nannte am Mittwoch 275 Neuinfektionen, 85 mehr als am Dienstag, 60 weniger als vor einer Woche. Vier neue Todesfälle sind zu beklagen. In den Kliniken wurden 144 Corona-Patienten behandelt, 57 auf Intensivstationen, sieben mehr als zuletzt.

Bei der am Montag gestarteten Impfaktionswoche sind in Hamburg laut Sozialbehörde bereits in den ersten beiden Tagen 3500 Menschen geimpft worden. Es gebe zahlreiche unkomplizierte Angebote in der Hansestadt, um noch mehr Menschen zu erreichen. Auch in der Kirchengemeinde Ottensen ließen sich am Mittwoch zahlreiche Menschen impfen. „Es zeigt sich sehr klar, dass es sehr nützlich ist, auch an ungewöhnlichen Orten zu sein“, sagte der Behördensprecher.