Hamburg. Im historischen Kuhmühlensiel spricht der Chef von Hamburg Wasser, Ingo Hannemann, über Hygiene und Trinkwasser der Zukunft.

Ab in die Unterwelt! Dreieinhalb Meter tief unter der Erde erstreckt sich am Baumwall das Sielnetz. In der Interviewreihe „Auf ein Wort an einem besonderen Ort“ spricht dort Ingo Hannemann, Technischer Geschäftsführer von Hamburg Wasser, über Hygiene und das Trinkwasser der Zukunft.

Hamburger Abendblatt: Wie oft waren Sie hier, im historischen Kuhmühlensiel mit dem legendären Ankleidezimmer für Kaiser Wilhelm II?

Ingo Hannemann: Es ist das dritte Mal in dreieinhalb Jahren meiner Dienstzeit für Hamburg Wasser.

Mit Anzug sind Sie allerdings etwas overdressed.

Hannemann: Ich habe zumindest Arbeitsschuhe angezogen. Denn Arbeitssicherheit wird bei uns ganz groß geschrieben.

Wonach riecht es hier?

Hannemann: Das ist das typische Abwasser, was wir im Hamburger Stadtgebiet haben. Abwasser aus Haushalten, Gewerbebetrieben, Büros. Industrie haben wir in Hamburg-Mitte nicht so viel, und, wenn es regnet, natürlich auch Regenwasser. Das Abwasser wird im Klärwerksverbund Köhlbrandhöft-Dradenau gereinigt. Es hat danach eine so gute Qualität, dass wir es in die Elbe zurückgeben können.

Was schwimmt im Abwasser?

Hannemann: Alles, was aus Haushalten kommt: Spülwasser, Fäkalien, Klopapier, Medikamentenrückstände. Arzneimittel gelangen über die natürlichen Ausscheidungen der Menschen ins Abwasser. Manchmal werden sie jedoch noch immer unsachgemäß in der Toilette entsorgt.

Könnte man auch Coronaviren nachweisen?

Hannemann: In sehr geringer Konzentration.

Welche Bakterien würden man finden?

Zum Beispiel Darmbakterien und sonstige Krankheitserreger.

Von einigen Ihrer Kollegen weiß ich, dass sie vor Jahren einmal ins Siel gefallen waren.

Hannemann: Das passiert heutzutage nicht mehr. Wir haben umfangreiche Schutzmaßnahmen. Zudem sind unsere Leute geimpft, etwa gegen Hepatitis A und B.

Hamburg war im 19. Jahrhundert europaweit ein abschreckendes Beispiel für schlechte Hygiene beim Abwasser. Wie ist es dazu gekommen, dass es damals besser wurde?

Hannemann: Nach dem Großen Brand 1842 hatte die Bürgerschaft entschieden, eine zentrale Wasserversorgung und Abwasserentsorgung aufzubauen. Die Wiege der Wasserversorgung steht in Rothenburgsort. Gleichzeitig hat man die Kanalisation aufgebaut, mit der das Abwasser aus den Straßen abgeführt wurde. Damals war es üblich, die Nachteimer auf der Straße zu entsorgen.

Und wie kam es zu besserem Trinkwasser?

Hannemann: Die Konzepte für die zentrale Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung in der Hansestadt hat der Brite William Lindley entwickelt. Auf ihn geht auch das Kuhmühlensiel zurück, obwohl es erst später, 1904, fertiggestellt wurde. Damals war es so: Das aufbereitete Elbwasser enthielt immer noch Krankheitserreger wie Cholera-Bakterien. Sie lösten 1892 eine Epidemie aus. Erst durch die Inbetriebnahme der Wasseraufbereitung in Kaltehofe mit den Filteranlagen, der noch heute sehr gut erhaltenen Wasserkunst-Anlage, verbesserte sich die Sauberkeit des Wassers. Historisch gesehen verfügte Hamburg über die erste großtechnische Abwasser-Kanalisation auf europäischem Festland.

Was bedeutet es für Sie persönlich, Geschäftsführer eines Unternehmens mit dieser langen Tradition zu sein?

Hannemann: Es ist großartig, für zwei Millionen Menschen die Aufgabe der Trinkwasserversorgung und die Abwasserentsorgung zu verantworten. Ich weiß jeden morgen, wofür ich aufstehe. Das geht den mehr als 2000 Kolleginnen und Kollegen bei Hamburg Wasser genauso! Wir sind wichtiger Bestandteil der Wasserkreislaufs: Wir gewinnen unser Rohwasser aus dem Grundwasser mit hervorragenden Qualitäten. In dem Moment, wo jemand z. B. die Klospülung drückt, wird aus dem Trinkwasser Abwasser. Und das entsorgen wir.

Das Sielnetz bedarf ständiger Sanierungen.

Hannemann: In der Tat! Die ältesten Siele gehen auf das Jahr 1842 zurück. Dieses Siel am Baumwall ist knapp 120 Jahre alt. Wir machen regelmäßig Kanalbefahrungen, um den Zustand auch in den kleinen Sielen zu prüfen. Jedes Jahr investieren wir in unsere Trinkwasser- und Abwasserstrukturen rund 200 Millionen Euro – für Erneuerung und Erweiterung. Allein in die Erneuerung des Sielnetzsystems haben wir in den vergangenen 30 Jahren rund 700 Millionen Euro investiert. Zudem haben wir in 25 Metern Tiefe so genannte Abwasserautobahnen, die das Wasser auf schnellstem Weg zum Klärwerk bringen. Wir arbeiten gerade an Plänen für das Klärwerk der Zukunft - 2030. Dabei wollen wir das Klärwerk um neue Reinigungsstufen erweitern.

Was bedeutet das?

Hannemann: Wir wollen Mikroschadstoffe wie Mikroplastik aus Kosmetika und Zahnpasta sowie Spurenstoffe herausfiltern. Mikroplastik gehört nicht ins Abwasser, da sollte der Gesetzgeber entsprechend handeln. Das andere Problem sind Medikamentenrückstände. Wir betreiben im Stadtteil Jenfelder Au eine Forschungsanlage, in der wir solche Rückstände untersuchen. Dort weisen wir etwa Diclofenac im Abwasser nach, ein Arzneimittel gegen Schmerzen. Zudem bauen wir eine Versuchsanlage in Eppendorf auf, um gemeinsam mit dem UKE Krankenhausabwässer zu untersuchen. Und als Drittes sind weitere Krankheitserreger im Visier, die man abtöten könnte.

Ein spannendes Arbeitsfeld. Welche Berufsgruppen arbeiten für Hamburg Wasser und werden auch künftig gebraucht?

Hannemann: Wir sind ein technisch geprägtes Unternehmen. Angefangen von sämtlichen Ingenieur-Disziplinen bis zur kaufmännischen und juristischen Seite. Wir haben bei den Azubis unter anderem Industriemechaniker, Fachkräfte für Abwassertechnik, Rohrleitungsbauer und im kaufmännischen Bereich ebenfalls diverse Berufe.

Wie sicher ist die Trinkwasserversorgung der Stadt?

Hannemann: Die Trinkwasserversorgung in Hamburg ist sicher. Allerdings gibt es bestimmte Risiken wie in einem trockenen, heißen Sommer, wenn sehr viele Menschen gleichzeitig Wasser entnehmen. Dann könnte es zu Engpässen kommen. Wir rufen in diesen Fällen dazu auf, dass nicht alle in der prallen Sonne ihren Rasensprenger anstellen und die Pools befüllen. Wir greifen auf verschiedene Wasserressourcen zurück, auch aus der Nordheide. Sie ist für uns unverzichtbar, gerade um die rund 300.000 Menschen in und um Altona mit Trinkwasser zu versorgen.

Was kann jeder Einzelne zum Wassersparen beitragen?

Hannemann: Man kann beispielsweise Regenwasser in Regentonnen sammeln, um damit im Garten zu gießen.

Woher kommt Ihr privates Trinkwasser?

Hannemann: Da ich in Niedersachsen wohne, von einem anderen Anbieter. Aber im Büro genieße ich das sehr gute Hamburger Wasser aus der Leitung.