Hamburg. Im Hamburger Osten kämpfen zwei Politikerinnen von SPD und CDU um Platz eins. Ein Grüner will Dritter werden.
Hier ländliche Idylle mit ruhigen Rückzugsorten wie im wohlhabenden Volksdorf, dort wirtschaftlich weit schwächere Stadtteile wie Steilshoop und Jenfeld; dichter Autoverkehr auf bis zu sechsspurigen Straßen wie in Eilbek, zwei Einrichtungen der Bundeswehr, Großunternehmen wie Otto in Bramfeld einerseits, kleine Firmen und inhabergeführte Geschäfte andererseits – die Vielseitigkeit des Wahlkreises Wandsbek kann Wahlkämpfenden eine Menge abverlangen. Franziska Hoppermann gibt sich allerdings selbstbewusst: „Ich kenne ziemlich genau die Herausforderungen aus allen Stadtteilen“, sagt die Direktkandidatin der CDU – und verweist auf „20 Jahre kommunalpolitische Erfahrung im Wahlkreis“. Das habe keiner ihrer Mitbewerbenden zu bieten.
Die 39-Jährige engagierte sich von 2001 an in der Wandsbeker Bezirksversammlung: Zunächst als Mitglied im Jugendhilfeausschuss, von 2004 an als Abgeordnete, seit 2019 als Chefin der CDU-Fraktion. Mit Handwerkern, Vereinen, Verkehrsverbänden und Anwohnern habe sie oft über die konkreten Auswirkungen von bundespolitischen Entscheidung für die Menschen vor Ort diskutiert, sagt Hoppermann. „Das erdet einen sehr.“ Von 2009 an arbeitete die Mutter eines Sohnes im höheren Verwaltungsdienst, bis sie im April dieses Jahres den Posten der Zentralamtsleiterin in der Justizbehörde annahm.
Für die Direktkandidatur erhielt Hoppermann 97 Prozent der Stimmen
Für den Bundestag kandidiert sie zum ersten Mal. Obwohl die Umfrageergebnisse für die Union unbefriedigend sind, bleibt Hoppermann unerschütterlich dabei, dass sie ihren Wahlkreis für die CDU „zurückerobern“ will von ihrer SPD-Konkurrentin Aydan Özoğuz, die seit 2013 zweimal das Direktmandat holte, erneut antritt und von der zunehmenden Zustimmung für SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz profitieren könnte.
Auf einen solchen Rückenwind durfte Franziska Hoppermann zuletzt nicht hoffen. Wohl aber hat sie viel Unterstützung aus der Hamburger CDU erfahren: Für die Direktkandidatur im Wahlkreis Wandsbek erhielt Hoppermann 97 Prozent der Stimmen; zuvor war sie mit 90,4 Prozent auf Platz zwei der Landesliste gewählt worden, hinter Hamburgs CDU-Chef Christoph Ploß.
Hoppermann: Keine Neubauprojekte auf der grünen Wiese
Nach vier Jahren ohne Hamburger Christdemokratin im Bundestag hat die „Hoffnungsträgerin Hoppermann“, wie die „Bild“-Zeitung sie nannte, zwar auch ohne einen Sieg im Wahlkreis gute Chancen auf ein Mandat. Zurücklehnen will die Vorsitzende der Frauen-Union in Hamburg sich angesichts dieser Perspektive aber keinesfalls. „Natürlich kämpfe ich mit allem, was ich habe, für ein gutes Erst- und Zweitstimmen-Ergebnis.“
Als Bundestagsabgeordnete würde sie sich etwa dafür einsetzen, dass Planungsverfahren für große Infrastrukturprojekte wie die neu S-Bahn-Linie 4 in Hamburg verkürzt werden, sagt Hoppermann. Mit Blick auf die mit Bundesmitteln geförderte Mobilitätswende plädiert sie für besser ausgebaute Radstrecken zu U- und S-Bahn-Stationen, um Menschen zum Verzicht auf kurze und längere Autofahrten zu motivieren. Sie würde sich „nie für Neubauprojekte auf der grünen Wiese aussprechen“, so Hoppermann. Sinnvoller sei es, etwa entlang von Hauptverkehrsstraßen höher zu bauen. „Wir müssen kreativer sein in der Flächennutzung und dürfen nicht zu zusätzlicher Flächenversiegelung kommen“, sagt die CDU-Politikerin, die mitunter fast wie eine Grüne klingt.
Aydan Özoğuz: Energie- und Mobilitätswende müssen bezahlbar bleiben
Den Kampf gegen den Klimawandel schreibt sich auch SPD-Direktkandidatin Aydan Özoğuz auf die Fahne. Sie betont allerdings, dass die Energie- und die Mobilitätswende bezahlbar bleiben müssten. Sie werde oft mit der Sorge vor steigenden Heizkosten und Benzinpreisen konfrontiert, sagt die 54-Jährige. „Das beschäftigt die Menschen in meinem Wahlkreis sehr. Als Sozialdemokratin möchte ich besonders darauf achten, dass alle mitgenommen werden bei diesem Wandel.“
Dass sie erneut antritt, begründet die Bundestagsabgeordnete auch mit einer weiteren Motivation: „Ich sehe die große Chance, noch eine bessere Sozialpolitik umsetzen zu können“, sagt Özoğuz. Sie meint damit etwa die SPD-Forderung, den Mindestlohn auf zwölf Euro heraufzusetzen, sie will sich aber auch für bessere Löhne von Pflegekräften in Altenheimen und Krankenhäusern einsetzen. Auch in Hamburger Pflegeeinrichtungen und Kliniken habe sie sich „immer wieder angehört, wie die Lage ist“, sagt die SPD-Politikerin. „Wir haben sehr viele Pflegekräfte im Land, die nach wenigen Jahren wirklich kaputt sind. Ich würde mir wünschen, dass wir sie so entlohnen, dass sie – weil ich sie als hochmotiviert erlebe – auch weiter in ihrem Beruf bleiben würden“, so Özoğuz. „Es darf nicht beim Beifallklatschen und Dankeschönsagen bleiben.“
Zeitweise war Özoğuz Hamburgs ranghöchste Politikerin in Berlin
Als Integrationsbeauftragte und Staatsministerin im Kanzleramt war Özoğuz zeitweise Hamburgs ranghöchste Politikerin in Berlin. Von 2011 bis 2017 amtierte sie als eine der stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden. Den Verzicht auf eine erneute Kandidatur für dieses Amt begründete sie damit, mehr Zeit für ihre Tochter haben zu wollen. Ihren Wahlkreis Hamburg-Wandsbek gewann sie 2017 zwar wieder und lag mit 34,6 Prozent der Stimmen noch deutlich vor dem damaligen CDU-Kandidaten Eckard Graage (29,7 Prozent), allerdings hatte sie bei der Bundestagswahl 2013 mit 39,9 Prozent besser abgeschnitten. Einen Zielwert für die kommende Wahl will Özoğuz nicht nennen, stellt aber klar: „Ich trete an, um den Wahlkreis erneut zu gewinnen.“
In der zurückliegenden Legislatur habe sie „sehr viel geschafft“ für Hamburg-Wandsbek, sagt Özoğuz und verweist etwa darauf, dass auf ihre Initiative der Bund mehr als drei Millionen Euro für die Sanierung des Eichtalparks im Süden Wandsbeks bereitstellt. Das Geld stammt aus dem Investitionsprogramm zur Anpassung von Park- und Grünflächen an den Klimawandel. Auch für Bundesfördermittel zum Bau der S 4 in Hamburg und für die Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Jenfeld habe sie sich starkgemacht, sagt Özoğuz.
Die Aussage ihrer CDU-Konkurrentin Franziska Hoppermann, über 20 Jahre kommunalpolitische Erfahrung zu verfügen, kommentiert Özoğuz gelassen. Auch sie nimmt Bürgernähe und entsprechendes Verständnis für sich in Anspruch. „Mein großes Plus ist, dass ich seit 20 Jahren in ganz unterschiedlichen Positionen verschiedene Sichtweisen erfahren konnte, wie anders Verwaltung denkt als Bürgerinnen und Bürger“, sagt die SPD-Politikerin. „Das ist die große Aufgabe von Abgeordneten, genau diese Brücke zu bilden.“
Daniel Alexander Grimm: Weniger Autoverkehr, Abgase und Lärm
Während Özoğuz den Wahlkreis gewinnen kann, ist das für Grünen-Direktkandidaten Daniel Alexander Grimm unrealistisch. Gleichwohl hat sich der 42 Jahre alte Journalist und Werbetexter, Vater zweier Kinder, sieben Wochen lang für den Wahlkampf freigenommen. Sein Ziel ist Platz 3, nachdem die Grünen in Wandsbek 2017 bei den Erststimmen noch hinter der AfD und den Linken den fünften Rang belegt hatten. Er darf dabei darauf hoffen, vom bundesweiten Aufschwung für die Ökopartei zu profitieren, die in Hamburg der jüngsten Umfrage zufolge mit 17 Prozent auf Platz zwei hinter der SPD liegt – bei den Zweitstimmen wohlgemerkt.
Gelinge es nicht, „zumindest ein stabiles Mandat“ für die Grünen und ihre Klimaschutzziele im Bundestag zu bekommen, werde es für die jüngere Generation künftig „zappenduster aussehen“, sagt Grimm. „Wenn mich meine Kinder später fragen: Was hast Du gemacht bei der Wahl 2021, als es darum ging, die Weichen neu zu stellen für unsere Zukunft?, dann kann ich sagen, dass ich mich politisch engagiert habe.“ Zwar mache inzwischen „auch die SPD auf Klimaschutz, selbst Armin Laschet grünt auf den letzten Metern“, sagt Grimm. Doch den Wählenden müsse klar sein: „Für diese Parteien ist Klimaschutz nur Verhandlungsmasse – für die Grünen ist Klimaschutz eine Notwendigkeit.“
Weniger Autoverkehr, weniger Abgase und Lärm und damit auch mehr Lebensqualität, das sei eines seiner Anliegen, sagt Grimm. Das Leben in seinem Wahlkreis müsse aber auch bezahlbar bleiben. Lockte Wandsbek noch vor einiger Jahren wegen relativ günstiger Mieten junge Familien an, habe sich das zuletzt „rasant geändert“. Die Grünen wollen deshalb jährliche Mietsteigerungen auf maximal 2,5 Prozent begrenzen.
Wahlkreis in Daten
Im Wahlkreis 22 (Wandsbek) lebten Ende des vergangenen Jahres 336.544 Menschen, 233.094 sind wahlberechtigt. 36,8 Prozent der Einwohner haben einen Migrationshintergrund – das ist der dritthöchste Anteil unter Hamburgs Wahlkreisen nach Bergedorf-Harburg und Hamburg-Mitte. Mit 4272 Einwohnern pro Quadratkilometer ist der Wahlkreis am zweitdichtesten besiedelt. Die durchschnittliche Wohnfläche je Einwohner ist mit 38,9 Quadratmetern die drittniedrigste, die Arbeitslosigkeit lag Ende 2020 bei 6,7 Prozent – der dritthöchste Wert im Vergleich der Wahlkreise.
Die Kandidaten
Aydan Özoguz, SPD
Alter: 54
Bisherige Tätigkeiten/Beruf: seit 1994 Mitarbeiterin der Körber-Stiftung, 2001 bis 2008 Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft, seit 2009 Mitglied im Bundestag, 2013 bis 2018 Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin
In der Partei seit: 2004
Tritt an: zum vierten Mal
Hobbys: Volleyball, Spazieren gehen, Freunde treffen
Lebensmotto: Jeder Mensch verdient Respekt und Würde.
Lieblingsplatz im Wahlkreis: Bramfelder See, Wandse Wanderweg
Franziska Hoppermann, CDU
Alter: 39 Jahre
Familie: verheiratet, ein Sohn
Bisherige Tätigkeiten/Beruf: Leitende Regierungsdirektorin in der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz
In der Partei seit: 1999
Tritt an: zum ersten Mal
Hobbys: singen, mit dem Hund spazieren gehen, wandern, Familie und Freunde treffen
Lebensmotto: Du musst selbst die Veränderung sein, die du in der Welt sehen willst.
Lieblingsplatz im Wahlkreis:
Volksdorfer Wochenmarkt
Dietmar Wagner, AfD
Alter: 69
Familie verheiratet, zwei erwachsene Kinder
Bisherige Tätigkeiten/Beruf: Lehrer, Schulleiter i. R. an Kath. Grund- Haupt/Realschule/Stadtteilschule in St. Georg, Wandsbek, Barmbek-Nord
In der Partei seit: 2013
Tritt an: zum zweiten Mal
Hobbys: Haus bauen, renovieren, Politik, Rad fahren
Lebensmotto: eine eigene Meinung haben
Lieblingsplatz im Wahlkreis: mein Garten in Oldenfelde
Johan Graßhoff, Die Linke
Alter: 33 Jahre
Familie: verheiratet
Bisherige Tätigkeiten/Beruf:
Straßensozialarbeiter für obdachlose Menschen
In der Partei seit: 2019
Tritt an: zum ersten Mal
Hobbys:
Rennrad fahren, Bücher lesen und sammeln, Standard-Tanzen
Lebensmotto: Normal ist die Abwesenheit von Mut.
Lieblingsplatz im Wahlkreis: der Garten des Maetzelhauses in Volksdorf, wo sich Widerstand und Kunst treffen.
Daniel Alexander Grimm, Grüne
Alter: 42 Jahre
Familie: verheiratet, zwei Kinder
Bisherige Tätigkeiten/Beruf: Radio- und Print-Journalist, seit zehn Jahren Werbetexter, zurzeit als Senior Copywriter in einer Digital-Agentur
In der Partei seit: 2019
Tritt an: zum ersten Mal
Hobbys:
Zeit mit meinen Söhnen verbringen, Rad fahren, Musik, Literatur
Lebensmotto: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.
Lieblingsplatz im Wahlkreis: das Wandse-Tal und der Eilbek-Kanal
Wieland Schinnenburg, FDP
Alter: 62 Jahre
Familie: drei erwachsene Töchter
Bisherige Tätigkeiten/Beruf: 30 Jahre lang bis zur Wahl in den Bundestag als Zahnarzt niedergelassen. Daneben Jurastudium. Seit 1998 Rechtsanwalt mit dem Schwerpunkt Medizinrecht
In der Partei seit: 1981
Tritt an: zum dritten Mal
Hobbys: Beachvolleyball, Joggen, politisches Kabarett. Seit Kurzem als Schauspieler tätig.
Lebensmotto: Carpe Diem
Lieblingsplatz im Wahlkreis: Eichtalpark