Hamburg. Auch das Miniatur-Wunderland hat bereits davon profitiert. Unternehmen Ubilabs macht außerdem den Klimawandel sichtbar.

Patrick Mast schaut auf den Laptop mit einer Karte der Meerestemperaturen in der heutigen Zeit. „Hier sieht man, wie das warme Grün schon bis Norwegen und England geht“, sagt Mast. Die Erderwärmung heizt die Ozeane seit Jahrzehnten auf. Mit einem Klick geht es zurück zu einem vergleichbaren Monat Anfang der 80er-Jahre.

Damals war das Meer zwischen den beiden Ländern noch überwiegend in Blau gefärbt, dem Farbton für geringere Temperaturen. Mast hat die Webseite Climate for Space geöffnet, hinter der die Europäische Weltraumorganisation ESA steckt – die aber von ihm und seinem Team der Firma Ubilabs in Hamburg von null aufgebaut wurde.

Vor zwei Jahren starteten die Arbeiten. „Das Projekt ist Teil der weltweiten Anstrengungen, den Klimawandel mit Daten zu unterfüttern“, sagt Projektleiter Mast. Genutzt werden dabei die enormen Mengen an Satellitendaten der ESA. Die Hamburger Firma fungiert an der Schnittstelle zwischen den Wissenschaftlern und der normalen Bevölkerung als Anwender und soll den Klimawandel für jedermann verständlich visualisieren. „Wir bringen Daten und Karten zusammen“, sagt Ubilabs-Geschäftsführer Jens Wille über das Geschäftsmodell des Geodatenspezialisten.

Ubilabs: So wurde Google auf das Start-up aufmerksam

Im Jahr 2007 gründete der Architekt und Stadtplaner das Unternehmen zusammen mit Michael Pletziger und Martin Kleppe. Bereits ein Jahr zuvor wurde das erste Projekt umgesetzt. Während der Tour de France konnten Zuschauer per Live-Tracking auf der Karte sehen, wo auf der Strecke sich die Fahrer gerade befinden. „Es war für die damalige Zeit etwas Neues, dass sich auf der Karte etwas bewegt“, sagt Wille. Teilweise seien die Leute stundenlang auf der Karten­anwendung geblieben. Dadurch wurde die Internetsuchmaschine Google auf das Start-up aufmerksam. Es entwickelte sich eine Partnerschaft, die bis heute besteht.

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Zum einen ist Ubilabs Wiederverkäufer von Google-Lizenzen und berät die Abnehmer. Zum anderen erledigt das Unternehmen Arbeiten für den Technologieriesen. Zuletzt wurden neue 3-D-Funktionen in Google Maps zum Erleben gebracht, beispielsweise wie ein Flugzeug über eine Karte fliegt. „Google hat uns mal gesagt, ,ihr seid diejenigen, die unsere Produkte zum Leben erwecken‘“, sagt Wille. Zu seinem 43 Mitarbeiter starkem Team gehören Webentwickler, Datenanalysten, Berater und Designer. Der Umsatz liege im niedrigen zweistelligen Millionenbereich. Man mache seit Jahren Gewinn, den man nicht beziffern will. Neben der Zentrale am Heidi-Kabel-Platz nahe dem Hauptbahnhof gibt es ein Büro in München und ein Apartment in San Francisco – um nahe an Google zu sein.

Mit dem US-Konzern hängt auch der wohl populärste Auftrag in der Hansestadt zusammen. Google Street View war bekannt (und umstritten) für das Filmen der Straßen mit Kameras auf Autos, war also in der Horizontalen unterwegs. Dann half Ubilabs, Street View in die Vertikale zu bringen. Das Besteigen des bekannten Bergs El Capitan im Yosemite Nationalpark in Kalifornien wurde Stück für Stück grafisch umgesetzt. Als Google-Mitarbeiter zu Besuch an der Elbe waren, wurde das Miniatur Wunderland besucht. „Da entstand die Idee, wie schafft man es, en miniature mit der Kamera so tief in das Modell hineinzukommen, das man mitten in Knuffingen steht und sich wie in Street-View-Manier um die eigene Achse dreht“, sagt Wille.

1000 Sensoren in den Boden, um das Parkverhalten zu analysieren

Einen Sommer lang wurde daran getüftelt. Nachts, weil tagsüber die Besucher Vorrang hatten. Das Arbeiten mit sehr kleinen Kameraeinheiten sei eine weitere, besondere Herausforderung gewesen. Diese seien in die Modellanlage gestellt worden, aber auch auf Modellautos durch die Anlage gefahren. Seit 2016 ist das Miniatur Wunderland bei Google Street View vertreten. „Technologisch war das seinerzeit wegweisend“, sagt Wille über das „Herzensprojekt“.

Das Unternehmen beschäftigt sich aber auch mit dem Verhalten von Menschen im realen Straßenraum. Als Car2go 2011 nach Hamburg kam, wurde dem Carsharing-Anbieter geholfen, das Geschäftsgebiet ideal zuzuschneiden. Schließlich sollten die Autos nicht allzu lange ungenutzt stehen bleiben. Auch bei der Expansion des Verleihers nach Amerika beriet man. Acht Jahre lang dauerte die mittlerweile beendete Kooperation.

Dafür ist man in dem Bereich nun seit Frühjahr 2020 zusammen mit der Deutschen Telekom tätig. Der DAX-Konzern brachte in Hamburg rund 1000 Sensoren in den Boden, um das Parkverhalten zu analysieren. Die Geräte in der Größe von Kaffeetassen messen beispielsweise optisch die Verschattung und magnetisch, ob sich etwas Metallisches über ihnen befindet – wie ein Auto. Per eingebauter Batterie und Funknetz des Mobilfunkanbieters werden die Daten gesendet. „Wir sammeln den Datenstrom aller Sensoren ein und verarbeiten ihn“, sagt Wille.

Kommt die Parkplatz-App?

Auf diese Weise kann man erstens ableiten, wie lange Autos in Wohngebieten, an Ladesäulen oder Switchh-Standorten stehen, und gewinnt historische Daten. Zweitens zeigt das System in Echtzeit an, wenn zum Beispiel eine Feuerwehrausfahrt blockiert wird. Der Abschleppwagen könnte dann schnell gerufen werden. Und drittens sei ein Ausblick möglich. Aus Erfahrungswerten könne man Rückschlüsse gewinnen, ob ein Parkplatz bald frei wird oder nicht. Denn rund 30 Prozent des innerstädtischen Verkehrs mache das Suchen nach einem Parkplatz aus.

Dabei spiele auch das Wetter eine Rolle. So griffen generell mehr Leute aufs Auto zurück, wenn es regne, sagt Wille: „Auch der Parksuchverkehr dauert länger, weil die Leute lieber noch einmal 500 Meter um den Block fahren, als durch den strömenden Regen zu laufen.“ Theoretisch könne man mit den eingesammelten Daten eine App entwickeln, die anzeige, wie viele Parkplätze (bald) frei seien. Weil man allerdings keine Endkundenprodukte mache, werde man eher die Grundlagen für die App zur Verfügung stellen.

Künftig möchte Wille auch verstärkt den Modal Split analysieren, also wie kommen die Menschen in die Stadt: zu Fuß, mit dem Rad, der Bahn oder dem Auto? Google Maps sammele dafür viele Daten im Handy, man brauche aber noch einen Partner. Perspektivisch wäre sein Wunsch, dass jeder die Änderungen seines Verhaltens verdeutlicht bekomme. Zum Beispiel beim Umstieg vom Auto aufs Fahrrad – wie viel Kohlendioxid wird dadurch eingespart?

Visualisierung des Klimawandels: 500 Terrabyte an Daten

Zurück zum ESA-Projekt und der Visualisierung des Klimawandels. Zu sehen ist auf der Seite bereits, wie sich Golfstrom, Packeisgürtel oder Schneebedeckung im Zeitverlauf verändert haben. Weitere Kategorien kommen hinzu. „Wir haben uns gerade den Datensatz für die Oberflächentemperatur der Seen gezogen“, sagt Mast. 350 Datensätze à 40 Megabyte müssen nun in einer Cloud bearbeitet werden. Das dauere rund zwei Tage. Insgesamt sind es in dem Projekt rund 500 Terrabyte an Daten. Die Seen gehören zu den eher kleinräumigen Anwendungen. Grundsätzlich seien Auflösungen auf bis zu 200 Meter möglich. Aber bei vielen Kategorien wie der Entwicklung des Kohlendioxids (CO2) seien eher die großflächigen und globalen Auswirkungen interessant.

Insgesamt drei Jahre läuft das ESA-Projekt. Dann gibt es eine neue Ausschreibung, und Ubilabs wird sich wohl wieder bewerben. Zuvor steht die Übersetzung der überwiegend in Englisch gehaltenen Seite an. „In zwei Monaten werden die Inhalte fünfsprachig dargestellt“, sagt Mast. Neben Englisch soll der Klimawandel auch auf Spanisch, Französisch, Niederländisch und Deutsch erklärt werden. Zum besseren Verständnis wird das Erzählen von Geschichten immer wichtiger, wie zum Beispiel über die Wärmepumpen des Planeten – es sind die Ozeane.