Hamburg. Die Schriftstellerin spricht im Abendblatt-Podcast darüber, wie es ist, im Segelschuh-Stadtteil ein Kind aufzuziehen.

Nein. Nein, wirklich nicht. Wir haben den Titel nicht bei ihr abgeschaut. Zum Glück glaubt uns das Claudia Haessy auch, denn die Autorin ist freiwillig als Gast in unseren Familienpodcast gekommen. Im Gepäck ihr Buch mit dem Titel „Tagsüber Zirkus, abends Theater“. Darin geht es um eine (fiktive) Mutter mit Vornamen Claudia, die–wie die Autorin vor einigen Jahren – in Eppendorf lebte und dort versuchte, Kind, Vater des Kindes, Kita und Teilzeitstelle unter einen Hut zu bekommen.

Und nicht daran zu verzweifeln, dass ihr Leben nun von kindlichen Bedürfnissen geprägt ist. Sowie von den anderen Eppendorfer Müttern. Erlebnisse in Kita und auf dem Spielplatz hat Haessy literarisch verarbeitet. „Sie macht es und versucht nicht negativ aufzufallen, sie versucht Smalltalk und backt Kuchen selbst, aber am liebsten möchte sie sich verkriechen und die Decke über den Kopf zu ziehen. Für die Protagonistin ist es manchmal schwer auszuhalten“, sagt sie, Flucht auf die Toilette war öfter ein Ausweg: „Ich behaupte, dass jede Mutter sich schon mal länger bei verschlossener Toilettentür auf dem WC aufgehalten hat, als es hätte sein müssen.“

Eppendorf: Leben in verschiedenen Gesellschaftsblasen

Haessys Lachen steckt an, schon erzählt sie die nächste Anekdote aus dem Leben der Protagonistin. „So etwas hat wohl jeder Elternteil schon mal erlebt, wenn am Ende des Elternabends in der Kita die schlechtgelaunteste Mutter sagt, dass sie wolle, dass es keine Rosinen mehr zum Frühstück am Freitag geben solle“, erinnert sich Claudia. Das ungläubige, unangenehme Schweigen der Elternschaft, die stammelnde, ausweichende Antwort der Kitaleitung. „Es ist nicht mein Habitat, auch, wenn ich weiß, welches Skript ich abspulen müsste.“

Einen Leitfaden hätte sie vielleicht auch für Eppendorf gebraucht, den Wohnort von Claudia. „Eigentlich sehr schön und sauber, aber die Diskrepanz ist sehr groß, wenn man vorher in einer Stadt wie Berlin gelebt hat, in der man als overdressed gilt, wenn man in Schlafanzughosen einkaufen geht“, sagt sie. „Und dann merkt man in Eppendorf, dass jeder aus einer anderen Gesellschaftsblase kommt“, sagt Haessy. „Man steht an der Kasse hinter einer Frau, und man kann riechen, dass ihre Handtasche mehr gekostet hat als alles, was du in deinem Kleiderschrank hast.“

Ein echtes Paralleluniversum

Für Claudia ist es ein echtes Paralleluniversum: „Wie oft stellte ich mir die Frage: Darf ich ohne den Besitz von Segelschuhen überhaupt diesen Stadtteil betreten? Wie bewegt man sich hier fort, wenn man keinen Porsche Cayenne besitzt? Müssen die Bewohner aus Stadtteilen wie Bergedorf oder Rahlstedt ein Visum beantragen, falls sie hierherkommen wollen?“.

Im Podcast erklärt Haessy Eppendorf als „eine sehr eigene Welt in Hamburg, einfach speziell.“ Heute lebt sie in Eilbek, dort schätzt sie die Diversität, „da ist mehr Leben, mehr Authentizität, mehr Unterschiedlichkeit.“ Hier müsse sie nicht das Gefühl haben, sich noch einmal komplett richtig fertig machen zu müssen für den abendlichen Chipskauf im Supermarkt.

Wenn Mütter andere Mütter fertigmachen

Dahinter stehe das Gefühl, dass sie sowie die Protagonistin sich „minderwertig, nicht vollwertig, nicht dahin passend“ gefühlt hatten. „Wahrscheinlich nur in meinem Kopf,“ meint sie in der Nachschau. Jedoch: Sicher ist, die riesige Altbauwohnung, die das Kind beim Playdate besucht, wird sie sich nie leisten können. Claudia versucht weiter, „in dieses Eppendorfer Mütterleben reinzupassen, im Job zu performen und für das Kind da zu sein – diesen Struggle, den beschreibe ich.“

 Und auch, wenn es im Roman heruntergebrochen dargestellt wird, finden sich Themen der Zeit wieder. So geht es um den bekannten Optimierungswahn, der on- wie offline herumwabert: „Das betrifft ja erst mal alle Leute, es geht um Fitness, guten Schlaf“, beschreibt Haessy, „dann geht es Frauen um den ,post pregnancy body‘, und die dritte Gruppe sind die Mütter. Hier gibt es den Begriff ,mom shaming‘, der beschreibt ja das Phänomen, dass andere Mütter Mütter fertigmachen: Wenn ich nicht die Jacke aus Bio-Schafswolle stricke, dann bin ich keine gute Mutter“, sagt Haessy. „Nein, das heißt einfach nur, dass ich nicht gut stricken kann.“ Ebenso verhalte es sich übrigens mit dem Selbstgebackenen versus Kaufmuffins.

„Durch diese Vergleiche setzten wir uns selbst unter Druck“, meint sie. Jedoch würde es langsam andere Bewegungen geben. Es erleichtere sie, dass diese gehört würden. Dass unrasierte Beine und Menschen ohne Modelmaße in Sommerkleidchen salonfähig würden. Ein anderes Thema der Zeit und mindestens ein Kapitel eines jeden Eltern-Ratgebers beschäftigt sich mit dem Rat, Zeit für sich selbst zu finden, sich diese egoistisch zu nehmen, einen Babysitter zu engagieren, auszugehen. Doch Claudia – Protagonistin wie Autorin – buchen sich dann nicht ins Spa ein oder gehen ins Kino.

Der Weg führt eher nach St. Pauli: „Ich gehe gerne auf den Dom, zur orangen Poffertjes-Bude! Bessere Me-Time gibt es für mich nicht.“