Hamburg. Der Eimsbütteler Bundestagsabgeordnete hat eine sehr unabhängige Kampagne gestartet – nicht zur Freude der Parteispitze.

Wer es nicht weiß, käme nicht gleich darauf: Wer die Wahlplakate des CDU-Bundestagsabgeordneten Rüdiger Kruse, Direktkandidat seiner Partei im Wahlkreis Eimsbüttel, sieht, muss nach dem CDU-Logo erst mal suchen. Doch, ganz klein unten links outet sich Kruse, welcher Partei er angehört. Der Haushalts- und Umweltpolitiker hat in dieser Woche vermutlich eine der ungewöhnlichsten und unabhängigsten Kampagnen dieser Bundestagswahl gestartet – jedenfalls in den etablierten Parteien.

„#1Stimmefür17Ziele“ lautet Kruses Slogan, der sich an den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen orientiert. Für CDU-Verhältnisse ist Kruses Werbestrategie ausgesprochen bunt: Die kleinen Nachhaltigkeitskästchen auf seinen Plakaten, den T-Shirts seiner Mitarbeiter und auf seinem Wahlkampfbus leuchten in allen Regenbogenfarben – eine optische Komposition, die eher an andere Parteien erinnert. Und das ist durchaus gewollt.

Rüdiger Kruse konkurriert mit seinem zen­tralen Thema vor allem mit den Grünen

Kruse konkurriert mit seinem zen­tralen Thema Nachhaltigkeit vor allem mit den Grünen. „Ich möchte, dass die Menschen darüber nachdenken, wem sie ihre Erststimme geben“, sagt Kruse, der damit ganz auf seine Person setzt. Da könnte der Gedanke an die CDU nur störend wirken, soll das wohl heißen. So fehlt in Kruses Internet-Wahlaufruf ausdrücklich die übliche Empfehlung, mit der Zweitstimme CDU zu wählen. „Sie haben zwei Stimmen, mit der ersten geben Sie einer Person, mit der zweiten einer Partei Ihre Zustimmung“, schreibt Kruse nur. Welcher Partei auch immer, darf man dabei mitdenken.

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Und der Eimsbütteler macht keinen Hehl daraus, wem er Erststimmen abjagen will. „Es soll den einen oder anderen Wähler der Grünen geben, der kein Till-Steffen-Fan ist“, sagt Kruse lächelnd. Ex-Justizsenator Steffen ist Direktkandidat der Grünen in Eimsbüttel, und Steffen, politisches Schwergewicht bei den Grünen mit Promi-Faktor, führt angesichts des Grünen-Hochs ebenfalls einen dezidierten Erststimmen-Wahlkampf. Die Auseinandersetzung um das Eimsbütteler Direktmandat verspricht extrem spannend zu werden: Dritter im Bunde der aussichtsreichsten Bewerber ist ein weiteres Schwergewicht: Sozialdemokrat Niels Annen, Staatssekretär im Außenministerium, der den Wahlkreis 2017 direkt gewonnen hatte.

Der CDU-Abgeordnete hat keinen sicheren Listenplatz

Pikant: Die Kontrahenten Kruse und Steffen kennen sich gut – sie arbeiteten in anderen Rollen sogar zusammen. Beide waren 2019 als Kreisvorsitzende ihrer Parteien die Architekten des grün-schwarzen Bündnisses in der Bezirksversammlung Eimsbüttel. Die einzige Koalition von CDU und Grünen auf Bezirksebene funktioniert, ist aber auch mit einem Makel behaftet: Zweimal scheiterte Katja Husen (Grüne) bei der Wahl zur Bezirksamtsleiterin, weil die schwarz-grüne Mehrheit nicht stand. Sozialdemokrat Kay Gätgens hatte gut lachen und blieb im Amt.

„Steffen ist auf der Landesliste der Grünen gut abgesichert“, sagt Kruse über seinen grünen Widerpart. Das stimmt: Der Ex-Senator steht auf Platz zwei und hat damit angesichts der aktuellen Umfragen trotz der einen oder anderen grünen Delle eine praktisch sichere Fahrkarte nach Berlin. Das ist bei Kruse anders, sein Verhältnis zur CDU ist nicht ungetrübt und erklärt auch so manche Distanz.

Der Eimsbütteler steht auf Platz vier der Landesliste

Der Eimsbütteler steht auf Platz vier der Landesliste. Nach gängigen Rechnungen kann die Hamburger Union, die bislang vier Bundestagsabgeordnete hat, nach der Wahl nur noch mit drei Mandaten rechnen. Verantwortlich ist die Wahlreform, nach der Überhangmandate auch länderübergreifend ausgeglichen werden können. Pessimisten in der Elb-Union rechnen angesichts von aktuellen Umfragewerten um die 27 Prozent bundesweit sogar nur noch mit zwei Hamburger Abgeordneten.

Der 60 Jahre alte Kruse gehört dem Parlament seit 2009 an und ist damit neben dem Altonaer Jugend- und Sozialpolitiker Marcus Weinberg, Spitzenkandidat bei der Bürgerschaftswahl 2020, der erfahrenste Hamburger Bundestagsabgeordnete. Doch CDU-Landeschef Christoph Ploß, der selbst auf Listenplatz eins kandidiert, setzte auf einen Generationswechsel.

Kruse macht „sein Ding“

Auf seinen Vorschlag hin wurde die Wandsbeker Newcomerin Franziska Hoppermann auf Platz zwei und der Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries aus Hamburg-Mitte auf Platz drei gewählt, wie Ploß erst seit 2017 im Bundestag. Weinberg, Direktkandidat im Wahlkreis Altona/Elbvororte, kandidiert gar nicht auf der Landesliste. Allerdings auch nicht ganz zufällig: Kruse und Weinberg haben ein eher liberales Profil innerhalb der Union, Ploß und de Vries gelten als Konservative, die derzeit den Ton angeben.

Kruse macht mit seiner ungewöhnlichen Kampagne „sein Ding“, wie Udo Lindenberg wohl sagen würde. Das stößt im Ludwig-Erhard-Haus, der Zentrale des CDU-Landesverbands, nicht auf allzu viel Verständnis. „Ich als Landesvorsitzender werde alle unsere starken Wahlkreiskandidaten mit Leidenschaft im Wahlkampf unterstützen“, sagt Landeschef Ploß und fügt hinzu: „Jeder Wahlkreiskandidat ist für seinen Wahlkampf vor Ort verantwortlich. Dabei bitten unser Kanzlerkandidat Armin Laschet sowie die CDU-Bundes- und CDU-Landesgeschäftsstelle darum, die einheitliche Markenführung aus dem Konrad-Adenauer-Haus umzusetzen.“

Die Bitte der Parteispitze erhörte Kruse nicht

Von einer Umsetzung der freundlichen Bitte der Parteioberen kann im Fall von Kruse keine Rede sein. Das typische CDU-Logo mit dem Kreis oder Halbkreis, der die Kandidierenden-Porträts normalerweise umfasst, fehlt. Und, wie um noch eins draufzusetzen, steht auf den Kruse-Plakaten: „08/15 Wahlkampf war gestern“. Ja, es habe Nachfragen aus dem Ludwig-Erhard-Haus gegeben, warum er nicht das Corporate Design der Union verwende, sagt Kruse. Aber das scheint den Wahlkämpfer nicht so sehr zu stören. „Die Kampagnenverantwortung liegt bei mir“, sagt der Abgeordnete.

Wahr ist allerdings auch, dass das Ludwig-Erhard-Haus die Kruse-Kampagne mit mehreren Tausend Euro unterstützt, als Ausgleich für den ungünstigen Listenplatz. Nun wundert sich mancher am Leinpfad in Winterhude, wofür der Eimsbütteler das Geld ausgegeben hat.

In der Politik ist es wie im Sport

Letztlich ist es in der Politik wie im Sport: Der Erfolg zählt. Sollte Kruse das Direktmandat erringen, werden Murren und Kritik verstummen. Und knapp verspricht es zu werden. Vor vier Jahren errang Annen mit 31,6 Prozent der Erststimmen das Direktmandat, gefolgt von Kruse mit 28,7 Prozent. Die heutige Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) holte 15 Prozent. Seitdem haben sich die Kräfteverhältnisse aber deutlich verschoben.

Auf der Prognose-Plattform „elec­tion.de“ liegt Annen derzeit vorn. Die Wahrscheinlichkeit, dass er den Wahlkreis direkt gewinnt, liegt danach derzeit bei 53 Prozent, gefolgt von Steffen mit 44 Prozent. Für Kruse werden nur zwei Prozent Wahrscheinlichkeit angegeben. Auch „Wahlkreisprognose.de“ sieht das Eimsbütteler Direktmandat nach aktuellem Trend „sicher bei der SPD“.

Ansporn für Kruse

Für Kruse dürften diese Aussichten eher einen Ansporn bedeuten. Schon einmal, 2009, gelang ihm das Kunststück, den rot-grün geprägten Wahlkreis direkt zu gewinnen. Damals hatte sich die SPD allerdings eine heftige interne Fehde im Vorfeld geliefert und selbst geschwächt.

Der umstrittene Überraschungskandidat Danial Ilkhanipour erhielt im Wahlkampf nicht die volle Unterstützung aller Parteifreunde. Zudem schwächte die SPD eine starke Grünen-Direktkandidatin: die frühere Zweite Bürgermeisterin Krista Sager, die für die Grünen damals sensationelle 25,9 Prozent holte. Auf vergleichbare Turbulenzen kann Kruse diesmal nicht hoffen.