Hamburg. Freitagabend gibt es in den Messehallen den Piks mit Musikbegleitung. Ärzte üben Kritik an Angebot für Jugendliche. Die Hintergründe.

Angesichts zunehmender Impfmüdigkeit unternimmt die Stadt allerlei Anstrengungen, um die Menschen vom Segen des schützenden Piks zu überzeugen. So wird das Impfzentrum in den Messehallen am Freitag nicht nur von 8 bis 20 Uhr, sondern bis etwa 23 Uhr öffnen – und das „in besonderer Atmosphäre“, wie der Senat mitteilte.

„Die Lange Nacht des Impfens“ starte um 17 Uhr und richte sich „insbesondere an musikbegeisterte junge Leute“, hieß es – was genau dahintersteckt, wurde auch auf Nachfrage noch nicht verraten. Nach Abendblatt-Informationen wird es aber keine Live-Auftritte geben und keine „Party“ – das wäre ja kaum mit den Corona-Regeln vereinbar.

Corona-Infektionszahlen in Hamburg steigen

Klar ist dagegen der Hintergrund: Von kleinen Unterbrechungen abgesehen, steigen die Corona-Infektionszahlen in Hamburg stetig. Am Dienstag wurden 113 neue Fälle registriert, 26 mehr als in der Vorwoche. Die Sieben-Tage-Inzidenz kletterte dadurch von 34,4 auf 35,8 – und liegt damit wieder über dem Wert 35, ab dem das Infektionsschutzgesetz Eindämmungsmaßnahmen vorsieht. Vor einer Woche lag der Wert noch bei 30,6. In den Kliniken ist die Zahl der Covid-Patienten in dieser Zeit von 32 auf 44 gestiegen. Zudem wurden fünf weitere Todesfälle vermeldet, damit stieg die Zahl der Corona-Toten in Hamburg auf 1620.

Dass der Senat dennoch vorerst keine neuen Maßnahmen ergreift, hat im Prinzip vier Gründe: Erstens seien noch alle Auflagen in Kraft, die man bei Unterschreiten des 35er-Grenzwerts hätte abschaffen können, betonte Senatssprecher Marcel Schweitzer. Dazu gehören etwa die Maskenpflicht in Bussen, Bahnen und Innenräumen und Beschränkungen für Großveranstaltungen. Zweitens gingen viele Infektionen nach wie vor direkt oder indirekt auf Reiserückkehrer zurück, und man beobachte kein besonderes Infektionsgeschehen innerhalb Hamburgs, bei dem man einschreiten müsse, so Schweitzer.

Auslastung von Hamburgs Intensivstationen im Fokus

Allerdings nimmt mit dem Ferien­ende am Mittwoch naturgemäß der Einfluss der Reiserückkehrer ab. Schon in der vergangenen Woche gingen nur noch 76 von 641 Infektionen (knapp zwölf Prozent) direkt auf eine Auslandsreise zurück, dabei lag der Infektionsort allein in 23 Fällen in Spanien sowie in 18 Fällen in der Türkei. In der Vorwoche waren noch 108 von 561 Fällen (gut 19 Prozent) auf Reisen zurückzuführen.

Drittens: An den Krankenhäusern habe der Senat vor allem die Auslastung der Intensivstationen im Blick, wo derzeit 17 der 44 Covid-Patienten behandelt werden müssen, so Schweitzer. Dieser Wert sei seit Wochen relativ stabil: „Das ist für uns entscheidend.“

Hamburg kündigt Werbung für Corona-Impfungen an

Viertens setzt man im Rathaus nach wie vor darauf, dass sich noch viel mehr Hamburger impfen lassen und so nicht nur sich, sondern auch die Gesellschaft vor einer Verbreitung des Virus schützen. Dem dient „Die lange Nacht des Impfens“ wie viele andere Aktionen. So wolle die Stadt jetzt auch aktiv in Medien und Verkehrsmitteln für die Impfung werben, kündigte der Senatssprecher an.

Geplant sei unter anderem, dass in den U-Bahnen künftig alle 20 Minuten darauf hingewiesen werde, dass man sich im Impfzentrum noch bis zum 10. August spontan und ohne Termin eine Erstimpfung abholen kann – und dann dort bis zum 31. August auch die zweite Spritze erhält. Danach schließt die Einrichtung.

Stiko empfiehlt Impfung von Jugendlichen noch nicht

Deren medizinischer Leiter, Dr. Dirk Heinrich, zeigte sich von der Entscheidung der Gesundheitsminister von Bund und Ländern, künftig auch 12- bis 15-Jährigen ein Impfangebot zu machen, wenig begeistert. „Es ist kontraproduktiv, die unabhängigen, wissenschaftlich begründeten Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) infrage zu stellen“, heißt es in einer Erklärung des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte und des Verbands der niedergelassenen Ärzte Deutschlands (Virchowbund), dessen Vorsitzender Heinrich ist.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

In dieser Funktion forderte er: „Wir werden auch in Zukunft zum Erhalt einer breiten Impfbereitschaft eine unabhängige, wissenschaftliche und glaubwürdige Institution benötigen, der die Menschen vertrauen und die ihnen Schutz vor politischer Einmischung bietet.“ Die Stiko empfiehlt die Impfung Jugendlichen noch nicht, da es ihr noch an Daten dazu mangele.

Jugendliche können sich nun in Hamburg impfen lassen

Wie berichtet, soll die Impfung von Jugendlichen in Hamburg schwerpunktmäßig an vier Krankenhäusern stattfinden: Die Asklepios-Kliniken Harburg und Nord impfen Kinder ab zwölf Jahren, das Bethesda Krankenhaus Bergedorf und das Agaplesion Diakonie Klinikum in Eimsbüttel ab 15 Jahren. Voraussetzung sind ein ausführliches Aufklärungsgespräch sowie die Anwesenheit und Zustimmung eines Sorgeberechtigten. Da das Aufwand verursacht, müssen vorab Termine unter 116 117 gebucht werden.

Unter dieser Rufnummer bietet die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg (KVH) zudem Beratung an und vermittelt an mehr als 70 Arztpraxen, in denen ebenfalls Kinder geimpft werden. „Wir gehen davon aus, dass die meisten Eltern ihren Haus- oder Kinderarzt konsultieren werden“, sagte der KVH-Vorsitzende Walter Plassmann. „Für alle anderen bieten wir diese Wege an.“

Hamburger Senat lehnt Corona-Impfungen an Schulen ab

Aufgrund dieses Aufwands lehnt der Senat Impfungen an Schulen ab, wie Schleswig-Holstein sie plant. Die nötige Ruhe für Gespräche mit Ärzten und Eltern sei dort nicht gegeben, so Senatssprecher Schweitzer. Dennoch rief er eindringlich zum Impfen auf: Hamburg liege bei den Zweitimpfungen mit 49,6 Prozent im Ländervergleich auf dem drittletzten Platz: „Da geht noch was, und es wäre schön, wenn die Hamburgerinnen und Hamburger sagen würden: Wir müssen nach ganz oben.“