Hamburg. In dieser Folge spricht Daniel Kühnel, Intendant der Symphoniker, über seine Zeit in Hamburg und die Kultur vor und nach der Pandemie.
Als er vor 17 Jahren, mit damals 31, Intendant der Symphoniker Hamburg wurde, dachten viele: Dieser junge Mann ist bestimmt schnell wieder weg. Von wegen. Daniel Kühnel ist geblieben und heute fast so etwas wie eine Institution in der Stadt, nicht nur als Chef des Orchesters, sondern auch als kluger Kopf. In dieser Folge von „Entscheider treffen Haider“ spricht er über seinen klaren Lebensweg, die lange Zeit in Hamburg – und vor allem über die Kultur vor, während und nach der Pandemie.
Das sagt Daniel Kühnel über…
… sein Jurastudium, auf das er aus einem besonderen Grund gekommen ist:
„Ich bin aus Israel, wo ich geboren wurde, nach Berlin gegangen, um Musiktheaterregie zu lernen. Das hat nicht geklappt, weswegen ich zunächst Musikwissenschaften studiert habe. Nach einem Semester fand meine Mutter, dass ich entweder Arzt, Ingenieur oder Rechtsanwalt werden müsse. Dann habe ich angefangen, Jura zu studieren, nicht nur wegen meiner Mutter, sondern auch unter dem Eindruck, ein Land besser kennenlernen zu müssen, in dem man nicht aufgewachsen ist. Ich wollte genau verstehen, wie es in Deutschland läuft, wie die Regeln hier sind. Ich hatte das Gefühl, dass ich diese Regelungen und die Vorstellungen in Deutschland kennen sollte, um hier gut leben zu können. Gleichzeitig wollte ich mir so lange wie möglich beruflich alles offenhalten, und dafür bot sich ein Jurastudium, mit dem man ja viel machen kann, an.“
… einen eindeutigen Berufswunsch als Kind:
„Als ich elf Jahre alt war, hatte ich den Wunsch, Intendant der Berliner Philharmoniker zu werden. Ich war in einer Probe gewesen und hatte im Saal den Intendanten sitzen sehen. Ich wusste nicht genau, was der macht, wollte aber genauso werden. Mein Wunsch, anderen Menschen das Kunsterlebnis zu ermöglichen, war damals bereits vorhanden.“
… den Start als Intendant der Symphoniker Hamburg mit 31 Jahren:
„Ich soll damals der jüngste Intendant eines Orchesters in Deutschland gewesen sein, das war ein großes Glück, ich hatte es nicht darauf angelegt. Menschen wie Hellmut Wempe und Hermann Rauhe, die zu dieser Zeit im Vorstand der Symphoniker saßen, hatten den Mut, einem jungen Menschen wie mir diese Chance zu geben, und ich bin ihnen bis heute sehr, sehr dankbar dafür. Mir war klar: Du willst nach Hamburg. Ich spürte, dass Hamburg ein guter Ort für Musik war und damit ein guter Ort für mich.“
… bald 17 Jahre als Intendant in Hamburg:
„Es ist eine untypisch lange Phase für diese Branche, das stimmt. Wenn man die Möglichkeit hat, etwas zu gestalten, dann sollte man das tun, finde ich und dafür braucht man Zeit. Bis man anfängt, eine eigene Handschrift zu entwickeln, vergehen schnell ein paar Jahre. Die Bedingungen, die Möglich- und Fähigkeiten des Orchesters haben sich so rasant verändert, dass mir die Zeit überhaupt nicht so lang vorkommt. Zudem darf man nicht unterschätzen, wie schnell zehn, 15 Jahre vergehen. Mich hat meine Aufgabe bisher keine einzige Sekunde gelangweilt. Für einen Wechsel müsste eine Konstellation anderswo entstehen, die besser ist als in Hamburg, und davon gibt es nur sehr wenige. “
… die Frage, wie sich ein Orchester finanziert:
„Die Symphoniker verdienen rund 42 Prozent ihres Budgets selbst, vor allem durch Ticketverkäufe. Das klingt, wenn man in rein wirtschaftlichen Kategorien denkt, wenig. Man muss aber wissen, dass der Durchschnitt der Orchester in Deutschland auf 19 Prozent kommt, der Rest sind öffentliche Zuwendungen. In der Pandemiezeit sind die Einnahmen aus eigener Tätigkeit nahezu komplett weggefallen, unsere Musiker waren seit März 2020 in Kurzarbeit. Diese Zeit hätten wir ohne die Unterstützung der Stadt Hamburg nicht überstanden.“
… die Rolle der Kultur vor, während und nach der Pandemie:
„Die Kulturbranche hat in den vergangenen Jahren versäumt, deutlich zu machen, warum ein lebendiges Kulturleben in der Öffentlichkeit eben nicht mit einem Unterhaltungsbetrieb gleichgesetzt werden kann. Die Kulturschaffenden waren über weite Teile der Pandemie am öffentlichen Diskurs kaum noch beteiligt. Wo waren die Literaturwissenschaftler, die Philosophen, wo die Künstler? Wenn man meint, sie hätten zu der Frage, wie wir leben wollen, nichts zu sagen, irrt man. Wie sich das Virus verhält, müssen uns die Virologen sagen, wie wir uns verhalten, das aber sagen uns die schreibenden und singenden und denkenden Menschen, und die müssen gehört werden.
Die Vorstellung, dass die Natur, also zum Beispiel das Virus, über die Kultur obsiegt, ist eine Illusion. Alles, was wir machen, ist am Ende Kultur. Wenn man das nicht versteht, kann man auch nicht verstehen, warum der Kulturbetrieb so wichtig ist. Der Kulturbetrieb selbst hat in den vergangenen Jahren vielleicht nicht klar genug die Frage beantwortet, was unsere Rolle ist. Ich habe darüber einen Aufsatz geschrieben, in dem ich zu dem Ergebnis komme, dass wir zurück zur Ästhetik müssen. Sie ist die einzig verlässliche Quelle für Maßstäbe im Umgang mit der Welt. Das klingt simpel, aber ich nehme es leider nicht so wahr, dass der Kulturbetrieb in den vergangenen Jahrzehnten das Ästhetische als operativ übergeordnete Kategorie in sein Zentrum gestellt hat. Es standen doch eher soziale, soziologische und politische Fragen im Mittelpunkt.
Und natürlich muss Theater politisch sein, das unterschreibe ich voll und ganz – aber aus ästhetischen Gründen. Diese Verbindung wird leider zu wenig gesehen. Die relative Sprachlosigkeit des Kulturbetriebs in der Pandemie kann man vielleicht auch ganz einfach so erklären: Wenn der Betrieb läuft, dann folgt Premiere auf Premiere, man ist sehr, sehr beschäftigt und fragt irgendwann weniger nach dem Warum. Ich glaube, dass kann auch dem Kulturbetrieb passiert sein.“
Fragebogen: Der Mann, der sich bei Hamburg bedanken will
Was wollten Sie als Kind werden und warum?
Erst Arzt – Chirurg – später Intendant, weil mich die Idee faszinierte, darüber nachdenken zu dürfen, wie ferne Abende klingen und wie sich Menschen daran erinnern sollen.
Was war der beste Rat Ihrer Eltern?
„Sei stark wie Stahl und vertraue auf die Menschen“
Wer war beziehungsweise ist Ihr Vorbild?
In mancher Hinsicht Sergey Diaghilev; in mancher Hinsicht war und ist er es nicht.
Was haben Ihre Lehrer/Professoren über Sie gesagt?
Entweder: „der hat Biss“, oder: „er sieht immer so besorgt aus“. Oder beides.
Wann und warum haben Sie sich für den Beruf entschieden, den Sie heute machen?
Der Wunsch, Intendant zu werden, war wie schon gesagt, früh da. Die Möglichkeit, zu den Symphonikern nach Hamburg zu gehen, kam 2004 eher überraschend nach nur einer Station in Berlin. Ich war glücklich und stolz und habe sofort zugestimmt.
Wer waren Ihre wichtigsten Förderer?
Es waren viele und ich gehörte beruflich nie einem „Stall“ an, wie man so sagt. In der ersten Anfangsphase, die nach Hamburg führte, war mein Vorgänger im Amt, Peter Dannenberg, eine ganz wichtige Person; ihm verdanke ich sehr viel.
Auf wen hören Sie?
Auf Freunde.
Was sind Eigenschaften, die Sie an Ihren Chefs bewundert haben?
Fleiß, Übersicht und Zugewandtheit.
Was sollte man als Chef auf keinen Fall tun?
Faul sein und aufgeben.
Was sind die Prinzipien Ihres Führungsstils?
Verantwortung übertragen, zugewandt und wirklich interessiert sein, angemessen fordern, stets ohne List handeln.
Wie wichtig war/ist Ihnen Geld?
Ich habe lieber welches als keins.
Was erwarten Sie von Mitarbeitern?
Mitdenken, Präzision, Loyalität zu Causa.
Worauf achten Sie bei Bewerbungen?
Darauf, ob der Bewerber jetzt auch einen hübschen Witz erzählen könnte.
Duzen oder siezen Sie?
Wen?
Was sind Ihre größten Stärken?
Ich habe kein Talent zur Frustration und einen sehr langen Atem.
Was sind Ihre größten Schwächen?
Ich bin ungeduldig und fühle mich durch Unehrlichkeit persönlich angegriffen.
Welchen anderen Entscheider würden Sie gern näher kennenlernen?
Yohji Yamamoto.
Was würden Sie ihn fragen?
Wie machen Sie das?
Was denken Sie über Betriebsräte?
Immer nur das Beste.
Wann haben Sie zuletzt Fehler gemacht?
Gestern.
Welche Entscheidung hat Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen?
Die, keine Entscheidungen zu treffen, allein um des Karrierewegs Willen.
Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?
Diese Frage bringt mich in Not. Ich gehöre zu denen, die zwischen Leben und Arbeit nicht trennen.
Wie viele Stunden schlafen Sie (pro Nacht)?
Fünf bis Sechs, wenn es gut geht.
Wie gehen Sie mit Stress um?
Immer besser.
Wie kommunizieren Sie?
Offen.
Wie viel Zeit verbringen Sie an ihrem Schreibtisch?
Wohl die meiste.
Wenn Sie anderen Menschen nur einen Rat für ihren beruflichen Werdegang geben dürften, welcher wäre das?
Sich über die, die nachtreten, nicht zu wundern und diese Menschen auch schnell zu vergessen.
Was unterscheidet den Menschen von dem Manager Daniel Kühnel?
„Fühlst du nicht an meinen Liedern, dass ich eins und doppelt bin?“
Und zum Schluss: Was wollten Sie immer schon mal sagen?
Darf ich zwei? 1. Eine zur Revolution voranschreitende Schönheit ist denkbar und möglicherweise wieder nötig. 2. Danke, Hamburg!