Hamburg. Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider spricht mit Uni-Präsident Dieter Lenzen über (große) Themen unserer Zeit.
Wie jetzt?“ heißt ein Gemeinschaftsprojekt von Hamburger Abendblatt und Universität Hamburg. Chefredakteur Lars Haider und Universitäts-Präsident Dieter Lenzen sprechen über Fragen, die Wissenschaft und Journalismus gleichermaßen bewegen. Diesmal geht es um die Frage, ob nach dem Auslaufen der Homeoffice-Pflicht alle Menschen wieder ins Büro sollen.
Lars Haider: Viele Hamburger Firmen überlegen jetzt, ob es an der Zeit ist, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wieder zurück ins Büro zu holen, manche haben damit schon begonnen. Ich frage mich: Kann man das schon machen? Oder ist es angesichts der unsicheren Lage durch die Delta-Variante des Coronavirus und der vielen Menschen, die aus dem Urlaub und anderen Ländern zurückkommen, verfrüht? Sollten wir noch abwarten?
Dieter Lenzen: Grundsätzlich würde ich es in Zeiten der Pandemie immer für die sichere Variante halten, dass die Menschen von zu Hause arbeiten, wenn es ihnen denn möglich ist. Geimpft zu sein, heißt ja gerade bei der Delta-Variante nicht, hundertprozentig geschützt zu sein. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite ist es heute natürlich viel ungefährlicher, wieder ins Büro zu gehen, als es das noch Anfang des Jahres gewesen ist. Der einzelne Arbeitnehmer wird seine Entscheidung, wo er am besten arbeiten kann, davon abhängig machen, wie die Bedingungen bei ihm zu Hause sind.
Und die Betriebe?
Lenzen: Die sollten sich ganz genau die neuesten Studien ansehen, die es zum Thema gibt. Aus denen geht nämlich hervor, dass der Output der Beschäftigten im Homeoffice wesentlich besser ist als im Büro. Die Produktivität ist bis zu 15 Prozent höher, die emotionale Erschöpfung deutlich geringer. Interessanterweise ist es eben nicht so, dass die Menschen am liebsten im Büro arbeiten und sich dort am besten fühlen, sie ziehen in der Mehrheit das Homeoffice vor. Das ist nun nichts völlig Neues. Innovative Betriebe wie etwa die Hamburger Otto-Gruppe haben schon vor Corona mobiles Arbeiten angeboten. Unternehmensberatungen wie Accenture haben schon lange keine festen Arbeitsplätze für ihre Beschäftigten, bei denen wird mobiles Arbeiten vorausgesetzt.
Wenn ich also die Frage stelle, ob alle zurück ins Büro kommen sollen, dann ist ihre Antwort…
Lenzen: Nein.
Wenn man sich die von Ihnen zitierten Zahlen ansieht, wären Firmen auch nicht klug, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurück ins Büro zu holen, wenn sie zu Hause viel besser arbeiten und dabei noch zufriedener sind.
Lenzen: Das ist völlig richtig. Die Möglichkeiten, die das Homeoffice offenbar bietet, nicht zu nutzen, wäre unklug, auch, weil man dadurch ja viel Geld für das Anmieten von Büroflächen sparen kann.
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Waren Sie schon einmal wieder in ihrem Büro in der Universität?
Lenzen: Ja, zweimal, aber sonntags, um ein paar Dinge zu holen, die ich brauchte. Ansonsten habe ich seit Frühjahr 2020 ausschließlich aus dem Homeoffice gearbeitet, und das ohne Probleme.
Und Sie vermissen nichts?
Lenzen: Was man vermissen könnte, wäre die körperliche Nähe zu Menschen, die man kennt oder nicht kennt. Nun ist unser Beruf kein körperlicher, sondern einer, der mit Wörtern zu tun hat. Und ob ich die Wörter nun durch einen Kanal schicke oder ob ich sie in einem Raum mit anderen ausspreche, ist im Effekt dasselbe. Grundsätzlich gibt es zu wenige Untersuchungen darüber, ob eine körperliche Nähe überhaupt Auswirkungen auf die Arbeitsleistung und die Arbeitszufriedenheit hat. Im Moment scheint das nicht so zu sein. Es ist vielleicht ein Stück Geschichte, dass wir uns nicht vorstellen konnten, zusammen nicht in einem Raum zu sein, wenn wir miteinander arbeiten. Es gibt Tätigkeiten, bei denen das unbedingt nötig ist, etwa, wenn man ein Auto zusammenbaut. Es gibt aber auch in einer digitalisierten Welt zunehmend Tätigkeiten, bei denen man darauf verzichten kann.
Ich war jetzt ein paar Mal im Büro und habe dabei genau das festgestellt, was Sie eben beschrieben haben. Man ist den Menschen körperlich näher, für die geistige Arbeit spielt das aber keine Rolle. Ich habe mich gefragt, wo der grundlegende Vorteil sein soll, alle wieder wie vor der Pandemie zurück ins Büro zu holen, selbst, wenn es das Coronavirus nicht mehr gebe. Auf einen Nachteil hat mich neulich Ihre Kollegin Maja Göpel vom „The New Institute“ aus Hamburg hingewiesen. Sie sagte, dass man im Homeoffice schneller als im Büro vergisst, Pausen zu machen. Das ist bei mir auch so: Ich mache zu Hause beim Arbeiten so gut wie keine Pausen, im Büro ergeben sich die zwangsläufig, weil eine Kollegin vorbeischaut oder man auf den Fluren jemand trifft. Das Homeoffice ist also pausenfeindlich?
Lenzen: Die höhere Produktivität im Homeoffice hängt natürlich auch damit zusammen, dass man dort nicht viel Leerlauf hat. Die Neigung, den Kalender so voll zu machen, bis überhaupt keine Lücken mehr da sind, ist vorhanden, zumal bei mir die Freiräume, die früher durch Fahrten zu verschiedenen Orten nötig waren, entfallen. Es ist ein Risiko, dass man im Homeoffice immer weiter und weiter macht, da freut sich der Arbeitgeber. Aber das könnte man auch anders regeln, zum Beispiel, in dem man die Computer entsprechend einstellt und automatische Hinweise auf Pausen programmiert.
Bei den Pausenregelungen ergibt sich wie bei vielen anderen Fragen das Problem, dass das deutsche Arbeitsrecht auf Homeoffice trifft, und man schnell feststellt, dass die beiden nicht wirklich füreinander gemacht sind.
Lenzen: Da wird sich sehr viel ändern müssen. Das Arbeitsrecht geht nicht vom mündigen Arbeitnehmer aus, sondern vom Arbeitnehmer, der immerzu seinen Arbeitgeber bekämpfen muss. Das ändert sich durch das Homeoffice: Je mehr Flexibilität man dem einzelnen einräumt, desto mehr hat er sein Schicksal in der Hand, entsprechend zu agieren.
Sie haben einen guten Punkt gebracht, der für mich der wesentliche Vorteil von mobilem Arbeiten ist, und der manchem Unternehmer vielleicht gar nicht bewusst ist. Ich meine die Entwicklung der Arbeitnehmer zu mündigen, selbstständigen Arbeitnehmern. Das kann einem Arbeitgeber, der nicht sonderlich viel Vertrauen in seine Belegschaft hat, natürlich auch Angst machen.
Lenzen: Man kann die Sache umdrehen und sagen, dass der Vertrauensbedarf wächst, wenn man auf Homeoffice umschaltet. Lenin hat ja gesagt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Das war lange die Wirklichkeit in deutschen Unternehmen, und davon müssen wir uns freimachen. Wir brauchen aber für die Arbeitgeber Sicherheiten, damit nicht die Besorgnis Raum greift, dass die Menschen im Homeoffice nicht mehr richtig arbeiten. Im Moment gibt es dafür keine Indikatoren.
Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:
- Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
- Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
- Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
- Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
- Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).
Und es ist doch auch toll, wenn die Menschen noch selbstständiger werden, sich frei machen können von zum Teil stumpfen Büroabläufen und jeden Tag neue Dinge dazulernen. Jeder ist, viel stärker als früher, sein eigener Chef, das ist doch das, was man als Unternehmen und Unternehmer will.
Lenzen: So ist es.