Hamburg. Ärzte werben für schnellen Piks in Impfzentrum oder Praxis. Doch die Sorgen wachsen: Kann die Herdenimmunität noch erreicht werden?

Das Auf und Ab bei der Impfung gegen Corona hat ein atemberaubendes Tempo erreicht. Löste noch vor einer Woche der Hinweis der Ständigen Impfkommission (Stiko) auf die verbesserte Wirksamkeit einer „Kreuzimpfung“ von Astrazeneca und Biontech oder Moderna große Sorgen um neue Termine aus, ist die aktuelle Buchungslage verblüffend: Im Hamburger Impfzentrum sind Tausende Termine frei und sogar für die nächste Woche buchbar. Wer sich jetzt impfen lässt, ist Mitte oder Ende August vollständig immunisiert.

Der Sprecher der Sozialbehörde, Martin Helfrich, bestätigte dem Abendblatt, dass am Donnerstag noch 15.000 Termine in den Messehallen frei gewesen seien. Es gebe genügend mRNA-Impfstoff von Biontech oder Moderna für neue Impfwillige.

Auch die Praxis von Dr. Frauke Mantey-Stiers in Sülldorf bietet allen Impfwilligen in den kommenden Wochen Termine an, weil sie mehr als 500 Dosen Biontech aus einem nicht benötigten Kontingent von Betriebsärzten bekommen hat. Zweittermine sind garantiert – geimpft wird in der Sülldorfer Kirche!

Hamburger Impfzentrum: Wie erreichen wir die Impfskeptiker?

Der Sprecher der medizinischen Leiter, Dr. Dirk Heinrich, sagte: „Wir haben etwa 57 Prozent geimpft, in den kommenden drei Wochen kommen 12 Prozent durch fest vereinbarte Termine hinzu. Dann fehlen uns bei der Herdenimmunität bis zu 80 Prozent noch etwa zehn Prozent. Das ist die schwierigste Gruppe.“ In diesem für den Pandemieverlauf und eine mögliche vierte Infektionswelle entscheidenden „Rest“ befinden sich auch viele Menschen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, die auf die niedrigen Inzidenzen und das rasche Ende der Pandemie vertrauen. Heinrich warnte: „Das ist jedoch ein Trugschluss.“

Dr. Dirk Heinrich, ärztlicher Leiter des Impfzentrums hat die Feier im Impfzentrum in einem Video festgehalten (Archivbild).
Dr. Dirk Heinrich © Michael Rauhe | Unbekannt

Hamburg wird jetzt einen neuen Weg in der Impfkampagne gehen. Mobile Impfteams werden in ausgesuchte Quartiere gehen und in Unterkünfte für Geflüchtete. Geimpft wird dann mit dem Einmal-Vakzin von Johnson & Johnson.

Wettlauf um Impftermine: Das sind die Tricks

„Windhundrennen“ ist ein schreckliches Wort. Und die damit verbundene Vorstellung von einem Wettlauf um Impftermine noch schlimmer. Wenn in diesem Rennen Ältere den Jüngeren gegenüberstehen, die Generation Telefon und Hausarzt den „Digital Natives“ – dann ist das ungerecht. Auch deshalb hat Hamburg so lange an der „Priorisierung“ festgehalten, die es Älteren und Vorerkrankten ermöglichte, als Erste Termine im Impfzentrum zu buchen. Geschützt vor denen, die mit dem Smartphone, einem Tablet und einem Laptop jonglieren und drei verschiedenen Browsern, auf dass sie freigeschaltete Termine sekundenschnell buchen.

Spritzen mit Impfstoff gegen das Coronavirus in der Hausarztpraxis von Dr. Björn Parey in Volksdorf
Spritzen mit Impfstoff gegen das Coronavirus in der Hausarztpraxis von Dr. Björn Parey in Volksdorf © Michael Rauhe | Unbekannt

Dieses Windhundrennen gibt es nach dem Wegfall der Impfreihenfolge jetzt doch, allerdings auf mehreren Strecken und mit einem überraschenden Ausgang. Die jüngeren Impfwilligen haben sich längst angepasst. Der „Hamburger Prototyp“ dieser Tage hat im Impfzentrum gebucht, denn hier sind jetzt wieder Tausende Termine verfügbar. Er steht gleichzeitig beim Haus- oder Facharzt auf einer Warteliste und hat zeitnah einen Termin über den Arbeitgeber und den Betriebsarzt in Aussicht.

Impfchance vier ist der Joker: Vor allem Jüngere organisieren sich über WhatsApp und benachrichtigen sich, wenn einzelne Praxisärzte durch Absagen Spontantermine vergeben können. Wenn jede Dosis zählt, ruft Frau Doktor auch mal die Freunde der erwachsenen Kinder an.

Appelle der Ärzte verpuffen zum Teil

Tagsüber werden rund 500 Termine pro Stunde in den Messehallen gebucht. In Hochzeiten waren das mal 2000. Am Mittwoch haben Testbuchungen im Impfzentrum Termine für diesen Sonntag und die kommende Woche ausgespuckt. So leicht und schnell war es noch nie, sich im Internet die ersehnte Spritze zu reservieren. Die Absagen kann man auch online organisieren.

Beim Stornieren von Zweitterminen im Internet jedoch scheitern auch Akademiker. Und dieses Durcheinander von Buchungen über die Hotline 116 117 oder das Internet (www.impfterminservice.de) oder eine Praxis geht weiter, denn die Möglichkeiten, sich anderweitig impfen zu lassen, sind gewachsen. Die wechselhaften Informationen über die Impfstoffe sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Der impfinteressierte Teil von Deutschland kommt mit dem aktuellen Stand der Dinge kaum hinterher. Die Appelle der Ärzte („Bleiben Sie bei Hausarzt oder Impfzentrum, halten Sie die Termine, Fristen und Impfabstände ein“) verpuffen zum Teil. Wer sich dreifach bemüht, muss zwei Möglichkeiten absagen. Das geschieht nicht immer. Erstmals seit Dezember 2020 ist die Impfstoffversorgung so, wie sie versprochen wurde. Selbst das über Wochen abgehängte Hamburg hat sich im Ländervergleich bei der Impfquote (57,0 Prozent) wieder sichtbar dem deutschlandweiten Durchschnitt (57,6) angenähert. Nach den Daten des Robert-Koch-Institutes sinkt aber die Zahl der Impfungen. Am Mittwoch waren es bundesweit rund 960.000, am Mittwoch davor rund 40.000 mehr, eine Woche zuvor noch einmal 300.000 mehr.

Hamburger Impfquote verbessert sich

Vor dem Hamburger Impfzentrum an den Messehallen bildete sich am Dienstag eine lange Schlange.
Vor dem Hamburger Impfzentrum in der Messe bildete sich am Dienstag eine lange Schlange. © Roland Magunia/Funke Foto Services | Unbekannt

Ist das nur ein Sommerferien-Effekt oder schon, wie Dr. Dirk Heinrich sagt, der „schwierige Rest“, der zu einer Impfung überzeugt werden müsse? Der Sprecher der medizinischen Leiter im Impfzentrum weist wie die Sozialbehörde auf die Menschen hin, die von der Impfkampagne bislang nicht erreicht wurden. Zu ihnen zählen Menschen in sozial schwächeren Stadtteilen und Hamburger mit Migrationshintergrund. Für sie wird es voraussichtlich mobile Teams geben, wenn das Impfzentrum Ende August schließt.

Impfstoff scheint aktuell ausreichend vorhanden. Einige Praxen haben ihre Patienten bereits durchgeimpft. Weil sie mehr als 500 Dosen Biontech aus einem nicht benötigten Kontingent von Betriebsärzten bekommen hat, bietet Dr. Frauke Mantey-Stiers allen Interessenten (auch aus dem angrenzenden Kreis Pinneberg) innerhalb der nächsten beiden Wochen Spontantermine ihrer Praxis an. Die Zweittermine sind garantiert. Die Praxis ist in Hamburg-Sülldorf, Am Sorgfeld 2, gut erreichbar mit der S-Bahn – und geimpft wird in der Kirche! Termine bitte vereinbaren unter 040 82 24 11 80. Die Praxis ermuntert Anrufer, es häufiger zu probieren.

Beiersdorf: Angehörige der Mitarbeiter können geimpft werden

Der leitende Betriebsarzt von Beiersdorf, Dr Jörg Busam
Der leitende Betriebsarzt von Beiersdorf, Dr Jörg Busam © Roland Magunia/Funke Foto Services | Unbekannt

Auch die Betriebsärzte sind überrascht, wie viele ihrer möglichen „Kunden“ bereits geimpft waren. Nivea-Hersteller Beiersdorf hat in seinem Impfzentrum seit dem 8. Juni mehr als 2500. Impfungen durchgeführt. Wie eine Sprecherin sagte, könnten seit der vergangenen Woche auch Angehörige geimpft werden. Mittlerweile sei ausreichend Impfstoff vorhanden, das Angebot größer als die Nachfrage.

Auch beim digitalen Impfpass gibt es endlich die Bewegung, die verunsicherte Ex-Covid-Patienten herbeisehnen. Wie der Apothekerverband Abda mitteilte, können die meisten Apotheken von heute an auch für Genesene mit einer Impfung das Zertifikat ausstellen. Dazu brauchen Interessierte einen Ausweis, den Nachweis eines positiven PCR-Tests und die Impfbescheinigung. Die Apotheken haben nach Verbandsangaben bereits 20 Millionen dieser kostenlosen digitalen Impfpässe erzeugt, die man im Smartphone speichern kann.

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

Gestern hat die Sozialbehörde 38 Corona-Neuinfektionen gemeldet. Das sind zehn Fälle mehr als am Mittwoch und elf mehr als am Donnerstag vor einer Woche (27). Damit liegt der Inzidenzwert bei 9,7 (Vortag: 9,1) Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen. Seit Beginn der Pandemie wurden 77.582 Corona-Infektionen registriert. Von ihnen gelten nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts 75.500 als genesen.

1.053.668 Menschen sind in Hamburg bereits einmal gegen das Coronavirus geimpft worden. Die Zweitimpfung haben 724.605 Bürger bekommen. In Krankenhäusern werden 32 Corona-Patienten behandelt. 18 Menschen sind so schwer erkrankt, dass sie intensivmedizinisch betreut werden müssen.

Corona: Diese Testverfahren gibt es

  • PCR-Test: Weist das Virus direkt nach, muss im Labor bearbeitet werden – hat die höchste Genauigkeit aller Testmethoden, ist aber auch die aufwendigste
  • PCR-Schnelltest: Vereinfachtes Verfahren, das ohne Labor auskommt – gilt als weniger zuverlässig als das Laborverfahren
  • Antigen-Test: weniger genau als PCR-(Schnell)Tests, dafür zumeist schneller und günstiger. Laut RKI muss ein positives Testergebnis durch einen PCR-Test überprüft werden, ein negatives Ergebnis schließt eine Infektion nicht aus, insbesondere, wenn die Viruskonzentration noch gering ist.
  • Antigen-Selbsttest: Die einfachste Test-Variante zum Nachweis einer Infektion mit dem Coronavirus. Wird nicht von geschultem Personal, sondern vom Getesteten selbst angewandt. Gilt als vergleichsweise ungenau.
  • Antikörper-Test: Weist keine akute, sondern eine überstandene Infektion nach – kann erst mehrere Wochen nach einer Erkrankung sinnvoll angewandt werden
  • Insgesamt stellt ein negatives Testergebnis immer eine Momentaufnahme dar und trifft keine Aussagen über die Zukunft