Hamburg. Unternehmenschefin spricht über die Start-up-Schwestern und Biokosmetik – und über ihre ungewöhnliche Karriere.

Am 24. Mai 1910 erteilte Berta Kolbe, Chefin des Seifenherstellers J.S. Douglas Söhne, den Schwestern Anna und Maria Carstens die Erlaubnis, eine Parfümerie in Hamburg unter dem Namen Douglas zu gründen – jetzt feiert das Unternehmen seinen 111. Geburtstag. Douglas macht heute rund drei Milliarden Euro Umsatz im Jahr, hat 20.000 Mitarbeiter – und wieder eine Frau an der Spitze.

Unternehmenschefin Tina Müller spricht in „Entscheider treffen Haider“ über die Start-up-Schwestern und Biokosmetik, die Rolle der Filialen in einer digitalen Welt – und über ihre ungewöhnliche Karriere, die sie eigentlich zu Beiersdorf führen sollte …


Das sagt Tina Müller über

… die Gründung des Unternehmens:
„Es gibt ja den Spruch, dass man wissen muss, woher man kommt, um zu wissen, wohin man geht. Douglas wurde von zwei, eigentlich von drei Frauen gegründet, was für das Jahr 1910 revolutionär war. Bis heute sprechen wir davon, dass es in Deutschland zu wenig Gründerinnen gibt. Insofern freut es mich sehr, wie und von wem Douglas damals gegründet worden ist. Und das, was die beiden Schwestern Anna und Maria Carstens vorhatten, nämlich die Welt schöner zu machen, ist auch heute noch unser Ziel.“

… die Rolle der Douglas-Filialen in einer digitalen Welt:
„Wir haben dieses Geschäftsjahr im zweiten Quartal zum ersten Mal europaweit die Hälfte unseres Umsatzes digital gemacht. Den Trend dazu gab es schon vor Corona, durch Corona hat er sich dann verschärft, allein im letzten Quartal sind wir digital um 75 Prozent gewachsen. Interessanterweise ist unser Marktanteil online heute größer als im stationären Geschäft. Als Unternehmen zählt weniger, wo eingekauft wird, ob in der Filiale oder im Internet. Hauptsache, es geschieht bei Douglas.

Natürlich wird in den nächsten Jahren angesichts des Booms im Onlinehandel die reine Anzahl der Filialen nicht zulegen, das ist der Lauf der Dinge, das eine Geschäftsmodell überlagert zu einem Teil das andere. Wir haben angekündigt, in diesem und dem nächsten Jahr insgesamt 500 Geschäfte zu schließen. Aber es wird immer Douglas-Filialen geben, und das hat etwas mit der Branche zu tun. Wenn ich ein Parfüm kaufe, möchte ich es vorher riechen, wenn ich einen Lippenstift aussuche, möchte ich die Farbe auf der Haut gesehen haben.

Das geht alles am Handy oder am Computer nicht. Und das wird in unserer Branche dazu führen, dass es Filialen immer geben wird, wenn auch mit einer anderen Rolle: weniger Abverkauf, mehr Beratung und Inspiration. Es ist gut möglich, dass sich die Umsätze in dem Verhältnis des Jahres 2020 einpendeln, wir also auch in den kommenden Jahren die eine Hälfte unserer Einnahmen online erzielen und die andere in den Filialen.“

… Homeoffice und Anti-Falten-Cremes:
„Durch die vielen Videokonferenzen sehen wir uns ständig selbst. Das führt dazu, dass deutlich mehr Menschen auf einmal pflegende Kosmetikprodukte kaufen, zum Beispiel Anti-Falten-Cremes. Der Verkauf von Parfüms ist in der ersten Corona-Welle zurückgegangen, inzwischen aber wieder angezogen, weil die Menschen gemerkt haben, dass es auch schön ist, wenn man im Home­office gut riecht. Was wirklich gelitten hat, ist die dekorative Kosmetik, also Make-up. Ich glaube aber, dass es in diesem Segment bald einen Gegentrend geben­ wird.“

… Homeoffice bei Douglas:
„Mir ist völlig egal, wo jemand arbeitet. Mir ist wichtig, dass der Output stimmt. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass man immer wieder die sozialen Kontakte im Büro braucht. Es ist schon ein Unterschied, ob man sich gegenübersitzt, weil am Bildschirm die Zwischentöne und kleine Details verloren gehen.

Und, ganz wichtig: Vertrauen baut sich nur im persönlichen Kontakt auf. Für die Zukunft möchte ich ein Arbeitsmodell finden, mit dem jeder glücklich werden kann und das möglichst viele Freiheiten bietet. Übrigens habe ich in den vergangenen zwei, drei Wochen bei ersten vorsichtigen Treffen im Büro die Erfahrung gemacht, dass sich die Kolleginnen und Kollegen sehr darüber gefreut haben, sich endlich wiederzusehen. Wir hatten alle viel Spaß, das Wiedersehen hat allen gutgetan.“

… Biokosmetik:
„Das ist einer der großen Trends. Wenn man alles zusammenpackt, nimmt der Bereich Naturkosmetik oder Clean-Beauty jetzt bereits etwa 20 Prozent des Marktes ein. Dem zollen wir Respekt und Raum durch unser Sortiment. Wir bieten online mehr als 140.000 Produkte an, und vieles von dem, was wir neu listen, kommt aus den Bereichen Natur, Bio und Clean-Beauty. Die entsprechenden Produkte müssen übrigens nicht teurer sein, das hat sich geändert.“

… Plastik in Verpackungen und Rezepturen:
„Man glaubt nicht, wie viel Mikroplastik in den Rezepturen, das heißt zum Beispiel in Cremes, enthalten war und zum Teil noch ist. Bei den Verpackungen ist die Reduzierung von Plastik natürlich ein Riesenthema, vieles wird durch Glas ersetzt, wir versuchen, so gut es geht, auf Umverpackungen zu verzichten und die ersten Wiederbefüllungsstationen anzubieten. Unsere Kundinnen erwarten, dass wir in diesem Bereich einen großen Schritt nach vorn machen.“

… ihren geplanten Wechsel von Henkel zu Beiersdorf, der sie am Ende zu Opel führte:
„Ich wollte von Henkel zu Beiersdorf wechseln, hatte dort auch schon einen Vertrag als Marketingvorstand unterschrieben. Dass es nicht dazu gekommen ist, lag an einer Wettbewerbssperre, die ich in meinem alten Vertrag hatte und die Henkel gezogen hat. Sie besagte, dass ich zwei Jahre lang nicht für ein Konkurrenzunternehmen arbeiten durfte, und war am Ende auch der Grund dafür, dass ich aus der Beauty-Branche zu Opel gegangen bin.

Ich habe die vier Jahre dort sehr genossen und hätte mir gut vorstellen können, in der Automobilbranche zu bleiben. Dieser ungeplante Ausflug hat mir so viel in meiner Lernkurve gebracht, dass er im Endeffekt etwas Positives für meinen Werdegang war. Übrigens habe ich bei meinem Bewerbungsgespräch mit der (jetzigen) Chefin von General Motors – Opel gehörte damals noch dem US-Konzern – gefühlt 55 Minuten über die Kosmetik- und Modeindustrie gesprochen und fünf Minuten über Autos.“

… die Frage, wonach man einen Job aussuchen sollte:
„Man sollte bei Entscheidungen für oder gegen ein Unternehmen immer darauf achten, ob man mit den Menschen dort gern zusammenarbeiten würde und mit ihnen viel Zeit verbringen will. Das ist viel wichtiger als die Marke, die Größe, ob es ein DAX-Konzern ist oder nicht. Ich habe bei all meinen Jobs immer gespürt, ob ich mit den Menschen kann oder nicht, ob da eine Leidenschaft ist, gemeinsam etwas auf den Weg zu bringen.“

… ihre Rückkehr in die Beauty-Branche:
„Es gab zwei Anfragen, einmal von einem sehr großen, globalen Kosmetikkonzern, und eben von Douglas. Ich habe mich für Douglas entschieden, weil es die Chance war, CEO zu werden, was für Marketing-Expertinnen, wie ich lange eine war, normalerweise nicht so einfach möglich ist. Ich wusste, das eine Transformation vor mir liegt, bei der wahrscheinlich kein Stein und kein Bit auf dem anderen bleibt. Aber genau das hat mich sehr gereizt …

… einen Börsengang:
„Der ist für Douglas eine Option, die sehr schön wäre. Nun müssen wir erst einmal abwarten, wie das Filialgeschäft nach der Pandemie zurückkommt. Wenn sich das Gesamtgeschäft gut entwickelt, können wir in die nächste Phase eintreten. Es gibt keinen Zeitplan und keinen Zeitdruck für einen Börsengang.“

… Hamburg:
„Ich habe einen zweiten Wohnsitz in Hamburg. Ich finde, es ist die schönste Stadt Deutschlands, ich bin sehr gern hier, für Douglas ist Hamburg nicht nur als Gründungsstandort sehr wichtig.“

… die Pandemie:
„Wir sind, wie viele anderen Einzelhändler, in der Pandemie leider vergessen worden. Alle laufen zu Budnikowsky, dm oder Müller, kaufen Düfte, Gesichtscreme, etc. und wir dürfen seit dem 16. Dezember vergangenen Jahres nicht mehr regulär öffnen. Dabei hatten wir Hygienekonzepte, die mindestens so gut waren wie die der Drogerien oder Supermärkte.

Es wäre wichtig, dass wir jetzt möglichst schnell wieder öffnen dürfen, denn wir haben durchaus in der Pandemie Marktanteile an die großen Drogerieketten verloren. Je länger der Lockdown für uns dauert, desto mehr gewöhnen sich Kunden daran, klassische Douglas-Produkte dort einzukaufen. Das macht mir Sorgen. Zum Glück sehen wir in anderen Ländern, in denen wir schon öffnen dürfen, dass die Kundinnen und Kunden zu uns zurückkommen.“