Hamburg. Neue Folge des Podcasts „Dem Tod auf der Spur“. Ein Zweijähriger war seinem als aggressiv bekannten Ziehvater gnadenlos ausgeliefert.
Fünf Buchstaben und vier Ziffern prangen auf dem Grabstein des kleinen Kevin. Ein Name und eine Jahreszahl, mehr nicht – auch kein Sterbetag. Die traurige Wahrheit ist, dass niemand weiß, wann der Zweijährige umgekommen ist. Nur wie Kevin zu Tode kam, ist mittlerweile genau dokumentiert: Er ist bei denen, die ihn hätten beschützen sollen, aus dem Radar geraten.
Und er war dem als aggressiv bekannten und drogensüchtigen Ziehvater hilflos ausgeliefert, bis dieser ihn totprügelte. Am Ende fand man das geschundene Kind in Plastiksäcke eingewickelt in einem Kühlschrank.
„Der kleine Junge verschwand fast unbemerkt“
„Der kleine Junge, der die meiste Zeit seines Lebens unendlich viel Leid ertragen musste, verschwand quasi geräuschlos, fast unbemerkt“, sagt Rechtsmediziner Klaus Püschel im Abendblatt-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. „Erst im Nachhinein wurde vielen klar, dass das Kind schon mehrere Monate, bevor sein Tod endlich entdeckt wurde, vermisst war.
Nur hatte das über so lange Zeit niemand wirklich wahrgenommen.“ Als es längst zu spät war und der Junge tot, stand der Fall Kevin schließlich im Fokus der Öffentlichkeit. Die Stadt Bremen, unter deren Vormundschaft Kevin stand und wo sich das Drama um den Jungen abspielte, erbebte unter dem Skandal.
Schon Kevins Start ins Leben am 23. Januar 2004 steht unter einem schlechten Stern. Seine Mutter Sandra K. (34) hat bereits sieben Jahre im Gefängnis verbracht und ist seit vielen Jahren rauschgiftsüchtig. Auch der Lebensgefährte von Kevins Mutter, Bernd K., ist drogenabhängig und ein Mann mit insgesamt 13 Jahren Knast-Erfahrung.
Kinderärzte verständigten das Jugendamt
Doch der 42-Jährige schafft es durchzusetzen, dass der Säugling zu ihm und der Mutter kommt. Immer wieder gibt es massive Alarmsignale, dass es dem Jungen bei der Mutter und Bernd K. nicht gut geht, dass er in Gefahr ist. Beim ersten Vorfall ist Kevin gerade acht Monate alt. In einer Kinderklinik wird festgestellt, dass er etliche Knochenbrüche hat, unter anderem an Beinen und Rippen.
„Solche Frakturen entstehen nicht einfach beim Krabbeln oder weil ein Kind hingefallen ist“, sagt Rechtsmediziner Püschel. „Es spricht alles dafür, dass der Junge körperlicher Gewalt ausgesetzt war.“ Die Kinderärzte damals in Bremen haben das Jugendamt verständigt, welches das Baby aber nicht zu Pflegeeltern gibt, sondern zurück zur Mutter und zu Bernd K.
Kevins Mutter stirbt an einem Milzriss
„Es herrscht wohl das Prinzip Hoffnung“, sagt Mittelacher dazu. „Die Devise der Sozialarbeiter: Man wolle Eltern und Kind möglichst nicht trennen. Hätte aber hier nicht entschiedener eingegriffen werden müssen? Das zerschlagene, gequälte Kind in Sicherheit gebracht?“
Doch nichts dergleichen passiert. Auch nicht, als immer wieder gravierende Missstände im Leben des Kindes bekannt werden, die den Verdacht der Vernachlässigung und Misshandlung befeuern. Und ebenfalls nicht, als Kevins Mutter an einem Milzriss stirbt. Bernd K. ist nun allein verantwortlich für den kleinen Jungen, mit dem Segen des Jugendamtes. Auch ein Amtsvormund hält still. Dabei ist Kevin in sehr schlechtem Zustand. Eine Tagesmutter erkennt, dass Kevin mager ist und einen gebrochenen Fuß hat, der nicht versorgt wurde.
Die Konsequenzen? Es gibt Besprechungen, jede Menge Aktennotizen, Fallkonferenzen – aber kein beherztes Eingreifen. Nach einer Konferenz am 20. April 2006 sieht niemand außer Bernd K. mehr den kleinen Jungen. Er ist komplett vom Radar verschwunden, wird gleichsam unsichtbar.
26 Frakturen am Körper des Kleinkindes festgestellt
Erst Monate später beschließt eine Richterin, dass der kleine Junge in Obhut genommen werden soll. Mithilfe des MEK soll das Amtsvormund Kevin aus der Wohnung von Bernd K. holen. Doch da ist es längst zu spät, der Junge tot. Die Polizei entdeckt den Zweijährigen als lebloses Bündel im Kühlschrank.
Später bei einer Obduktion werden insgesamt 26 Frakturen an unterschiedlichen Stellen am Körper des Kleinkindes festgestellt, die alle auf Gewalteinwirkungen zurückzuführen sind. Gestorben ist er an den Folgen von Schlägen, an einer sogenannten Fettembolie. Kevins kleines Herz hat versagt.
„Ein unverzeihliches Versagen der zuständigen Behörden“, nennt der Bürgermeister den Fall wenige Tage nachdem der Tod des Zweijährigen bekannt wird. „Das dringend und zwingend Nötige ist nicht geschehen. Das wissen wir heute.“ Bernd K. wird schließlich von einem Schwurgericht wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu zehn Jahre Haft verurteilt. Bei der Beerdigung des kleinen Kevin sagt eine Pastorin: „Kevin hatte sein Leben doch noch nicht gelebt. Er war noch so klein.“