Hamburg. Pro Tag konnten in den Messehallen 7000 Menschen geimpft werden. Nun soll die Zahl erhöht werden. Wie das funktionieren kann.
Wenn Dirk Heinrich in seinem provisorischen Büro in der ersten Etage in Messehalle A3 sitzt, kann er durch große Glasscheiben auf das Impfzentrum blicken. Auf die Schlangen, die sich ähnlich wie an einem Flughafenterminal vor dem Check-in bilden. Am Sonntag waren es 7051 geplante Impfungen.
Damit kann der medizinische Leiter des Hamburger Impfzentrums sehr zufrieden sein. Erst über Ostern meldete Heinrich einen Rekord an Impflingen, und nun kündigt er bereits den nächsten Superlativ an: In dieser Woche könnten pro Tag an die 8000 Menschen ihre Schutzimpfung erhalten. So viele wie noch nie. Aufgerufen sind jetzt auch Menschen ab 70 Jahren.
Hamburger Impfzentrum erreicht Kapazitätsgrenze
Damit erreicht das Impfzentrum, das die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg im Auftrag der Sozialbehörde betreibt, endgültig seine Kapazitätsgrenze. Die lag eigentlich schon bei 7000 Impflingen pro Tag, hieß es noch Ostermontag.
Aber durch weitere Verbesserungen im Ablauf und organisatorischen Anpassungen wird es nun auch möglich sein, 1000 zusätzliche impfwillige Hamburger durchzuschleusen. Wobei durchschleusen schlimmer klingt, als es tatsächlich abläuft. Von einem hektische, ungemütlichen Prozedere kann wirklich nicht die Rede sein.
Impfprozess verläuft ruhig
Der Prozess von der Ankunft am Eingang West an der Lagerstraße bis zum Check-out verläuft ruhig und entspannt. Es scheint an alles gedacht zu sein, sogar an Stühle in dem Wartebereich vor dem Check-in für diejenigen, die nicht so lange stehen können.
100 Mitarbeiter vom sogenannten Careteam sind sofort zur Stelle, wenn einer der Impflinge Hilfe benötigt, einen Rollator oder einen Rollstuhl etwa. Jakob Seidensticker ist in diesem Team. Sonst ist er Musiker, doch die pandemiebedingte Absage sämtlicher Musikveranstaltungen brachte den 45-Jährigen dazu, sich hier nützlich zu machen. „Das ist eine Bereicherung, mit den alten Menschen zu sprechen und zu tun zu haben“, sagt er.
Turbocluster ermöglicht mehr Impfungen
Wie aber ist es möglich, ab dieser Woche 1000 Menschen mehr jeden Tag von 8 bis 20 Uhr impfen zu können? Um die Abläufe effizienter zu machen, gibt es jetzt sogenannte Turbocluster, das bedeutet: Die zeitaufwendigen Vor- und Aufklärungsgespräche finden nicht mehr im eigentlichen Behandlungsraum statt, sondern gleich vorn bei der Anmeldung.
„Wir haben festgestellt, dass der Arzt in einem geschlossenen Raum schnell den Überblick über die Menge an wartenden Impflingen an dem Tag verliert“, so Dirk Heinrich. Vorn an der Anmeldung lässt sich der Andrang dagegen gut überblicken. Diese Maßnahme hört sich unspektakulär an, hat aber einen großen Effekt und erlaubt es eben, täglich 1000 Menschen mehr zu impfen.
Sortenreine Tage im Impfzentrum
Noch wichtiger ist aber eine weitere völlig neue Herangehensweise: Statt parallel die drei Impfstoffe von AstraZeneca, Moderna und Biontech zu verimpfen, werden sortenreine Tage eingeführt. „Das bedeutet, dass wir an den einzelnen Tagen nur einen Impfstoff verimpfen“, sagt Heinrich. „Das spart enorm viel Zeit. Und Zeit ist ein kostbares Gut, wenn man an seine Leistungsgrenze kommt.“
So schätzt Impfärztin Katharina Holthausen, die als Gynäkologin arbeitet, dass sie statt 60 Menschen nun 70 in einer Schicht impfen kann. So wie das Ehepaar Susanne und Heinz-Hermann Rickers aus Blankenese. Tochter Annette Busch hat ihre Eltern zur Impfung begleitet. Es ist die zweite Impfung für die 85-Jährige und ihren 91 Jahre alten Mann, sie erhalten Moderna. Nebenwirkungen hatten beide der ersten Impfung keine. „Bei der zweiten Impfung könnte das anders sein. Da können sie mit Kopf- und Gliederschmerzen und Fieber rechnen“, klärt Ärztin Katharina Holthausen auf.
Ibuprofen hilft gegen Schmerzen nach Impfung
Eine Ibuprofen würde da schon helfen. Eine halbe Stunde nach der Impfung muss die Familie noch im Ruheraum bleiben, dann kann es nach Hause gehen. „Dort sitzen wir dann noch ein bisschen zusammen und klönen“, sagt Heinz-Hermann Rickers. Der Impftermin war für ihn und seine Frau ein wichtiger und ein schöner Termin.
Weil Tochter Annette in einer Arztpraxis arbeitet, ist sie bereits geimpft. „Wir sind sehr zufrieden. die sind hier alle rasend nett, überall gibt es Hilfe, und es geht recht zügig“, sagt Heinz-Hermann Rickers. Er hofft nun, dass der Impfstoff auch lange Schutz bietet und nicht wie bei der Grippe regelmäßig wiederholt werden muss.
Hamburger Gynäkologin impft Krebspatientinnen
Gynäkologin Holthausen wird in dieser Woche in ihrer Praxis in Mümmelmannsberg damit beginnen, ihre Krebspatientinnen und die Begleitung ihrer schwangeren Patientinnen zu impfen. Ein- bis zweimal die Woche arbeitet sie außerdem im Impfzentrum, „weil das eine sinnvolle Sache ist“.
450 Mitarbeiter, davon 70 Ärzte und 100 medizinische Fachangestellte, helfen seit Januar jeden Tag im Zweischichtbetrieb in den Messehallen mit, um die Corona-Pandemie mittels der Schutzimpfung in den Griff zu bekommen. Derzeit sucht das Impfzentrum noch medizinische Fachangestellte. Längst sind alle acht Cluster in Betrieb. Ein Cluster ist 800 Quadratmeter groß und ein autonomes Impfmodul mit Ähnlichkeiten zu einer Arztpraxis und den dortigen Strukturen – samt Anmeldung, Anamnese, Behandlungs- und Ruheraum.
„Astrazeneca ist ein unzuverlässiger Lieferant"
Wie lange Dirk Heinrich seine eigentliche HNO-Praxis in Horn immer wieder verlassen wird, um im Impfzentrum zu sein, das weiß er nicht. Was er aber weiß, ist, dass es länger dauern wird als zunächst vermutet. Geplant war, das Impfzentrum bis Mai zu betreiben. „Wir werden aber vermutlich bis Juli nötig sein“, so Heinrich, der gerade einen Anruf bekommt: Es gibt anscheinend bis Mai Lieferschwierigkeiten bei Astrazeneca.
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Solche Nachrichten regen ihn schon lange nicht mehr auf, eigentlich scheint ihn nichts aus der Ruhe zu bringen. „Astrazeneca ist ein unzuverlässiger Lieferant, jetzt sieht man es mal wieder.“ Die Lieferschwierigkeiten, sagt er, würden hauptsächlich die Haus- und Facharztpraxen betreffen, nicht das Impfzentrum. Über deren Mithilfe beim Impfen ist er sehr froh.
Atmosphäre aus Zuversicht und Zufriedenheit
„Die Kollegen in den Praxen kennen sich besser aus mit den Vorerkrankungen ihrer Patienten und wissen, mit wem genau sie es zu tun haben. Das ist ein Vorteil.“ Und dennoch sei es wichtig, weiterhin parallel das Impfzentrum in Betrieb zu haben. „Was ist, wenn in einer Praxis der Arzt ausfällt? Die Impfstofflogistik mit Bestellungen und Lieferungen ist hochkomplex. Da kommt noch eine Menge Fragen auf uns zu.“ Sicher könne das Zentrum irgendwann verkleinert werden, aber ganz ohne werde es noch lange nicht gehen.
Es ist ein ganz besonderer Geist hier, eine Atmosphäre aus Zuversicht und Zufriedenheit. Das liegt natürlich daran, dass die Menschen, die hier arbeiten, den Besuchern etwas Gutes tun. „Hier treffen gut gelaunte Mitarbeiter auf gut gelaunte Besucher, und das potenziert sich“, fasst es Heinrich zusammen. Das liegt auch an der bunten Mischung von Mitarbeitern aus verschiedenen Berufen, die für eine begrenzte Zeit ein Team bilden.
Rocker, Schauspieler, Burlesque-Tänzerin
Da ist der Rocker, der in seinem eigentlichen Leben mit Bands wie den Scorpions auf Tour ist, die 50-Jährige, die Konzerte von Rammstein mit organisiert und nun in den Clustern alles managt, oder der Schauspieler, der statt bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg hier arbeitet, um über die Runden zu kommen. Oder die Burlesque-Tänzerin, die sonst auf dem Kiez ihre Hüllen fast ganz fallen lässt und jetzt ebenso mit großem Eifer und vollem Einsatz Senioren bei ihrem Gang durchs Impfzentrum begleitet.
Gut gesorgt wird für die Mitarbeiter unter anderem mit Snacks, Schokoriegeln und Extras wie einer Waschanlage für die Fahrräder. Unwichtig? Sicher nicht. Nicht umsonst stellen Unternehmern extra Manager ein, deren Aufgabe es ist, für die Mitarbeiter zu sorgen, sich zu kümmern und ihre Bedürfnisse wahrzunehmen.
Hamburger Impfzentrum: „Wir sind hier ein Team"
In dieser Hinsicht ist das Impfzentrum modern aufgestellt. Zufriedene Mitarbeiter kümmern sich eben auch besser um die Besucher „Wir sind hier ein Team, Hierarchien spielen keine Rolle. Jeder hat seine Aufgaben“, sagt Roland Beckerle, der sonst als Produktionsleiter mit Bands wie den Scorpions, Mando Diao oder den Toten Hosen weltweit unterwegs ist.
Wer in diesen Tagen wütend ist oder mütend, also gleichzeitig müde und wütend, weil das Impfprozedere in Deutschland so lange dauert, kann sich vielleicht von Dirk Heinrichs Optimismus anstecken lassen. Er ist jemand, der Zuversicht verbreitet. Das gehört als Leiter des Impfzentrums schon aufgrund seiner Funktion dazu, aber dennoch kann man diesen Satz nicht oft genug hören: „Bis Juli oder August kann es klappen, dass jeder in Hamburg wenigstens schon eine Impfdosis erhalten hat.“