Hamburg. Im Abendblatt-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ warnt Rechtsmediziner Klaus Püschel vor dem autoerotischen Unfall.
Noch im Tod wirkt die Haltung des Mannes irgendwie demütig. Der gesenkte Kopf, der gekrümmte Rücken, die angezogenen Beine. Der Mann hat seinen Körper derartig in die Zimmerecke gedrückt, dass er noch Stunden nach seinem Ableben wie eine düstere, bizarre Skulptur aussieht. Doch diese besondere Inszenierung war für das Leben gedacht, für das ultimative Hochgefühl gar. Und nicht für den Tod.
Ein Mensch auf der Suche nach dem autoerotischen Abenteuer: Extrem wenig Luft bedeutet extrem viel Lust. Auf diese Formel lässt sich wohl verdichten, was den 40-Jährigen aus einer norddeutschen Kleinstadt angetrieben hat. Aber diese besondere sexuelle Vorliebe teilt dieser Mann mit manchen anderen. Diese Menschen wagen sich, meist allein und unbeobachtet, an Grenzen heran. Sie schnüren sich auf dem Weg zum Orgasmus die Luft ab, mit Masken, Gürteln oder Plastiktüten, um extreme Befriedigung zu erleben. Es ist ein äußerst gefährliches Spiel, bei dem nach dem Höhepunkt der Tod folgen kann.
Luft zu lange knapp geworden
„Autoerotischer Unfall wird dieser unfreiwillige Tod genannt, wenn die Luft zu lange zu knapp geworden ist“, erläutert Rechtsmediziner Klaus Püschel im Abendblatt-Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher. „Unsere absonderlichste Auffindesituation einer Leiche bei einem autoerotischen Unfall war im Fall des 40-Jährigen. Bekleidet war der Körper mit einem Neoprentaucheranzug. Der Kopf und die Halsregion waren von einem Plastikmüllsack umschlossen. Darunter trug er einen blauen Regenmantel sowie durchsichtige Plastiküberzüge an den Füßen.“ Beim weiteren schichtweisen Entkleiden des Mannes wurden abgeschnittene Perlon-Damenstrumpfhosen über Oberkörper und Unterkörper sichtbar.
„Doch das Erstaunlichste“, so Püschel, „war die unterste Schicht. Unter den Strumpfhosen war die gesamte Haut mit Käse belegt.“ Es handelte sich um zahlreiche Käse-Scheibletten, die durch die Wärme des Körpers und der Heizung geschmolzen waren. Der Mann im Taucheranzug hat die Lust gesucht – und unfreiwillig den Tod gefunden. Autoerotische Unfälle sind keinesfalls ein neues Phänomen des 21. oder auch nur des 20. Jahrhunderts. Der erste wurde schon 1821 beschrieben – und seitdem immer wieder. „Eins ist auffällig“, erzählt Püschel: „Es betrifft ganz überwiegend Männer. Das belegt auch eine Studie am Universitätsklinikum Eppendorf, in der 101 autoerotische Unfälle mit Todesfolge aus den Jahren 1983 bis 2002 in den Metropolen Hamburg und München ausgewertet wurden: Nur eines der Opfer war weiblich.“
Unfälle passieren meist in der eigenen Wohnung
Überwiegend wurden die Verunglückten in den eigenen Wohnungen gefunden – oder an einsamen Orten in der freien Natur. „Ich habe Männer erlebt, die selbst im Winter einen Vorwand finden, sich in eine abgeschiedene Ecke des Gartens zurückzuziehen. Und andere, die offenbar nur darauf warten, bis die Familie mal wegfährt. Ich erinnere mich an einen Fall eines 89-Jährigen, der die Zeit, die seine Frau auf einer Kaffeefahrt verbrachte, zu einem ganz speziellen Erotik-Abenteuer nutzte – und dabei verstarb.“ Püschel und Mittelacher, die das Phänomen der autoerotischen Unfälle auch in ihrem gemeinsamen Buch „Tote lügen nicht“ beschrieben haben, möchten ausdrücklich vor den erheblichen Gefahren warnen, die sich aus dem absichtlichen Luftabschnüren ergeben können. Schon sehr viele Menschen sind an den Folgen gestorben, auch solche, die sich offenbar der Gefährlichkeit bewusst gewesen waren und beispielsweise Scheren für eine Rettung bereitgelegt hatten. Doch dann ging etwas tödlich schief.
Es hat auch schon äußerst prominente Opfer getroffen wie den amerikanischen Filmstar David Carradine. Der 72-Jährige wurde im Jahr 2009 im thailändischen Bangkok in seinem Hotelzimmer gefunden, erhängt im Kleiderschrank. Der 72-Jährige sei nackt gewesen, hieß es in der Presse. Insgesamt ist der Rat, der in der Szene der hypoxyphilen Menschen kursiert, also jener, für die extreme Atemnot stimulierend wird: niemals allein sein, wenn man seinen speziellen Vorlieben nachgeht. „Ich gehe davon aus“, warnt Püschel, „dass es in Bezug auf tödliche autoerotische Unfälle eine nicht geringe Dunkelziffer gibt. Kordeln, Riemen oder Sexspielzeug beim überraschend verstorbenen Ehemann, Sohn oder Freund, und dieser dazu vielleicht ohne Hose? Dies kann von Angehörigen und Freunden als extrem kompromittierende Situation empfunden werden. Es ist durchaus denkbar, dass diese womöglich aus Scham versuchen, die Szenerie zu vertuschen und eine unverdächtige Situation herzustellen.“