Hamburg. Unter dem Deckmantel des legitimen Protests gegen die Corona-Einschränkungen droht eine neue Form des Extremismus heranzuwachsen, warnt der Hamburger Verfassungsschutz. Für zwei Gruppen hat das Konsequenzen.
Ein Jahr nach Beginn der Pandemie geraten Gruppierungen aus dem Spektrum der sogenannten Corona-Leugner zunehmend ins Blickfeld des Hamburger Verfassungsschutzes. Neben völlig legitimer Kritik am Regierungshandeln werde von Teilen der Szene der demokratische Staat, seine Repräsentanten und Institutionen als solche abgelehnt, sagte Innensenator Andy Grote (SPD) am Dienstag bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2020. Solche Gruppierungen würden als Verdachtsfälle eingestuft.
Der Senator warnte vor einem neuen verschwörungsideologischen, staatsgefährdenden, verfassungsschutzrelevanten Extremismus, der in naher Zukunft zur Herausforderung für die Demokratie werden könne. Bei zwei Hamburger Gruppen gebe es hinreichende Hinweise auf Verfassungsfeindlichkeit, sagte der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, Torsten Voß, "so dass wir "Querdenken 40" und "Hamburg steht auf" unter Beobachtung stellen als sogenannten Verdachtsfall".
Mit 175 sogenannten Reichsbürgern, die die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen und häufig an Demonstrationen der Corona-Leugner teilnehmen, habe man in Hamburg "noch eine moderate Entwicklung", stellte Voß fest. Bei zehn Prozent der Reichsbürger gebe es Überschneidungen zum Rechtsextremismus.
Daran, dass vom Rechtsextremismus die größte Gefahr ausgeht, habe sich im vergangenen Jahr nichts geändert, berichtete Grote. So sei die Zahl der Rechtsextremisten insgesamt zum Vorjahr um 50 auf jetzt 380 gstiegen, was zum größten Teil auf 40 neu erfassten Anhänger des von der AfD als aufgelöst erklärten extremistischen "Flügels" zurückzuführen sei. "Auch wenn der Hamburger AfD-Landesverband aktuell kein Beobachtungsobjekt ist - unser Verfassungsschutz wird auch künftig genau hinsehen, ob und inwiefern Extremisten Einfluss bekommen und Verbindungen zu weiteren Extremisten bestehen."
Mit 1270 Linksextremisten (2019: 1290) - davon 74 Prozent gewaltorientiert - bleibt Hamburg aus Behördensicht auch eine Hochburg des militanten Linksextremismus. "Wir haben zum einen die Autonomen, das ist der größte Anteil, dann haben wir Anarchisten (...) und die Antiimperialisten", sagte Voß. Gruppen wie die Interventionistische Linke versuchten zunehmend, über Themen wie Black Lives matter oder Klimaschutz in die Mitte der Gesellschaft vorzustoßen. "Kein noch so ehrenwertes Engagement legitimiert, sich außerhalb unserer Verfassung zu stellen", unterstrich Grote.
Auch in der islamistischen Szene wurde eine Zunahme gewaltorientierter Anhänger festgestellt. Die Gesamtzahl blieb mit 1660 (2019: 1645) relativ stabil. Zur Gruppe der Gewaltorientierten zählten auch die Anhänger der Gruppe Hizb ut-Tahrir und der Furkan-Gemeinschaft, die in der Stadt sehr aktiv seien. Von 670 Salafisten in Hamburg werden 340 als gewaltbereite Dschihadisten eingestuft.
Mit zunehmender Digitalisierung habe auch die Zahl der Cyberattacken zugenommen, hinter denen häufig ausländische Nachrichtendienste etwa aus Russland oder China vermutet würden. "Ziel ist Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär in Deutschland", sagte Voß.
Auch moderne maritime Navigationssysteme seien Angriffspunkte. "Wenn ich Einfluss auf die Navigationssysteme ausüben kann, dann kann ich beispielsweise auch ein Schiff vor dem Hamburger Hafen quer stellen und die Fahrrinne blockieren", warnte der Landesamtschef mit Blick auf den im Suezkanal auf Grund gelaufenen Containerfrachter, bei der die Havarie aber nach bisherigen Erkenntnissen auf einen Sandsturm zurückzuführen sei.
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