Hamburg. Eine eigens gegründete Soko will den harten Kern der Szene in den Griff bekommen. Nun wurden Wohnungen durchsucht.

Nach dem Angriff auf Wachmänner der Europa Passage, bei dem ein 59 Jahre alter Mitarbeiter des Sicherheitsunternehmens aufgrund einer Vorerkrankung leblos zusammenbrach, hat die Polizei am Dienstag Wohnungen von an der Auseinandersetzung beteiligten Jugendlichen durchsucht.

Dem Einsatz waren mehrwöchige Ermittlungen vorausgegangen. Hinter dem Erfolg stecken drei Beamte der Kripodienststelle am Steindamm, die als Mini-Soko „Jungfernstieg“ die Kriminalität durch Jugendliche in dem Bereich bekämpfen soll.

Aufenthaltsverbote am Jungfernstieg für drei Beschuldigte

Nach dem Lockdown und angesichts des kühlen Winterwetters war es eher ruhig rund um den Jungfernstieg geworden. In den vergangenen Wochen kam es nun wieder vermehrt zu Taten, die sich aber mehr im Bereich Europapassage abspielten.

Darunter war auch die Auseinandersetzung mit den Wachleuten, die die Jugendlichen wegen des Verstoßes gegen das Rauchverbot und gegen die Coronaregeln aus der Passage verweisen wollten, und ein Überfall mit Rauch an einem Zugang zur Passage. Beide Fälle wurden von den drei Ermittlern aufgeklärt.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Am Dienstag durchsuchten Polizisten nun die Wohnungen von zwei 20-jährigen Syrern und einer 15-Jährigen, die an der Auseinandersetzung mit den Wachleuten beteiligt waren. Ermittelt wird wegen gefährlicher Körperverletzung. Die lebensbedrohliche Erkrankung des einen Wachmanns, so die Erkenntnisse der Polizei, steht in keinem Zusammenhang zur Tat. Er war auch nicht angegriffen worden. Alle drei Beschuldigten bekamen zunächst Aufenthaltsverbote.

Brennpunkt für Jugendkriminalität

Die Ecke ist seit Jahren als Brennpunkt für Jugendkriminalität bekannt. Die Szene selbst scheint überschaubar. Um die 50 Personen werden dem härteren Kern zugerechnet. Feste Gruppen gibt es nicht, eher lose Verbindungen, die sich Namen wie „Bruderschaft 786“ in Anlehnung auf die im Islam benutzte Zahl, die für „Im Namen Allahs, des Barmherzigen der Barmherzige“ steht. Einen islamistischen Hintergrund hat dies nach Erkenntnissen der Polizei nicht. Es hängt eher mit der Herkunft der meisten Jugendlichen, die der Szene zuzuordnen sind, zusammen.

Barmherzig sind die Jugendlichen oft nicht. Da wird brutal geschlagen, getreten und mit Totschlägern auf andere eingeprügelt, bis Knochen brechen. Opfer geraten manchmal völlig unvorbereitet ins Visier der Schläger. Auch stellt die Polizei fest, dass sich immer wieder Jugendliche aus der Szene berufen fühlen, Streitigkeiten von anderen „zu regeln“.

Viele der Jugendlichen sind Intensivtäter

Im Fokus stehen die etwa 15 Jugendlichen, die als Wortführer gelten. Die meisten von ihnen sind wegen der vielen gegen sie eingeleiteten Ermittlungsverfahren sogenannte Intensivtäter. Ihnen gilt die besondere Aufmerksamkeit des Ermittler-Trios.

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

Wer glaubt, dass sie besonders intensiv vernommen würden, irrt. Vernehmungen finden im Zusammenhang mit den von ihnen begangenen Taten so gut wie nie statt. Das Gesetz lässt dies nicht zu. Jugendliche dürfen keine Aussagen machen, ohne dass ein Rechtsanwalt an ihrer Seite ist – selbst wenn sie wollten. In der Praxis lehnen die Verteidiger das Gespräch ihrer Mandanten mit der Polizei regelmäßig ab. So kommt es vor, dass ein Beschuldigter „reinen Tisch“ machen will, die Ermittler dies aber ablehnen müssen.

Jungfernstieg-Szene: Vier Haftbefehle gegen Jugendliche

Deshalb sind es vor allem Zeugenaussagen und Sachbeweise, auf die sich die Ermittlungen stützen. Erfolglos ist das nicht: Vier Haftbefehle – drei im vergangenen Jahr, einer in diesem – erwirkte die Staatsanwaltschaft gegen Jugendliche aus der Jungfernstieg-Szene. Der jüngste Täter, der in Haft kam, ist 15 Jahre alt. Das wird intern als großer Erfolg gesehen. Haftbefehle gegen Minderjährige sind kaum zu bekommen.

„Es ist auch nicht immer unser Ansatz, die Jugendlichen einzusperren“, sagt die Frau aus dem Ermittlertrio. Was die Beamten leisten, trägt oft die Züge von Sozialarbeit. Immer wieder suchen Jugendliche aus der Szene, aber auch deren Eltern das Gespräch mit den Polizisten.

Langfristige Aufenthaltsverbote

Einem 13-Jährigen, der zwar noch ein Kind ist, aber bereits hinreichend bekannt, musste die Ermittlerin klar machen, das sie ihn, wenn er 14 und damit strafmündig ist, lieber ehrlich, als hinter Gittern wüssten. „Wir sehen unsere Arbeit auch als stark präventiv“, sagen alle drei übereinstimmend. Das gilt vor allem für die Mitläufer, die nicht zu den Wortführern der Szene gehören.

„Wichtig für uns sind auch die langfristigen Aufenthaltsverbote, die bis zu drei Monaten gehen“, sagt Ulf Wundrack, Leiter der Dienststelle, zu der die drei Ermittler gehören. Wird dagegen verstoßen, drohen empfindliche Zwangsgelder. Auch das wirkt.

Polzei rechnet mit einer Verlagerung an Binnenalster

Wenn es jetzt wärmer wird, wird die Szene – da sind sich die Beamten sicher – wieder mehr an der Binnenalster präsent sein. Die Polizei hält dagegen. Hohe Präsenz, niederschwelliges Ansprechen von Jugendlichen, das ist das Konzept. Dass die Gegend für die Gruppen, die Probleme machen, unattraktiv wird, glaubt man bei der Polizei nicht. Es ist die Mischung von toller, zentraler Location und dem Angebot einiger guter, kostenloser Wlan-Netze, die den Bereich für sie besonders attraktiv machen.