Hamburg. Der Arzt des Seglers über den Schlafrhythmus, das Geheimnis, abschalten zu können – und warum viele kleine Ruhephasen schon reichen.

Wie kann man in 80 Tagen auf einem Segelschiff um die Welt fahren, ohne auch nur einmal länger als eine Stunde am Stück zu schlafen? Der Hamburger Boris Herrmann hat bei der Regatta Vendée Globe genau das gemacht – und dabei wahrscheinlich gar nicht viel weniger geschlafen, als die vielen Fans, die seine Reise von zu Hause verfolgt haben.

Das geht, sagt der Hamburger Mediziner Dr. Holger Hein. Und er muss es wissen: Hein, der in Reinbek eine Praxis betreibt, hat sich auf das Schlafen spezialisiert. Betreut Patienten in einem Schlaflabor. Weiß einfach so ziemlich alles über das Verhalten der Menschen bei Nacht und seine Tücken.

Schlafexperte kennt Boris Herrmann seit über 20 Jahren

Und er kennt Herrmann seit mehr als 20 Jahren. Berät den Extremsegler bei all seinen Projekten. Erfasst die Daten seines Schlafes – und feilt gemeinsam mit ihm daran, wie es von Regatta zu Regatta noch besser werden kann.

Hein erinnert sich noch genau an das Kennenlernen mit Herrmann. „Er war damals 18 Jahre alt und rief mich eines Tages an“, sagt der Mediziner. Herrmann habe zu der Zeit in Kiel gelebt und seinen Zivildienst geleistet. „Er wollte am Mini-Transat teilnehmen und hatte einige Fragen für die Vorbereitung.“ Das Mini-Transat ist ein Rennen, bei dem die Teilnehmer allein in kleinen Booten, die gerade einmal 6,50 Meter lang sind, von Europa in die Karibik segeln.

Auseinandersetzung mit Boris Herrmanns innerer Uhr

Also untersuchten Herrmann und Hein gemeinsam das Schlaf-Wachverhalten des Seglers. „Wir haben seine innere Uhr einmal genau entschlüsselt.“ Und daraus dann die Schlüsse gezogen, wie der Hamburger am besten Erholung findet.

Seitdem arbeiten er und Herrmann gemeinsam daran, den Schlaf des Extremseglers so erholsam wie möglich zu gestalten. Hein ist zufrieden mit dem 39-Jährigen. „Im Schnitt hat Boris Herrmann etwa sechs Stunden jeden Tag Schlaf bekommen während der Vendée Globe. Das reicht ihm.“, so Hein.

Aufteilung des Schlafpensums in viele kleine Ruhephasen

Das Geheimnis bei einer solchen Einhand-Weltumsegelung sei, dass sich Herrmann sein Schlafpensum in vielen kleinen Ruhephasen geholt habe. „Aber das macht gar nichts. Er ist damit in der Regel ausreichend erholt.“ Schließlich würde jeder Mensch in der Nacht mehrfach aufwachen. Zumeist merke man das nicht. „Also hat Boris letztlich nichts anderes getan als wir alle. Nur dass er nach den Schlafphasen nicht gleich weitergeschlafen hat, so wie wir in einer normalen Nacht.“

Dr. Holger Hein ist der Schlafmediziner von Boris Herrmann.
Dr. Holger Hein ist der Schlafmediziner von Boris Herrmann. © Unbekannt | A. Laible

Herrmann habe allerdings auch die besten Voraussetzungen, um eine solche Strapaze gut zu überstehen. „Er ist ein ruhiger ausgeglichener Typ und kann enorm gut abschalten. Das ist der Schlüssel zum Erfolg bei diesen kurzen Auszeiten an Bord.“ Wenn er die Augen schließe, könne er schnell entspannen und einschlafen. Zudem hat er verschiedene Techniken eingeübt, um zügig abzuschalten.

Hein beoachtete Herrmanns Tages- und Nachtrhythmus von Hamburg aus

Während der Regatta habe Hein, der in seiner Freizeit selbst gern segelt, aus Hamburg heraus immer den Tages- und Nachtrhythmus von Herrmann im Blick gehabt. „Sein Tag war durch die Zeitverschiebung über längere Abschnitte der Regatta nur 23,5 Stunden lang“, so Hein. Zudem habe sich die Zeit regelmäßig an Bord geändert.

„Er ist der Sonne entgegengesegelt. Das kann einen Körper schon durcheinanderbringen.“ Also habe er alle paar Tage neu berechnet, wann er seinem Biorhythmus entsprechend Ruhe finde. Klar sei, der beste Schlaf ist der in der Nacht, auch weil die Dunkelheit das Einschlafen unterstütze.

Erholsamer Schlaf wichtiger als das Durchschlafen

Wer Hein lauscht, kann viel für den eigenen Schlaf lernen. So berichtet er, dass die meisten Menschen denken würden, sie leiden unter Schlafstörungen, nur weil sie nachts oft aufwachen. „Sie sind sehr auf das vermeintliche Durchschlafen fixiert. Dabei verlieren sie aus dem Blick, dass es viel wichtiger ist, dass der Schlaf erholsam ist.“

Denn derjenige, der schnell zur Ruhe finde oder auch schnell wieder einschlafen könne, sei klar im Vorteil. „Dann macht es überhaupt nichts aus, wenn man vielfach aufwacht.“ Ein klares Indiz dafür, dass der Schlaf ausreiche, sei das eigene Wohlbefinden am Morgen. „Wer aufwacht und sich gut fühlt, hat genug Erholung bekommen.“ Wer allerdings total zerschlagen sei, der könne sich sicher sein, dass der Schlaf nicht ausgereicht habe.

Boris Herrmann im Ziel der Vendée Globe:

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Jahrelanger Schlafmangel hinterlasse Spuren

Hein unterscheidet zwischen zwei Schlaftypen, dem Frühaufsteher und der Eule. Der Frühaufsteher könne seinen Rhythmus schwerer verschieben und sei deshalb für Projekte wie Herrmann sie unternimmt eher ungeeignet. Die Eule sei da flexibler. In die Kategorie stuft Hein auch den Extremsegler ein. Das Geheimnis für alle Menschen sei die Fähigkeit, abschalten zu können. „Wer nachts stundenlang wach liegt, der findet nicht genug Erholung.“ Über Jahre gesehen könne das den Körper schädigen.

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Und dann räumt er auch gleich mit einem weiteren Vorurteil auf. Herrmann habe seinen Körper geschädigt durch den wenigen Schlaf und die große Anspannung. „Jahrelanger Schlafmangel hinterlässt Spuren. Nicht die Anstrengung von 80 Tagen.“ Da sei im Körper von Herrmann nicht viel passiert. Jetzt sei es allerdings wichtig, dass der Hamburger Erholung finde. „In den Regatta-Wochen wurden permanent Adrenalin und Steroide ausgeschüttet. Das kostet viel Kraft.“

Analyse des Schlafverhaltens von Boris Herrmann steht aus

Auch deshalb spüre der Segler in der Zeit nach der Regatta eine große Erschöpfung. „Boris weiß das aber ganz genau und hat es ja auch schon einige Male durchgemacht. Er wird sich jetzt Stück für Stück erholen und bald wieder ganz der Alte sein.“ Dennoch stehe eine genaue Analyse des Schlafverhaltens von Herrmann an Bord seiner Yacht „Seaexplorer“ noch aus. Schließlich sei alles aufgezeichnet worden. „Damit wir auch aus dieser Regatta wieder für die kommenden Projekte lernen können.“

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