Hamburg. Hamburgs Vdek-Vorsitzende Kathrin Herbst über Krankenhäuser, Ärzte, Groß-Sand und die kaum bekannte Kostenverteilung beim Impfen.
Kurzarbeit lässt die Gehälter schrumpfen, aber die Sozialabgaben werden steigen: Die Corona-Pandemie wird deutliche Auswirkungen auf die Portemonnaies der Bürger haben. Weil die Krankenkassen die medizinischen Kosten tragen und für die Rettungsschirme der Krankenhäuser, Schutzkleidung für Ärzte und anderes zahlen, werden die Beiträge erwartbar angehoben.
Die Hamburg-Chefin des Krankenkassenverbandes Vdek, Kathrin Herbst, spricht im Abendblatt über die Kosten, die das grassierende Coronavirus ausgelöst hat, eine Neuordnung der Krankenhauslandschaft und die Zukunft der finanziell angeschlagenen Klinik Groß-Sand in Wilhelmsburg und die bislang kaum bekannte Kostenverteilung beim Impfen.
Hamburger Abendblatt: Frau Herbst, die Bundesregierung übernimmt die Kosten für die Corona-Impfungen für alle, die sie wollen. Wer bezahlt die Schutzkleidung für die Ärzte und Krankenpfleger, die zu Beginn der Pandemie erst angeschafft werden musste, wer den Schutzschirm für die Krankenhäuser, die Bereithaltung der Intensivbetten und das alles?
Kathrin Herbst: Die Politik hat in kürzester Zeit Gesetze auf den Weg gebracht, um entscheidende Engpässe zu verhindern – in sehr vielen Fällen ist nach dem Motto verfahren worden: Politik entscheidet, Krankenkassen zahlen. Das war in dieser Krise vielleicht nicht anders möglich. Es hat sich gezeigt, wie leistungsfähig das System der solidarischen Krankenversicherung ist. Die Ersatzkassen und alle Krankenkassen haben sich von Beginn an darauf konzentriert, schnell die Versorgung der Corona-Patientinnen und -Patienten sicherzustellen, die Sicherheit von Ärzten und Krankenpflegern zu gewährleisten und die medizinische Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Was die Corona-Impfungen betrifft: Entgegen der landläufigen Meinung werden diese nicht komplett von der Bundesregierung finanziert.
Corona-Kosten: "Politik entscheidet – Krankenkassen zahlen"
Was zahlen die Krankenkassen und damit alle Versicherten?
Die Regierung übernimmt die Kosten für den Impfstoff. Aber die Impfzentren und die mobilen Impfteams werden je hälftig von den Krankenkassen und dem jeweiligen Bundesland bezahlt. Insgesamt sind aus dem Gesundheitsfonds, in den die Beiträge der gesetzlich Versicherten fließen, enorme Summen gezahlt worden. Klar ist aus unserer Sicht, dass diese auch über Steuerzuschüsse refinanziert werden müssen, damit nicht die gesetzlich Versicherten allein die Last in dieser Ausnahmesituation tragen.
Können Sie eine Hausnummer nennen, was fehlende Schutzkleidung oder andere Maßnahmen gekostet haben?
Die Hamburger Krankenhäuser haben für zusätzliche Intensivbetten und Einnahmeausfälle bis heute rund 322,8 Millionen Euro erhalten. Für die Schutzkleidung der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in der Hansestadt sind bisher über 30 Millionen Euro geflossen. Daneben gibt es noch viele weitere Schutzschirme und Ausgleiche, über die kontinuierlich Millionen-Summen gezahlt wurden und werden – zum Beispiel für Schutzausrüstung und Corona-Tests in den Hamburger Pflegeheimen, für Einnahmeausfälle bei den Heilmittelerbringern wie etwa den Physiotherapeuten, für Reha-Einrichtungen…
Einige Krankenkassen erhöhen den Zusatzbeitrag. Wird die Krankenversicherung noch teurer – oder in diesem Jahr der Bundestagswahl vorerst nicht?
Für dieses Jahr sind die Finanzen der Gesetzlichen Krankenversicherung kalkuliert. Aber auch im Wahljahr muss politisch darüber gesprochen werden, wie die Finanzierung 2022 aussieht. Die Vermögen der Krankenkassen werden im Laufe des Jahres 2021 weitestgehend aufgebraucht sein. Wenn nichts passiert, besteht die Gefahr, dass sich die Zusatzbeitragssätze für 2022 nahezu verdoppeln – von heute aus betrachtet auf rund 2,5 Prozentpunkte.
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Das hieße bei einem Monatsgehalt von 4000 Euro brutto 100 Euro statt 50 Euro Aufschlag zur Krankenversicherung. Genauso wenig populär im Wahljahr ist die seit Jahren bekannte Wahrheit, dass die Zahl der Krankenhäuser schrumpfen muss. Was heißt das für Hamburg?
In der ersten Corona-Welle standen die Krankenhäuser zusammen mit den Arztpraxen im Zentrum der Pandemiebekämpfung, es gab plötzlich keine Debatte um eine Modernisierung der Krankenhauslandschaft mehr. Die Zahl von mehr als 1700 Krankenhäusern mit insgesamt rund 2600 Standorten wird im internationalen Vergleich als zu hoch eingeschätzt. Auch für Hamburg zeigt sich: Wir brauchen einen starken ambulanten Sektor, der den Kliniken den Rücken freihält für die Therapie der schwerstkranken Patienten. Wir wissen auch, dass die Behandlung schwerstkranker Corona-Patienten vor allem in den großen Schwerpunkthäusern stattgefunden hat. Es darf also nach Corona kein „Weiter so“ geben.
Krankenhäuser müssen also schrumpfen oder schließen?
Nicht jedes Krankenhaus soll alles machen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Behandlungshäufigkeit und Behandlungsqualität. Übung macht den Meister, vereinfacht gesagt. Die komplexen Leistungen müssen deshalb auf Zentren konzentriert werden. Davon profitieren die Patienten, denn das erhöht die Qualität von Behandlungen und macht sie sicherer. Weiterer Pluspunkt: Die Kliniken müssen sich nicht das immer knapper werdende Fachpersonal untereinander abwerben, sondern die hohe Fachkompetenz konzentriert sich zum Wohl der Patienten in den Zentren.
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Hamburg: Was wird aus dem Krankenhaus Groß-Sand?
In Wilhelmsburg steht das finanziell angeschlagene Krankenhaus Groß-Sand auf der Kippe. Das katholische Erzbistum will es verkaufen, hat das aber seit Jahren nicht geschafft. Sie sitzen im Lenkungsausschuss, der eine Lösung finden soll. Ist Groß-Sand zu retten?
Es ist eine Entscheidung des Erzbistums. Im Grundsatz ist es so, dass genau betrachtet werden muss, welche Art der Versorgung die Patientinnen und Patienten in Wilhelmsburg benötigen. Und wie das medizinisch Erforderliche wirtschaftlich angeboten werden kann.
Wie kann eine Notfallversorgung in Groß-Sand für Wilhelmsburg aussehen? Kann man Teile des Krankenhauses wie die Chirurgie an einem anderen Standort betreiben?
Das hängt letztlich vom Willen des Betreibers ab. Aber auch hier gilt: Komplexe Leistungen sollten zum Wohle der Patienten in Zentren mit hoher Fallzahl und Expertise erbracht werden – denken Sie etwa an ein Polytrauma nach einem schweren Auto- oder Motorradunfall.
In Groß-Sand wurde auch die Pflegeschule aufgegeben. Dabei ist Krankenpflege die Herausforderung der Zukunft. Seit Jahren wird der Personalmangel beklagt. Haben Sie eine Lösung?
Dies hat das Erzbistum so entschieden. Generell ist es sehr wichtig, genügend Pflegekräfte auszubilden und den Personalmangel zu bekämpfen. Die Ersatzkassen unterstützen Aktivitäten ausdrücklich, mit denen Ausbildungskapazitäten ausgebaut, Teilzeitstellen in Vollzeitbeschäftigung umgewandelt und zeitweise nicht mehr Berufstätige zu einer Rückkehr in die Klinik-Tätigkeit motiviert werden.
Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:
- Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
- Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
- Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
- Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
- Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).
Hamburg gehört zu den Bundesländern, in denen die Eigenanteile der Pflegebedürftigen sehr hoch sind. Muss man sich darauf einstellen, dass die alternde Gesellschaft uns alle noch viel mehr kosten wird?
Unsere Auswertung zeigt, dass Hamburg bei der finanziellen Belastung der Pflegebedürftigen durch die Eigenanteile der teuerste Stadtstaat ist. Nur vier andere Bundesländer sind noch teurer. Von 2018 bis 2021 ist die monatliche Summe, die Pflegebedürftige aus eigener Tasche zahlen müssen, um fast 30 Prozent gestiegen. Sie liegt jetzt bei 2080 Euro. Wenn nichts geschieht, dann werden immer mehr Hamburgerinnen und Hamburger auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen sein. Noch vor der Bundestagswahl muss deshalb eine Pflegereform kommen. Die Eigenanteile müssen dauerhaft begrenzt und der Beitragssatz in der Pflegeversicherung muss stabilisiert werden. Gute Pflege muss für alle Versicherten bezahlbar bleiben.