Hamburg. Hamburgs Polizeipräsident über die Herausforderungen durch Corona, sinkende Kriminalität und Ausrüstung der Beamten.

Die Bewältigung der Corona-Pandemie ist auch für die Hamburger Polizei extrem anstrengend – jedoch trug die Infektionswelle bei wichtigen Kriminalitätsfeldern auch zu einem weiteren Rückgang der erfassten Straftaten bei.

So ging laut Polizeipräsident Ralf Martin Meyer etwa die Zahl der Einbrüche im Jahr 2020 um etwa 20 Prozent zurück. Im Interview mit dem Abendblatt spricht der Polizeipräsident über die Disziplin der Hamburger bei der Einhaltung der Corona-Regeln, über bleibende Problemfelder – und die Digitalisierung der Polizei.

Hamburger Abendblatt: Seit zehn Monaten muss die Polizei mit riesigem Aufwand die Einhaltung der Corona-Regeln durchsetzen. Wie verkraften das der Apparat und die einzelnen Beamten?

Ralf Martin Meyer: Am Anfang war Corona ein Thema, bei dem man sich als Polizist ein bisschen schütteln musste. Aber es war klar, dass es jemanden braucht, der die Einhaltung der Verordnung in der großen Fläche Hamburgs kontrolliert. Ich habe mal gesagt, dass wir da so reingerutscht sind mit allen internen und externen Fragestellungen, die so eine völlig neue Situation mit sich bringt. Aus der heutigen Sicht sage ich aber, wer anderes als die Polizei soll so eine Mammutaufgabe lösen? Die Polizei ist heute, neben dem Krankenhauspersonal und den Pflegekräften, eine der wesentlichen Säulen in dieser Zeit. Wir sorgen für Sicherheit und schauen auf die, die sich mit den Regeln schwertun. Und das in der ganzen Stadt.

War das ein Lernprozess?

Meyer: Zunächst stand intern die Frage im Raum, ob die Kontrollen der Einhaltung der Eindämmungsverordnung nicht auch etwas für die Bezirksämter seien. Aber dazu ist die Herausforderung einfach zu groß. Es ist eine umfangreiche Aufgabe geworden, die wir auch gemeinsam mit den Bezirksämtern lösen. Das hat sich so entwickelt und ist mittlerweile ein etabliertes Vorgehen.

Die Personalsituation bei der Polizei war auch schon vor Corona teilweise angespannt. Bedeuten die Kontrollen nicht eine massive Zusatzbelastung?

Meyer: Wir haben inzwischen die Möglichkeiten, denn es sind ja andere kräftezehrende Aufgaben ganz oder teilweise reduziert. Fußball, Basketball, Handball – alles findet ohne Zuschauer statt. Die Zahl von Veranstaltungen mit vielen Menschen liegt nahezu bei null, der Frühjahrsdom ist bereits abgesagt. Die Ausnahme ist das Versammlungs­geschehen. Wir haben 2020 mehr Demonstrationen und Kundgebungen gehabt als 2019. In der aktuellen Situation fehlt mir allerdings das Verständnis für die Anmelder von großen Demonstrationen.

Der Lockdown wird immer wieder verlängert, nun offenbar erneut verschärft. Ist die Bereitschaft der Menschen noch da, sich an die geltenden Regeln zu halten?

Meyer: Man muss den Leuten immer wieder vor Augen führen, wie schlimm dieses Virus ist. Für junge Leute ist das anscheinend schwerer zu greifen. Dort hört man von glimpflichen Verläufen bei Freunden. Wenn man auf die Intensivstationen schaut, sieht man, wie wichtig die Aufgabe ist, die wir als Polizei haben. Ich sehe es auch als meine Aufgabe an, den Menschen deutlich zu machen, dass die Polizei kein Spielverderber ist, sondern die Einhaltung der Maßnahmen zur Eindämmung von Corona wichtig sind. Es macht mich fassungslos, dass wir immer noch Partys mit 30, 40 oder 50 Personen beenden müssen und wie viel Ignoranten des Problems es immer noch gibt. Wir schauen jetzt auch besonders auf diese Wiederholungstäter, unter ihnen sind Menschen, die es mit der Regeltreue auch sonst nicht so genau nehmen. Hier muss man offenbar mit empfindlichen Bußgeldern arbeiten, um etwas zu erreichen.

Wie ist die Polizei selbst im Kampf gegen Corona aufgestellt?

Meyer: Wir haben inzwischen ein sehr gutes System zur Früherkennung und zur Quarantänevermeidung. Das haben wir jetzt noch mal ausgebaut. So haben wir eine PCR-Teststrecke zu einer Ultra-PCR-Teststrecke ausgebaut. Dadurch haben wir bei Verdachtsfällen sehr schnell ein valides Ergebnis, also in ein bis zwei Stunden. Aktuell haben wir also beste Voraussetzungen, schnell zu erkennen, ob es ein Corona-Problem gibt. Das bedeutet nicht, dass wir von Ausbruchsgeschehen verschont bleiben. Das gab es leider schon bei der Wasserschutzpolizei, beim Gefangenentransport oder beim Polizeikommissariat 25. Wir waren aber immer in der Lage, das weitere Geschehen schnell einzugrenzen. Als sehr vorteilhaft erweist sich, dass wir einen eigenen Amtsarzt haben, der sehr schnell mit seiner Expertise eingreifen kann und wertvolle Arbeit leistet sowie nicht zuletzt die Gesundheitsämter entlastet. Zurzeit haben wir weniger als 40 Infizierte bei etwa 11.000 Mitarbeitern.

Corona wirkt sich auf die Kriminalität aus. Gehen die Zahlen deutlich runter?

Meyer: Gott sei Dank hatten wir schon vor Corona gute Erfolge. Insofern gab Corona noch einmal Rückenwind für die Kriminalitätsbekämpfung. Durch weniger Reiseverkehr blieben auch ungebetene Gäste aus, die Kriminalität nach Hamburg bringen. Das merkt man deutlich am Taschen- oder Einbruchsdiebstahl. In den Bereichen wird man, obwohl wir schon auf einem niedrigen Niveau waren, noch einmal ein zusätzliches Minus von um die 20 Prozent haben. Ebenfalls positiv wirkt sich aus, dass den Tätern die Gelegenheiten fehlen. Die Menschen sind zu Hause, das ist schwierig für Einbrecher, und es fehlen Menschenansammlungen, die Taschendiebe für ihre Taten brauchen.

Gibt es Bereiche, in denen die Straftaten zunehmen?

Meyer: Ein Thema bleibt natürlich das Internet. Wenn sich das Leben mehr in die eigenen vier Wände verlagert, folgt der Betrug im Internet dorthin. Der Betrug insgesamt geht zwar zurück, aber das hat damit zu tun, dass andere Delikte zurückgehen, die zu diesem Bereich gerechnet werden – wie das Schwarzfahren. Insgesamt bleibt der Betrug im Internet eine Herausforderung. Was steigt, ist auch die Beziehungsgewalt. Wir haben beim ersten Lockdown gesehen, dass es etwas dauert, bis die Steigerungen erkennbar werden. Deshalb erwarte ich, dass auch mit dem zweiten Lockdown ein Anstieg einhergeht.

Welche Vorhaben stehen für Sie in diesem Jahr im Fokus?

Meyer: Wir sind dabei, unsere IT zu reformieren. Beim Wechsel auf Windows 10 haben wir mehr als 40 Prozent der Geräte getauscht und werden bis zum Sommer fertig sein. Wir harmonisieren Systeme, die bundesweit eingesetzt werden. Wir rollen weitere 1400 mobile Geräte für die Vollzugskräfte u. a. auf den Funkstreifenwagen aus, um noch mobiler zu werden. Auch in den Büros wollen wir weg vom PC und hin zum Laptop, sodass diese flexibel genutzt werden können und auch für Homeoffice geeignet sind. Es läuft also gerade unter dem Stichwort Mobilität sehr viel.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Was macht das Projekt „Perle“, die neue Einsatzzentrale?

Meyer: Bedingt durch ein Klageverfahren gehen wir in eine neue Ausschreibung. Wir können aber noch eine Zeit lang mit dem Support unseres Systems durch Siemens rechnen, und zwar bis zum Jahr 2025. Die Klage betrifft auch nur Teile des Systems. Andere Komponenten werden in den nächsten Jahren in das bestehende System integriert werden, sodass es für die Kollegen spürbare Modernisierungen geben wird.

Wird es weitere Bodycams bei der Hamburger Polizei geben?

Meyer: Bei den Bodycams gehen wir schrittweise voran und behalten im Blick, was sinnvoll ist. Die Lage und die Einsatzkonstellationen müssen so sein, dass es passt. Bislang haben wir knapp 20 Bodycams, die wir beispielsweise auf dem Kiez, an Hotspots oder bei Verkehrskontrollen einsetzen. Zur Ausweitung gehört die Modernisierung unserer technischen Infrastruktur, also ein sicheres digitales System zur Bearbeitung der Aufnahmen. In einem ersten Schritt sollen 50 bis 70 Bodycams ausgerollt werden. Wir sehen in der Bodycam ein geeignetes Mittel zur Gefahrenabwehr. Es macht aber möglicherweise nicht überall Sinn, hier wollen wir im Prozess Erfahrungen sammeln.

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In sozialen Medien werden häufig und schnell Videos von mutmaßlichen Übergriffen von Polizisten auf Demonstranten verbreitet. Können Bodycams helfen, solche Vorwürfe aus Ihrer Sicht zu entkräften?

Meyer: Ich würde die Option begrüßen, sie ist aber nicht erlaubt. Wir haben eine klare Rechtsgrundlage, dass die Bodycam ein Gefahren abwehrendes Mittel ist und auch als Beweismittel im Strafverfahren herangezogen werden kann.

Corona schlägt auch auf die Wirtschaft und damit auf die Einnahmequelle des Staates. Wirkt sich das auf die Polizei aus?

Meyer: Das aktuelle Haushaltsvolumen der Polizei ist deutlich gestiegen. Herausforderungen werden von 2023 an kommen. Die Milliardenhilfen werden aufgefangen werden müssen. Auch deswegen sind mir innovative Ansätze wie mobiles Arbeiten wichtig, weil man dadurch andere Ressourcen einsparen kann.

Hamburgs Corona-Regeln:

Die aktuellen Corona-Regeln für Hamburg im Überblick

  • Alle Regeln, die im Rahmen der Eindämmungsverordnung bis zum 10. Januar gelten sollten, werden grundsätzlich bis zum 14. Februar verlängert – ein Großteil des Einzelhandels bleibt geschlossen, bestellte Waren dürfen aber abgeholt werden. "Körpernahe Dienstleistungen" wie Friseure, Nagel-, Massage- und Tattoo-Studios dürfen nicht angeboten werden. Auch Kultur- und Freizeiteinrichtungen bleiben geschlossen, Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit bleibt verboten.
  • Kontaktregeln Angehörige eines Haushalts dürfen sich nur noch mit einer weiteren Person treffen. Ausnahmen für Kinder gibt es nicht.
  • Die Maskenpflicht wird angepasst: Stoffmasken reichen in den meisten Fällen nicht mehr aus. Stattdessen müssen medizinische Masken (mindestens OP-Masken, auch FFP2- oder KN95-Masken sind möglich) getragen werden. Bis zum 1. Februar gilt eine Übergangsphase, danach werden Verstöße mit Bußgeldern geahndet.
  • Kitas und Schulen: Die Präsenzpflicht an den Schulen bleibt aufgehoben, stattdessen soll so weit wie möglich Distanzunterricht gegeben werden. Kinder sollen – wann immer möglich – zu Hause betreut werden. Die Kitas wechseln in die "erweiterte Notbetreuung". Die privat organisierte Kinderbetreuung in Kleingruppen bleibt gestattet.
  • Arbeitgeber sind angehalten, so weit wie möglich ein Arbeiten von zu Hause aus zu ermöglichen. Zusätzlich soll eine neue Bundesverordnung Arbeitgeber dazu verpflichten, Homeoffice anzubieten, so weit das möglich ist. Betriebskantinen dürfen nur öffnen, wenn sie für den Arbeitsablauf zwingend erforderlich sind.
  • Sollte die Sieben-Tage-Inzidenz auf einen Wert über 200 steigen, müsste eine Ausgangsbeschränkung erlassen werden, die den Bewegungsradius auf 15 Kilometer rund um den Wohnort einschränkt. Wie genau diese Regel in Hamburg angewandt würde, ist noch nicht bekannt – der Senat will darüber entscheiden, sollte sich die Inzidenz dem Grenzwert annähern.
  • Senioren- und Pflegeeinrichtungen sollen mehrmals pro Woche Personal und Besucher testen. Das war in Hamburg schon verpflichtend und gilt nun bundesweit.
  • Zwei-Test-Strategie bei Reiserückkehrern aus Risikogebieten: Ein Corona-Test direkt nach der Einreise ist verpflichtend, die zehntägige Quarantäne kann frühestens fünf Tage nach der Einreise durch einen weiteren Test verkürzt werden. Die Kosten für die Tests werden nicht übernommen.