Hamburg. Nach der geltenden Impfordnung wäre die Frau nur in die dritte Kategorie gefallen. Hamburgerin zog vor Gericht – mit Erfolg.

Kaum ein Thema beschäftigt die Bürger gerade so sehr wie die Impfung gegen Corona. Warum gibt es zu wenig Impfstoff? Wieso ist die Hotline für Impftermine permanent überlastet? Wieso verlaufen die Impfungen in den Pflegeheimen so schleppend? Ist die geltende Impfverordnung des Bundes, die die Reihenfolge der zu impfenden Bevölkerungsgruppen festlegt, gerecht? Gerade in diese Diskussion dürfte neue Dynamik entstehen.
Laut „Spiegel“ zog eine Hamburgerin mit  Erfolg vor Gericht, um eine frühere Impfung zu erstreiten. Das Nachrichtenmagazin schreibt, dass bei der Frau, deren Alter zwischen 60 und 70 angegeben wird, ein Tumor diagnostiziert worden war. Vor der Chemotherapie, die das Immunsystem sehr schwächt, hätten die Ärzte eine Impfung gegen Corona empfohlen.


Doch nach der geltenden Impfordnung, die zwischen höchster, hoher und erhöhter Priorität unterscheidet, wäre sie nur in die dritte Kategorie gefallen. „Das ist meines Erachtens gerade keine valide Abstufung nach dem Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf, wie es eigentlich als gesetzliches Ziel vorgesehen ist. Für Menschen mit einer Immunschwäche kann es um Leben und Tod gehen“, sagte ihr Anwalt Jascha Arif dem „Spiegel“.

Hamburger Krebspatientin erhält frühere Corona-Impfung


Deshalb habe er sich an die Gesundheitsbehörde gewandt und gebeten, dass seine Mandantin als Härtefall vorgezogen wird: „Die erste Impfdosis vor der Operation, die zweite vor Beginn der Chemotherapie. Das hat die Behörde abgelehnt. Darauf haben wir beim Verwaltungsgericht Hamburg einen Eilantrag gestellt – der letztlich zum Erfolg geführt hat.“ Laut Arif habe die Behörde „nach Hinweisen des Verwaltungsgerichts noch während des Verfahrens nachgegeben und ihre Haltung revidiert hat. Meine Mandantin hat dann sehr schnell einen Impftermin bekommen - mutmaßlich, um eine stattgebende Gerichtsentscheidung zu vermeiden.“

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

 Der Jurist sagt, dass schon in einer Zwischenverfügung deutlich gewesen sei, dass das Verwaltungsgericht den Inhalt der Verordnung ebenfalls kritisch sieht: Das Gericht habe die  Behörde gefragt, ob vorgesehen sei, "bestimmte Härtefälle" vorzuziehen, und falls ja, warum man das im Fall meiner Mandantin nicht tun wolle. Die Behörde habe darauf entgegnet, „dass Personen mit Krebserkrankungen nach der Verordnung nun mal explizit erst der dritten Personengruppe mit Anspruch auf Schutzimpfung zugeordnet sind. Bei meiner Mandantin wollte man jedenfalls nicht von der Reihenfolge abweichen.“

Gericht sehe Vorgehen der Stadt kritisch

 Laut Arif habe sich das Gericht dann nochmals telefonisch bei der Stadt gemeldet, und klar gemacht, dass es das Fehlen einer Härtefallregelung und das Vorgehen der Stadt sehr kritisch sieht: „Daraufhin hat die Stadt dann eine Kehrtwende vollzogen und die Impfung noch am selben Tag durchgeführt.“ Zuvor habe die Behörde laut „Spiegel“ geltend gemacht, dass es wissenschaftlich nicht eindeutig belegt sei, ob eine Schutzimpfung vor einer Chemotherapie wirklich bessere Wirkung entfalte.

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Dazu sagt Arif: „Diese Argumentation halte ich für zynisch. Natürlich gibt es gewisse Unsicherheiten, weil Krebspatienten von vornherein gar nicht an den Impfstudien teilnehmen durften. In dieser Pandemie ist so gut wie nichts sicher belegt, aber dass eine Impfung vor Beginn einer Chemotherapie wirksamer und verträglicher ist, lässt sich schon aus dem allgemeinen Verständnis des Immunsystems herleiten. Wir hatten auch ärztliche Stellungnahmen, die das im Fall meiner Mandantin ausdrücklich befürworteten.“ 

Der Rechtsanwalt plädiert dafür, dass bei jedem Menschen mit einer Immunschwäche gemeinsam mit den Ärzten geprüft werden sollte, ob eine besondere Schutzbedürftigkeit vorliegt und damit ein Vorrang bei der Impfung gewährt werden müsste. Dies könnten auch andere Patienten mit einer ähnlichen Erkrankung geltend machen.