Hamburg. Physiker unterstützen die Entwicklung eines riesigen Detektors im All. Das Observatorium soll winzige Verzerrungen der Raumzeit messen.
Die Nachricht kam, als sich das Corona-Jahr 2020 seinem Ende zuneigte, und sie war für Oliver Gerberding wie eine vorzeitige Bescherung: 1,5 Millionen Euro bekommen der Experimentalphysiker von der Universität Hamburg und seine Teamkollegen als Förderung vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, um Technik für ein Forschungsprojekt der Superlative mitzuentwickeln: die Laser Interferometer Space Antenna, kurz LISA.
Eine Antenne? Ja – aber was für eine: Drei Satelliten, etwa 2,5 Millionen Kilometer voneinander entfernt, aber verbunden durch Laserstrahlen, sollen im All ein riesiges Dreieck bilden, das der Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne hinterherfliegen wird. Nicht der besonderen Aussicht wegen, sondern um Gravitationswellen zu registrieren: winzige, sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitende Verzerrungen der Raumzeit, die etwa durch verschmelzende schwarze Löcher und bei Sternexplosionen entstehen — und die vielleicht sogar Erkenntnisse über die Frühzeit des Universums direkt nach dem Urknall ermöglichen könnten.
2015 gelang der Nachweis von Gravitationswellen
„LISA wird eines der größten und spannendsten Messinstrumente sein, das die Menschheit je gebaut hat“, sagt Oliver Gerberding. Der 34 Jahre alte Juniorprofessor hat einen renommierten Doktorvater: Karsten Danzmann (65) vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover, der 2017 mit dem Hamburger Körber-Preis ausgezeichnet wurde.
Danzmann hatte mit seinem Team das Herzstück einer Messanlage namens LIGO in den USA entwickelt, mit deren Hilfe 2015 erstmals der Nachweis von Gravitationswellen gelang – 100 Jahre nachdem Albert Einstein als Konsequenz aus seiner Allgemeinen Relativitätstheorie solche Signale vorhergesagt hatte. Bis zu diesem Nachweis galt, dass Forscher Signale aus dem Universum nur im Spektrum elektromagnetischer Strahlung empfangen konnten, also in Form von sichtbarem Licht, Infrarotlicht, Mikrowellen und Radiowellen, sowie durch Wasserstoffkerne und Neutrinos, beinahe masselosen Teilchen.
Allerdings bestehen schätzungsweise nur etwa fünf Prozent des Universums aus Materie, wie wir sie kennen, und von dieser Materie strahlt nur ein kleiner Teil. Indem Forscher nun zusätzlich Gravitationswellen registrieren und analysieren, können sie den bislang dunklen Teil des Universum hören – eine neue Ära der Astronomie soll beginnen. Dass dies mit Messgeräten von der Erde aus möglich ist, hat der LIGO-Detektor in den USA gezeigt. Doch solche Observatorien sind störenden Einflüssen ausgesetzt: Ozeanwellen und Flüsse beispielsweise, aber auch Züge und Autos erzeugen ein seismisches Rauschen. Das erschwere es erheblich, von der Erde aus Gravitationswellen bei niedrigen Frequenzen zu erfassen, die etwa von superschweren schwarzen Löchern in den Zentren von Galaxien ausgesandt werden oder im frühen Universum entstanden sein könnten, sagt Oliver Gerberding. „Um diese niedrigen Frequenzen zu hören, wollen wir im Weltall Gravitationswellen messen.“
Hamburg will helfen, dass die Mission zum Fliegen kommt
Ein erster Entwurf für das Projekt entstand schon in den 1990er-Jahren. Erheblich an Fahrt aufgenommen hat das Projekt allerdings erst mit dem Nachweis von Gravitationswellen. 2017 nahm die Europäische Weltraumorganisation (ESA) die LISA-Mission als drittes großes Vorhaben in ihren „Cosmic Vision“-Plan auf.
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Oliver Gerberding arbeitete zunächst in Karsten Danzmanns Team in Hannover, das federführend ist bei der Entwicklung der Technik für die drei LISA-Satelliten. Als Juniorprofessor in Hamburg will Gerberding nun mit seinem Team und Kollegen vom Deutschen Elektronen-Synchrotron in Bahrenfeld dazu beitragen, dass die Mission zum Fliegen kommt. Dafür werden die Physiker Instrumente entwickeln, mit denen die Funktionsweise von LISA vorab auf der Erde erprobt werden soll. Eine zentrale Rolle spielt dabei ein sogenanntes Phasenmeter. Solche Auslesegeräte sollen später auch in den Satelliten im All zum Einsatz kommen.
Gravitationswellen entstehen immer dann, wenn sich Massen bewegen. Die verursachten Dehnungen und Stauchungen der Raumzeit sind allerdings so gering, dass sie sich nur mit hochempfindlichen Detektoren messen lassen. Bei den drei durch Laserstrahlen verbundenen LISA-Satelliten im All würde das bedeuten: Durchquerte eine Gravitationswelle die Laserarme, veränderte sich dadurch deren Länge und damit der Abstand zwischen den Satelliten minimal – wobei es sich um unfassbare geringe Längenänderungen von zehn Milliardstel Millimeter handeln könnte, die LISA registrieren soll.
Um solche Abweichungen nachzuweisen, sollen Phasenmeter in den Satelliten das zwischen ihnen ausgetauschte Laserlicht vermessen, erläutert Oliver Gerberding. Die Grenzen des Machbaren zu verschieben, das treibe ihn an, sagt der Forscher. „Mich fasziniert die Frage, was wir mit aktueller Messtechnik in der Physik noch erreichen und so über Phänomene im Universum lernen können.“ Bis es so weit ist, werden Gerberding und seine Kollegen in dem internationalen LISA-Konsortium allerdings noch jahrelang an den technischen Details tüfteln und viele Tests durchführen müssen. Bislang ist geplant, dass Satelliten-Trio im Jahr 2034 in einer Rakete ins All zu bringen.