Hamburg. 1200 Zeitungszusteller beliefern die Abonnenten des Hamburger Abendblatts. Viele revanchieren sich mit kleinen Geschenken.

Marianne Kreitmayr aus Jenfeld geht es so wie vielen anderen Abonnenten im Großraum Hamburg: Ihren Zusteller sieht sie praktisch nie. Aber sie ist ihm dankbar. Denn wenn andere aufstehen und sich auf ihre vertraute Morgenlektüre freuen, haben die fleißigen Helfer ihre Arbeit bereits erledigt. Und weil Frau Kreitmayr voll des Lobes über Herrn Aboueleyoun Abdelmegid Mehany ist, meldete sie sich telefonisch bei uns. Parallel bedankte sie sich beim Zusteller ihres Vertrauens mit einem Briefumschlag. Motto: Applaus den Helden des Alltags wie zum Beispiel Zustellerin Angela Stanek.

Von diesen gibt es knapp 1200. Mit einem ausgeklügelten, feinmaschigen System wird Sorge getragen, das Abendblatt in aller Frühe dort zu platzieren, wo es hingehört: in die Zeitungsrolle, in den Briefkasten, vor die Wohnungstür oder an die Gartenpforte. Von der Druckerei in Ahrensburg werden die Ausgaben zu 250 Verteilstellen und Depots transportiert. Als erste Station wird um 1.25 Uhr die Gemeinde Hasloh im Kreis Pinneberg bedient. Nach dem Entladen werden individuelle Liefermengen anhand aktualisierter Listen zusammengestellt.

Logistik gleicht einem gigantischen Puzzle

Jeder Zusteller erhält so die richtige Menge für sein Gebiet. Im Schnitt ist jeder von ihnen sieben Kilometer unterwegs. Diese Logistik gleicht einem gigantischen Puzzle. Ohne Zuverlässigkeit und Ortskenntnis läuft gar nichts: Viele Abendblattboten betreuen jahrelang ihr Stammrevier. Dort kennen sie praktisch jeden Meter – und fast jeden Hund. Zwei dieser treuen Seelen sind Thomas Krüger und seine Mutter Ursula aus Wentorf. Die 73-Jährige ist seit zwölf Jahren an Bord, der 50-Jährige seit acht. Beide erledigen ihre Touren Hand in Hand.

Um drei Uhr holt er die Zeitungspakete aus einer Garage im Reinbeker Ortsteil Neuschöningstedt ab. Dann geht es weiter. Während Thomas Krüger seinen roten Alfa von Haus zu Haus steuert, sitzt Mutter Ursula auf dem Rücksitz und faltet die Zeitungen auf die passende Größe. Da die Abo-Adressen in dieser Region weiter auseinanderliegen, hilft ein Auto. In dichter besiedelten Stadtteilen sind Zusteller mit Motorrollern, mit Fahrrädern oder mit „Hamburger Vierradkarren“ zu Fuß unterwegs. Kurz nach sechs Uhr haben die Krügers ihr Pensum geschafft. Daheim folgen ein kleines Frühstück, Klönschnack – und Bettruhe.

Kontakt zu Stammkunden

Wer dauerhaft und präzise Zeitungen zustellt, kommt nach und nach in Kontakt zu Stammkunden. Wie Ingrid Hehl aus Reinbek, seit rund 35 Jahren Abendblatt-Abonnentin, begeistert am Telefon erzählt. Die aufgeweckte Norddeutsche bedachte die Krügers mit einem „Coronabonus“. Diese Anerkennung, dieser Respekt kamen gut an. Wegen des Geschenks, nicht minder wegen der Geste. Zumal Frau Hehl selbst überrascht wurde. Vor ein paar Monaten stellte Thomas Krüger ihr ein Glas Marmelade vor die Tür – von Mutter Ursula gekocht. Ein andermal lag ein Päckchen Kaffee neben dem Abendblatt. Einfach so.

Angela Stanek
Angela Stanek © Magunia

Zu einem kontaktfreudigen Rentner in der Nachbarschaft entwickelte sich gleichfalls ein persönlicher Draht. Im Spätsommer begegneten sich Abonnent und Zusteller. Aus einem Schnack am Zaun wurde mehr. „Erntet doch Pflaumen in meinem Garten“, schlug der Senior vor. Gesagt, getan. Acht Kilo kamen zusammen. Ursula Krüger bereitete daraus ein Mus nach Hausfrauenart. Klar, dass der Abonnent als kleine Gegenleistung eine Portion erhielt. Entzückende Geschichten dieser Art gibt es überall. In der Nähe des Hochrads in Othmarschen beeindruckt die Familie Hamad mit Einsatzfreude.

Eingespielter Ablauf

In Farmsen gehören Sylvia und Joachim Wutke zu den zufriedenen Stammlesern. Und in Sasel freut sich Alison Darracott, dass ihr Abendblatt pünktlich im Briefkasten am Zaun hängt. 1997 zog es die Englischtrainerin aus Großbritannien in die Hansestadt. „Das Abendblatt half, hier heimisch zu werden“, sagt sie. Seit 2018 besitzt Alison einen deutschen Pass. Meist läuft die Zustellung nach Plan. Meist. Ausnahmen gehören zum Geschäft. Alles andere wäre geflunkert. Urlaubsvertretungen, Krankheiten, Umzüge oder Probeabos machen den Job für Vertrieb und Zusteller nicht immer leicht. „Ich bin unglaublich stolz auf unsere große Logistikmannschaft“, sagt Eckhard Jung, Geschäftsführer der Funke Hamburg Logistik. „Nacht für Nacht wird disponiert, kommissioniert, ausgefahren und zugestellt.“

Logistikexpertin Arina Starke.
Logistikexpertin Arina Starke. © Michael Rauhe

Dahinter stecke eine Organisation, bei der ein Rädchen ins andere greift. Wer als Zusteller an Bord kommen möchte, kann sich unter Telefon 0800- 450 40 50 oder im Internet (www.funke-zusteller.de) informieren. Damit alles reibungslos funktioniert und Tücken unbemerkt gemeistert werden, gibt es Profis wie Arina Starke. Als Nachtleitung des „Betriebs Mitte“ in Billbrook garantiert sie einen eingespielten Ablauf. Sechsmal in der Woche ist Frau Starke als Organisationschefin zur Stelle – von Mitternacht bis acht Uhr. Kollegen beschreiben sie als kernige Type mit Macherqualität, Improvisationstalent und Herzblut. Arina Starke dirigiert sieben Kommissionäre und rund 100 Zusteller, die 9500 Abendblatt-Ausgaben ans Ziel bringen. Täglich.

Leidenschaft ist eine Frage des Herzens

Zu ihrem Gebiet gehören Wandsbek, Eppendorf, die Innenstadt, Barmbek, Winterhude. Wenn gegen drei Uhr nachts alle Zeitungen unterwegs sind, bricht sie selbst auf. Wo gibt es kurzfristige Ausfälle? Wessen Fahrrad ist plötzlich kaputt? Wo wurde eine Karre geklaut? Wo stehen neue Abonnenten auf der Liste? „Jeder Tag bringt neue Herausforderungen“, weiß sie aus Erfahrung, „und Überraschungen machen den Reiz.“ Die praktische Begabung liegt in der Familie: Mutter Rita und Vater Karl-Friedrich Starke leiteten seit 1979 die Abendblatt-Vertriebsstelle am Imstedt in Barmbek-Süd.

Anfang der 1990er-Jahre stieg Tochter Ariane ein. Mutter Rita half bis zum Alter von 82 Jahren. Wer den Unterschied zwischen Job und Lebensaufgabe begreifen möchte, kann von der heute 85-Jährigen lernen. Leidenschaft ist keine Frage des Alters, sondern des Herzens.