Hamburg. Hamburgs und Lübecks Bischöfin spricht über Einsamkeit in Corona-Zeiten – und Impfung als Akt der Nächstenliebe.

Wir müssen nicht in Angst erstarren, sondern dürfen hoffen“ – das ist die Weihnachtsbotschaft in diesem schwierigen Corona-Jahr. Über das Wunder der Weihnacht 2020, das Lied „Stille Nacht“ und ihr ganz persönliches Fest spricht Hamburgs und Lübecks Bischöfin Kirsten Fehrs im Interview mit dem Abendblatt.

Hamburger Abendblatt: Wie können wir Weihnachten retten?

Fehrs: Ich glaube, die Frage lautet genau andersherum: Wie rettet Weihnachten uns?

Aha.

Weihnachten rettet uns, weil ein Kind auf die Welt gekommen ist, dass unsere menschliche Verwundbarkeit zeigt. Das ist die Botschaft: Dieses Kind in der Krippe von Bethlehem war schutzbedürftig – so wie wir uns als Gesellschaft in der Pandemie als schutzbedürftig, als verwundbar empfinden. Und aus diesem Kind wurde der Retter der Welt. Das ist für mich die große Hoffnung für das kommende Jahr.

Viele Menschen glauben das nicht mehr. Aber sie haben trotzdem das Bedürfnis, Heilig Abend in die Kirche zu gehen. Empfehlen Sie das – trotz der Pandemie – guten Gewissens?

Ja. Wir haben seit Monaten intensiv an den Hygienekonzepten für Gottesdienste gearbeitet, auch im Hinblick auf die Weihnachtsfeiertage. Auch die staatlichen Behörden sind überzeugt, dass diese Konzepte tragen. Gleichzeitig kann ich verstehen, dass Menschen es für sich als unangenehm empfinden, in größere Gruppen zu gehen. Doch die allermeisten unserer Gottesdienste in den Kirchenräumen bieten nach den neuen Konzepten gar nicht mehr als 60 bis 70 Plätze an. Das sind keine Großveranstaltungen. Klein, kurz und möglichst draußen – so gehen heute die Weihnachtsgottesdienste.

„Stille Nacht“ darf nicht gesungen werden.

Richtig. In Kirchenräumen darf die Gemeinde zurzeit grundsätzlich nicht singen. Soloauftritte sind jedoch erlaubt. Mitsingen ist in Hamburg allenfalls draußen möglich, mit Mund- und Nasen-Schutz. „Stille Nacht“ ist aber auch ein stilles Lied. Die Gefühle, die die Menschen seit jeher dabei aufwühlen, sind Unsicherheit, Traurigkeit und die Abwesenheit lieber Menschen. Vielleicht wird die Kargheit, die wir nun erleben, uns besonders nah an die Weihnachtsgeschichte heranrücken.

An eine Maria, die sich die Geburt ihres Kindes bestimmt ganz anders vorgestellt hat. Mit einem Kind, das in der Kälte, im Unbehausten, auf die Welt kommt. Die Botschaft der Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium „Fürchtet euch nicht“ wird in diesem Jahr noch einmal ganz neu nachklingen, davon bin ich überzeugt. Um unsere Verbundenheit untereinander zu zeigen, laden wir als Nordkirche an Heiligabend um 20 Uhr alle Menschen ein, „Stille Nacht“ zu singen, – natürlich mit Abstand – auf Balkon oder Terrasse, vor der Haustür.

Zahlreiche Christen werden diesmal nicht in die Kirche gehen. Was kann man ihnen empfehlen?

Zum Beispiel die überregionalen Radio- und Fernsehgottesdienste und natürlich die vielen Online-Gottesdienste unserer eigenen Kirchengemeinden im Live-Stream, zu finden auf Sonderseiten auf www.nordkirche.de. Dort finden sich auch Tipps, wie man Weihnachten allein, mit Kindern oder in der Familie besinnlich gestalten kann.

Dennoch werden viele Menschen in diesem Jahr einsam sein.

Die Seelsorger in den Alten- und Pflegeheimen sind gerade in diesen Tagen verstärkt im Einsatz. Und auch danach sind wir als Kirche für die Menschen da, wie zum Beispiel bei der Seelsorge-Aktion „Heilige Nächte in St. Jacobi“. Dorthin kann man bis zum 6. Januar gehen und mit einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin ins Gespräch kommen.

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Ein schönes Zeichen waren in diesen dunklen Tagen auch die erleuchteten City-Kirchen in der Aktion „Hoffnungsleuchten“.

Mit der Aktion wollten wir gerade in dieser dunklen und von Corona geprägten Zeit sagen: Es gibt eine Verheißung, die darüber hinaus strahlt. Wir müssen nicht in Angst erstarren, sondern dürfen hoffen und darauf vertrauen, dass es anders wird. Deswegen haben wir dank des Engagements von Michael Batz das zarte Band der Hoffnung durch die Stadt leuchten lassen.

Die Geburt Jesu wird in der Bibel als Wunder beschrieben. Bittet die Kirche um ein neues Wunder, das uns aus der Pandemie führt?

Ich möchte an die drei Weisen aus dem Morgenland erinnern, Caspar, Melchior und Balthasar. Diese Forscher mit Migrationshintergrund waren ausgezogen, die Wahrheit zu finden, und folgten damals dem hellen Stern. Sie begegneten dem neugeborenen Jesus und spürten, dass es ausgerechnet dieses Kind ist, was die Welt retten kann. Die Suche nach dem Impfstoff erinnert mich ein bisschen an diese Geschichte mit den Weisen, den wissbegierigen Forschern. Dass das Vakzin durch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus aller Welt in Gemeinschaftsarbeit gefunden wurde, bedeutet für mich ein Wunder unserer Tage.

Werden Sie selbst sich impfen lassen?

Ja, auf jeden Fall. Es ist ein Aspekt der Nächstenliebe.

Was sagt man den Impfskeptikern?

Ich würde sagen: Die Nebenwirkungen des Impfstoffs sind, nach allem was wir wissen, überschaubar – maximal Kopfschmerzen oder ein bisschen erhöhte Temperatur. Das Virus dagegen tötet Tausende und lässt auf Dauer unser Gesundheitssystem zusammenbrechen. Mit einer Impfung verhinderst du das und schützt außerdem dich selbst.

Wie werden Sie Weihnachten feiern?

Ich werde am Vormittag des 24. Dezember eine Obdachlosenunterkunft besuchen. Dann folgt um 13 Uhr der erste Gottesdienst, draußen vor dem Michel. Mit einer kleinen, kurzen Zeremonie, eine halbe Stunde lang. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt – auf 100, mit Anmeldung. Dann folgt ein Gottesdienst in der Hauptkirche St. Petri um 16.30 Uhr, und die Christmette um 23 Uhr am Michel draußen. Am Abend des 25. Dezember predige ich bei der Krippenandacht im Michel.

Und privat?

Dafür ist der zweite Weihnachtsfeiertag vorgesehen. Mein Mann ist ebenfalls Pastor, unsere Berufsgruppe befindet sich Weihnachten wie in jedem Jahr im Dauereinsatz. Dieses Mal sogar noch stärker, weil mehr kleinere Gottesdienste, Online-Formate und Andachten angeboten werden. Diese Art von Weihnachten haben wir alle noch nie gefeiert. Wir Kirchenleute versuchen, den Weihnachtssegen möglichst auf verschiedenen Wegen weiterzugeben.

Wer besucht Sie am zweiten Weihnachtstag?

Meine beiden Nichten, die aus einem Haushalt sind.

Und was gibt es zu essen?

(lacht) Mein Mann kocht, und bislang hat er das Geheimnis noch nicht gelüftet...