Hamburg. Ulrich Wandschneider und Sean Marett von BioNTech sind zuversichtlich, dass ihr Impfstoff auch gegen die neue Corona-Mutation wirkt.
Biontech war noch vor einem Jahr nur Insidern bekannt, inzwischen ruhen die Hoffnungen der Welt auf dem Mainzer Biotechunternehmen. Zwei Hamburger spielen bei dem Impfstoffentwickler eine wichtige Rolle: Der frühere Asklepios-Vorstandschef Ulrich Wandschneider sitzt im Aufsichtsrat, der Biontech-Vertriebsvorstand Sean Marett lebt hier.
Wir treffen uns auf Abstand zum Interview in seinem kleinen Büro, es ist denkbar karg eingerichtet, dazu fand der 55 Jahre alte Biochemiker mit britischer und irischer Staatsangehörigkeit in den vergangenen Monaten einfach keine Zeit ...
Hamburger Abendblatt: In Großbritannien wird seit Anfang Dezember geimpft – hätten Sie sich gewünscht, dass es in Deutschland auch schneller geht?
Ulrich Wandschneider: Ja, jeder hätte sich gewünscht, dass die Zulassung – natürlich bei Einhaltung sämtlicher Verfahren – schneller geht. Die kürzlich auf Ende des Jahres gesetzte Terminierung der europäischen Arzneimittelagentur EMA ist ja nun vorgezogen worden. Nachdem in den USA, Großbritannien, Israel und anderen Ländern bereits geimpft wird, wäre eine weitere Verzögerung über die Feiertage schwer nachvollziehbar gewesen. Nachdem bei Biontech das ganze Jahr Tag und Nacht an der Lösung gearbeitet worden war, konnte man den Eindruck gewinnen, dass es bei der EMA nicht denselben Schwung gibt.
Derzeit besorgen Nachrichten von einer Mutation des Virus in Großbritannien. Müssen wir uns Sorgen um die Wirkung machen?
Sean Marett: Diese Mutation in Südengland ist neu – das werden wir wissenschaftlich testen. Derzeit sind wir dabei, die Wirksamkeit unseres Impfstoffes für diese Mutation zu überprüfen. Ich bin aber zuversichtlich. Wie haben unseren Impfstoff zuvor an 19 Mutationen von Sars-CoV-2 getestet, und gegen alle Stämme war unser Impfstoff wirksam.
Wie viele Dosen Impfstoff bekommen wir denn im ersten Quartal in Deutschland?
Marett: Das ist eine Frage an die Politiker, wir können uns nicht über Vertragsdetails äußern. Wir versuchen, so viele Dosen wie möglich herzustellen. Wir bringen weltweit eine neue Technologie auf den Markt, um Menschen in zig Ländern zu schützen. Und alle wollen ihre bestellten Impfstoffe am liebsten am 2. Januar 2021 haben. Aber das ist leider unrealistisch.
Wird denn ausreichend Impfstoff in Deutschland und Europa produziert?
Marett: Wir haben Fabriken und Lieferanten hier in Deutschland, unser Partner Pfizer hat eine Fabrik in Belgien. Wir haben also eine europäische Lieferkette aufgebaut. Zudem haben wir im August eine ehemalige Novartis-Fabrik in Marburg gekauft, um noch mehr Impfdosen zu produzieren. Wir arbeiten zusammen mit den Behörden, um diese Fabrik so schnell wie möglich zu genehmigen – der Plan ist, dass sie im ersten Quartal mit der Produktion des Impfstoffes beginnen kann. Es gibt dabei zwei Schritte: Zuerst muss die deutsche Behörde grünes Licht geben, dass wir den Impfstoff in der richtigen Qualität produzieren, dann müssen wir die Unterlagen bei der EMA einreichen, da es eine europäische Zulassung ist. Dann können wir Europa und andere Länder von dort aus versorgen. Wenn die Impfstoffherstellung in Marburg maximal ausgelastet läuft, lassen sich dort 750 Millionen Dosen im Jahr produzieren. Zu Beginn werden es aber weniger Dosen sein.
Wo fürchten Sie einen Engpass? Ist es das Vakzin oder eher das Personal, die Spritzen, die Logistik?
Wandschneider: Ich glaube, dass unabhängig von Biontech in Deutschland die Logistik und die Impfzentren die größere Herausforderung sind. Den von Biontech vorgeschlagenen Weg, über Impfzentren in die Verteilung zu gehen, halte ich für richtig. In Hamburg sind die Messehallen bestens geeignet für die Personen- und Warenmengen. Bei Altenheimen ist die Impfung vor Ort sinnvoll.
Fürchten Sie einen Streit um die Impfstoffe?
Marett: Wir haben immer gesagt, dass wir allen Ländern Impfstoff liefern, die ihn von uns haben möchten. Da sind genauso die Entwicklungsländer dabei, wie die der westlichen Welt. Es gibt für alle einen im Vertrag vereinbarten Lieferplan, und wir wissen, wie viele Dosen wir verteilen können. Es ist eine weltweite Pandemie: Es lohnt sich nicht, nur eine Bevölkerung zu impfen.
Wandschneider: Diskussionen wird es sicherlich geben. Das liegt in der Natur der Sache und der Sorge, sein eigenes Land nicht genügend versorgen zu können.
Kann der US-Präsident eigentlich Auslieferungen an Europa noch torpedieren, wie gelegentlich befürchtet wird?
Wandschneider: Ich gehe davon aus, dass bestehende Verträge eingehalten werden.
Marett: Wir haben keine Hinweise in dieser Richtung. Wir sind ein deutsches Unternehmen, Pfizer ein amerikanisches, wir wollen die Welt versorgen, das ist unser Ziel.
Können Sie die Millionen-Bestellungen aller Länder überhaupt bedienen?
Wandschneider: Im laufenden Jahr sind 1,3 Milliarden Dosen Kapazität seitens Biontech und Pfizer geplant. Insgesamt kommen wir damit ein gutes Stück voran, wenn man sieht, wer noch auf Zulassung seines Produktes wartet. Die Chinesen haben einen eigenen Impfstoff entwickelt, der inzwischen zur Anwendung kommt.
Glauben Sie, dass wir im Sommer wie Herr Spahn sagt, wieder zur Normalität zurückfinden werden?
Wandschneider: Was ist Normalität? Das Virus wird uns das ganze Jahr 2021 beschäftigen. Wir werden unsere Freiheiten sukzessive wiedererlangen, aber das wird noch andauern. 50 Millionen Menschen zu impfen wird eine Herausforderung, für die es keine Erfahrungswerte gibt. Quarantänediskussionen wird es nach Reisen in Risikogebiete auch Ende 2021 noch geben …
Marett: Viel wird davon abhängen, wie viele Menschen sich impfen lassen und ob es genügend Impfstoff anderer Hersteller zusammen mit unserem gibt. Um eine Herdenimmunität zu erreichen, müssen sich zwischen 60 und 70 Prozent der Bevölkerung impfen lassen. Im Sommer wird es sicherlich besser werden. Auch in diesem Jahr war die Infektionsrate in den warmen Monaten deutlich niedriger.
Warum sinkt die Impfbereitschaft?
Marett: Die Daten sind ja konstant – ein gutes Drittel will sich nicht impfen lassen. Wir leben in einer Demokratie und müssen es akzeptieren. Ich hoffe aber, dass einige ihre Meinung noch ändern. Wir haben 44.000 Menschen in sechs Ländern in unserer fortgeschrittenen Phase-III-Studie geimpft – und die Nebenwirkungen waren typisch und mild bis moderat: Müdigkeit, Kopfschmerzen, Probleme, die nach 48 Stunden weg waren. Diese Nebenwirkungen zeigen, dass das Immunsystem reagiert.
Wandschneider: Für mich war da ein Friseurbesuch interessant: Als ich meine Friseurin fragte, ob sie sich impfen ließe, erwiderte sie: „Ich sehe mir an, ob die Kanzlerin sich jetzt impfen lässt. Wenn Mutti dann nach sechs Monaten noch lebt, lasse ich mich auch impfen.“
Die Briten warnen vor der Impfung von Allergikern – da gab es Probleme ...
Marett: Die haben uns nicht überrascht: Wir haben in den Studien schon bestimmte Gruppen ausgeschlossen: Kinder, Schwangere und Menschen mit Allergien gegen Impfstoffe oder deren Bestandteile.
Würden Sie den Impfstoff auch Krebspatienten und chronisch kranken Menschen empfehlen?
Marett: Wir haben auch viele Kranke in der Studie getestet, auch Hochrisikogruppen vertragen den Impfstoff. Man muss wissen, dass das Immunsystem bei Menschen ab 50 nachlässt – unser Impfstoff wirkt auch bei Personen über 65 Jahren noch mit 94 Prozent. Das unterscheidet mRNA-Impfstoffe von früheren Impfstoffen.
Studien zeigen, dass viele Menschen schon nach der ersten von zwei Impfungen gut geschützt sind. Sollten man dann nicht besser schnell mehrere Menschen impfen, um einen gewissen Schutz herzustellen?
Marett: Es gibt einen gewissen Impfschutz nach der ersten Impfung. Aber wir haben eine Zulassung für zwei Impfdosen. So erreichen wir die 95 Prozent Impfschutz gegen COVID-19 nach 28 Tagen. Das ist der Weg, den wir gehen sollten.
Das UKE hat ein eigenes Impfzentrum, wäre das nicht auch sinnvoll für andere Kliniken? Dann wäre das medizinische Personal schneller geimpft, die Terminvergabe weniger bürokratisch?
Wandschneider: Für große Kliniken kann ich mir das gut vorstellen. Nicht jedes Krankenhaus hat die relevanten Gefrierschränke. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass man seitens der Kliniken ein Impfteam festlegt, das den Impfstoff von den Zentren abholt und dann die Impfung wie in Pflegeheimen vor Ort durchführt. Das hätte denselben Vorteil, aber man kann die Mengen zielgerichteter steuern.
Im Vergleich zu anderen Impfstoffen ist der von Biontech für Entwicklungsländer eher teuer ...
Marett: Teuer? Für Entwicklungsländer wird es günstiger, es gibt verschiedene Preise.
Wandschneider: Die GAVI, die internationale Impfallianz mit Sitz in der Schweiz, hat den Wunsch, diese Länder mit dem Impfstoff zu versorgen. Biontech unterstützt das aktiv!
Marett: Ja, wir wollen fair zu allen Ländern sein. Derzeit verlieren wir Geld, wir wollen einen fairen Preis weltweit, aber wir müssen auch die Entwicklung finanzieren. Sonst wird Forschung unmöglich. Wenn Sie die Kosten einer andauernden Pandemie in Beziehung setzen zu den Impfkosten, sind Impfungen sehr günstig. Auf dem freien Markt könnten Sie ganz andere Preise verlangen. In der Financial Times war von 1000 Euro die Rede.
Klingt verlockend ...
Marett: Wir suchen eine faire Lösung für die Welt. Derzeit machen wir große Verluste, denn die Entwicklung des Impfstoffes kostet mindestens 1,5 Milliarden US-Dollar, wir teilen diese Kosten mit Pfizer zur Hälfte. Falls wir Gewinne mit unserem Impfstoff machen, werden wir jeden Cent in die Forschung weiterer Impfstoffe, vor allem gegen Krebs, stecken – diese sind auch unglaublich teuer.
Corona: Diese Testverfahren gibt es:
- PCR-Test: Weist das Virus direkt nach, muss im Labor bearbeitet werden – hat die höchste Genauigkeit aller Testmethoden, ist aber auch die aufwendigste
- PCR-Schnelltest: Vereinfachtes Verfahren, das ohne Labor auskommt – gilt als weniger zuverlässig als das Laborverfahren
- Antigen-Test: weniger genau als PCR-(Schnell)Tests, dafür zumeist schneller und günstiger. Laut RKI muss ein positives Testergebnis durch einen PCR-Test überprüft werden, ein negatives Ergebnis schließt eine Infektion nicht aus, insbesondere, wenn die Viruskonzentration noch gering ist.
- Antikörper-Test: Weist keine akute, sondern eine überstandene Infektion nach – kann erst mehrere Wochen nach einer Erkrankung sinnvoll angewandt werden
- Insgesamt stellt ein negatives Testergebnis immer eine Momentaufnahme dar und trifft keine Aussagen über die Zukunft
Herr Wandschneider, ist Ihnen als Aufsichtsrat Angst und Bange geworden angesichts des hohen eigenen finanziellen Risikos, das Biontech durch die Entwicklung eines Impfstoffs eingegangen ist?
Wandschneider: Wir haben uns seit Februar mit dem Thema zeitlich intensiv beschäftigt. Im März gab es die ersten Kooperationsverträge mit Pfizer und Fosun. Vorstand und Aufsichtsrat von Biontech haben sich eng abgestimmt. Wir haben uns regelmäßig mit den Fragen, die mit der Entwicklung, Investitionen, Personal sowie der Finanzierung zusammenhängen, ausgetauscht, beraten und Beschlüsse gefasst. Ich war froh, dass ich keine anderweitige, operative Tätigkeit ausübe und mich daher intensiv einbringen konnte.
Eigentlich kommt Biontech ja aus dem Bereich der Krebstherapie – wurde die Forschung da zurückgefahren?
Wandschneider: Die eigentliche Aktivität der Forschung wird weitergefahren.
Marett: Wir haben verschiedene Produkte in klinischen Studien. Wir sind ein Immuntherapie-Unternehmen, das heißt, wir versuchen, das Immunsystem zu trainieren und ihm zu zeigen, wogegen es vorgehen soll. Das kann ein Virus sein, Bakterien oder mutierte Zellen wie Krebs. Deshalb war es logisch, unsere mRNA-Technologie zu nutzen. Impfstoffe aktivieren Antikörper, die das Virus blockieren, in die Zellen zu gelangen. Wenn es das Virus trotzdem schafft, weil zu viele Viren in den Körper gelangen konnten, helfen Antikörper nicht mehr weiter. Da kommen die T-Zellen ins Spiel, die virusinfizierte Zellen erkennen können und diese dann ausschalten. Unser Impfstoff schafft beides – er löst eine Immunantwort durch Antikörper und T-Zellen aus.
Biontech hätte ein Symbol für die deutsche Leistungsfähigkeit in Sachen Biotechnologie werden können? Stattdessen wird das Unternehmen an der US-Technologiebörse Nasdaq notiert – und wurde zuerst in Großbritannien angewendet …
Wandschneider: Biontech ist ein deutsches Unternehmen! Der Sitz ist in Mainz, unsere Produktionsstätten sind in Marburg, Idar-Oberstein. Viele deutsche Unternehmen sind in die Produktion des fertigen Impfstoffs eingebunden. Die ersten Finanziers kommen aus Deutschland. Das beweist die deutsche Leistungsfähigkeit. Die Nasdaq ist ein Finanzierungsvehikel, denn Aktionäre sind globale Investoren. Da ist die Nasdaq einfach gut.
Hat die Politik begriffen, welche Chancen in diesem Sektor liegen?
Wandschneider: Nein, hier gibt es Verbesserungspotenzial. Ich würde mir wünschen, dass Deutschland den Biotech- und den Technologiesektor deutlich mehr fördert und weitere Finanzierungsmöglichkeiten durch Risikokapital begünstigen würde.
Heiligabend naht – was wären Ihre Wünsche an die heimische Politik und die Gesellschaft?
Wandschneider: Die Nerven bewahren, zu Hause bleiben, Abstand halten. Wir müssen alles tun, damit die Impfungen erfolgreich durchgeführt werden können. Die Politik, da denke ich an meine Friseurin, sollte mit gutem Beispiel vorangehen und sich impfen lassen.
Marett: Ich möchte gerne diese Pandemie überwinden. Ich möchte nicht mehr ewig eine Maske tragen und Abstand halten, sondern Freiheit wiederhaben und meine Eltern in Sicherheit wissen.