Hamburg. Mitglieder der Hamburger Krankenhausbewegung schlagen Alarm: Gravierende Zustände – Kliniken brauchen dringend mehr Personal.

Droht den Krankenhäusern angesichts immer mehr schwerer Covid-19-Infektionen der Kollaps? Die Botschaft aus einem Klinikum in der Oberlausitz, man müsse inzwischen entscheiden, wer noch Sauerstoff bekomme und wer nicht sorgt für Aufsehen.

Am späten Nachmittag sprachen Pflegekräfte von Kliniken der Hansestadt über ihre Situation in einer Video-Pressekonferenz, organisiert von der Hamburger Krankenhausbewegung, die vor allem für mehr Personal kämpft. Sie schilderten teils alarmierende Zustände in Krankenhäusern, unabhängig von ihrer Trägerschaft. Ihr Appell: Wir brauchen dringend mehr Personal. Und die Zahl der verschiebbaren Eingriffe müsse reduziert werden.

Eine Pflegekraft betreut drei oder vier Schwerstkranke

„In vielen Schichten sind wir auf der Intensivstation so wenige Kolleginnen und Kollegen, dass eine Pflegekraft drei oder vier Schwerstkranke betreuen muss. Das sind Patienten, die haben Todesangst, weil sie keine Luft mehr kriegen. Die bräuchten eine 1:1-Pflegebetreuung“, berichtete eine Krankenpflegerin einer Intensivstation. Man sei oft in einem „absoluten Ausnahmezustand“, die Lage werde lebensbedrohlich.

Einige Intensivbetten seien inzwischen angesichts des Personalmangels gesperrt. „Es ist für uns Horror, wenn solche Betten dann doch belegt werden“, sagte eine Krankenpflegerin.

Infizierte und nicht infizierte Patienten müssen betreut werden

Zudem müsse man oft sowohl infizierte als auch nicht infizierte Patienten betreuen. „Das bedeutet für uns, dass wir die Schutzausrüstung an- und wieder ablegen müssen. Das passiert oft in so großer Hetze, dass ich wahnsinnig aufpassen muss, dass ich weder mich selbst noch andere gefährde“, berichtete eine Pflegerin. Und immer gebe es die Angst, in der Hektik einen Fehler zu machen.

Eine andere Krankenschwester sprach von extremem Arbeitsdruck: „Es gibt Schichten, da können wir nur eine Mini-Pause machen, um einen Schluck zu trinken. Das Ausziehen der Atemschutzmasken dauert zu lange.“ Ihr bitteres Fazit: „Wir werden verheizt.“

Unzureichende Versorgung mit Schutzkleidung

Scharfe Kritik äußerten die Mitglieder Krankenhausbewegung an der aus ihrer Sicht unzureichenden Versorgung mit Schutzkleidung. Es gebe Schichten, da müsse man „um Masken betteln“.

Zudem sei die Qualität der Ausrüstung oft unzureichend: „Schutzkittel sind wasserdurchlässig, die Handschuhe reißen bereits beim Anziehen, die Hauben sind viel zu dünn.“ Ihr Resümee: „Wir sind mit unseren Kräften am Ende und müssen dann noch um Ausrüstung kämpfen.“ Auf einer Intensivstation sei man auf gespendete Babyfones angewiesen, um zu hören, ob im Nachbarzimmer ein Gerät Alarm schlage.

"Keine Zeit mehr für Sterbebegleitung"

Das ständige Arbeiten am Limit habe massive Auswirkungen auf das Privatleben. „Wir haben Kolleginnen und Kollegen, die seit Monaten ihre Eltern nicht mehr besucht haben, da sie fürchten, dass sie sie anstecken könnten.“ Ein junger Krankenpfleger berichtete, er sei noch nicht einmal auf das Virus Sars-CoV-2 getestet worden.

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Auch die Pflegekräfte, die nicht auf Corona-Stationen arbeiten, berichten von großen Personalengpässen, da immer wieder Kolleginnen und Kollegen in Covid-19-Bereiche abgezogen werden würden. „Für Sterbebegleitung haben wir keine Zeit mehr“, schilderte ein Pfleger. Es sei bitter, dass Patienten den Stress auf der Station spüren würden: „Die sehen unsere hektische Blicke, wenn wir ihnen die Nahrung reichen.“

Beschäftigte sprechen von chaotischen Zuständen

Eine Krankenschwester berichtete von einer Patientin, die beim Aufwachen aus der Narkose schwere Angstzustände gehabt habe: „Ich hätte bei ihr am Bett bleiben müssen, um ihr beizustehen. Doch ich musste mich dringend um andere Patienten kümmern. Also habe ich ihr die Hände ans Bett fixiert, damit sie sich nicht lebenswichtige Kanülen raus zieht. Wie muss sich diese Patientin gefühlt haben?“

Mehrere Beschäftigte sprachen zudem von teilweise chaotischen Zuständen. „Wir hatten neulich eine Patientin mit dem Verdacht auf eine offene Tuberkulose in einem Zweibettzimmer. Wir konnten sie über 24 Stunden nicht isolieren, weil es kein freies Zimmer gab.“

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Eine Krankenpflegerin berichtete, dass es inzwischen ein „Glücksspiel“ sei , zu welcher Station man eingeteilt werde: „Ich war neulich allein im Nachtdienst auf einer fachfremden Station und wusste nicht einmal, wo das Reanimationsgerät steht.“ Zum Glück sei in der Nacht nichts Schlimmes passiert. Enttäuscht zeigten sich mehrere Pflegekräfte, dass an sie die Corona-Prämie nicht ausgezahlt worden sei.