Hamburg. Um kein norddeutsches Gericht wird so viel Aufhebens gemacht wie von diesem ganz speziellen Eintopf. Die Hintergründe.

Mancher hält die norddeutsche Traditionsspeise für den Untergang der Kochkunst, andere wissen, wie vielfältig und schmackhaft sich der nahrhafte Brei auf die Teller zaubern lässt. Das sättigende Gericht stammt aus der Zeit der großen Segelschiffe, doch auch an Land wird es nach wie vor zubereitet. Grund genug für Jens Mecklenburg und Gabriele Haefs, sich dem Thema einmal in einer kulinarischen Kulturgeschichte zu widmen und daraus ein Buch zu machen. Hier ein Auszug.

Was wäre am Ende, lieber Gott,
die ganze Seefahrt wert,
ständ nicht zuweilen so ein Pott
mit Labskaus auf dem Herd.
Und fragt man einen Seemann mal,
ob Labskaus oder Kuss, ruft er:
„Hier gibt es keine Wahl,
ich bin für beides, Schluss!“
(Gedicht eines unbekannten Seemanns)

Labskaus – der nahrhafte Kartoffelbrei mit gepökeltem Fleisch – steht für eine vergangene Seefahrtepoche, eine raue maritime Männerwelt und einen romantisierenden Rückblick auf diese Zeit. Labskaus findet sich bis heute vor allem an Orten, wo es Häfen, Seeleute und die Hanse gab.

Der Legende nach soll Labskaus schon vor Jahrhunderten auf Segelschiffen gegessen worden sein

Der Legende nach soll Labskaus schon vor Jahrhunderten auf Segelschiffen gegessen worden sein. Es wird erzählt, ein einfallsreicher Schiffskoch habe Pökelfleisch durch den Wolf gedreht und mit anderen Zutaten wie Schiffszwieback zu Brei verkocht, weil viele Matrosen an Skorbut erkrankt und deshalb zahnlos waren. Der Fleischwolf aber wurde erst Mitte des 19. Jahrhunderts erfunden.

Richtiges Seemannsgarn ist die Theorie, nach der Labskaus entstand, als es einem Smutje in seiner Kombüse bei schwerem Sturm nicht mehr möglich war, etwas Vernünftiges zu kochen. Also nahm er alles, was er finden konnte, und mixte es zu einem herzhaften Brei, der so gut in der Schüssel, auf dem Teller oder an den Löffeln klebte, dass man ihn auch noch bei hohem Wellengang verzehren konnte. Ein etwas rauer Matrosenspruch lautete: „Alles, was der Seemann im Laufe der letzten Woche verloren hat, findet sich im Labskaus wieder.“

Die heutigen Konservierungs- und Kühlmöglichkeiten standen im Segelschiff-Zeitalter nicht zur Verfügung. Deshalb gehörten zum Schiffsproviant vor allem Gepökeltes, Eingewecktes und andere lang haltbare Lebensmittel. Viele Seeleute hatten durch die Mangelkrankheit Skorbut ihre Zähne verloren und aßen nur noch Kleingehacktes oder Püriertes. Mancher Schiffskoch konnte die Verwendung von minderwertigen oder schon verdorbenen Zutaten so kaschieren.

Der damalige  Bundeskanzler Helmut Schmidt und seine Frau Loki lassen sich auf dem „Hummelfest“ 1979 in Bonn je einen Teller Labskaus schmecken
Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt und seine Frau Loki lassen sich auf dem „Hummelfest“ 1979 in Bonn je einen Teller Labskaus schmecken © picture alliance | Heinrich Sanden

Die eigentliche Entstehungsgeschichte dieses Grundnahrungsmittels für Seefahrer und Küstenbewohner beginnt aber viel früher: „Lobscouse“ wurde 1706 von dem englischen Autor und Satiriker Ned Ward erstmals erwähnt, 1878 feierte das Labskaus in einem seemännischen Wörterbuch seine deutschsprachige Premiere. Der Ursprung des Wortes ist unbekannt. Es gibt zahlreiche Deutungen, die aber alle erst aus dem 19. Jahrhundert stammen.

Eine „Speise für derbe Männer oder Flegel“

Mit vermutlich englischem Ursprung von lobscouse entlehnt, wurde es möglicherweise über lout’s course vom dialektalen lob’s course mit der Bedeutung „Speise für derbe Männer oder Flegel“ entwickelt. Eine andere Variante stammt vom Fleischstück „Lappen“, das heißt dem Bauchlappenstück des Rindes, und dem Hinzufügen von Kaus für niederdeutsch „Schüssel, Schale“. Nach anderer Quelle soll der Begriff aus dem Norwegischen für „leicht zu Kauendes“ stammen. Möglich erscheint auch eine Herkunft aus dem Baltikum: Die Ausdrücke labs kauss in der lettischen bzw. labas kaušas in der litauischen Sprache bedeuten jeweils „gute Schüssel“. Man weiß also nichts Genaues. Aber Labskaus gibt es wirklich und hat seinen Ursprung in den Kombüsen und ihren kulinarischen Widrigkeiten vergangener Jahrhunderte.

Ein Schiffskoch im 19. Jahrhundert bei der Arbeit
Ein Schiffskoch im 19. Jahrhundert bei der Arbeit © INTERFOTO | Sammlung Rauch

Auf modernen Schiffen gibt es heute genug Essen. Man hat aus der Geschichte gelernt, dass der Proviant an Bord oft über Wohl und Weh einer Seereise entscheidet. Die Tagesration eines portugiesischen Matrosen bestand im 16. Jahrhundert aus etwa 500 Gramm Schiffszwieback, 1,5 Liter Wasser und einem halben Liter Wein. Drei Stockfische und ein halber Liter Olivenöl als Zusatzproviant mussten für einen Monat reichen. Dafür wurde die „Speisekarte“ manchmal, wenn man viel Glück hatte, durch einen Zufallsfang bereichert.

Seeleute dieser Zeit rekrutierten sich stets aus der ärmeren Schicht der Landbevölkerung. Ihre Berufe, die sie möglicherweise im zivilen Leben erlernt hatten, sei es Tischler oder vielleicht Schmied, waren auch an Bord von Segelschiffen von elementarer Bedeutung. Die Verlockungen einer geregelten Heuer zogen die einfachen Menschen an, die meist keine berufliche Perspektive in ihrer Umgebung sahen. Manchmal war es auch Abenteuerlust, die aber bei vielen Seeleuten auf Langreiseseglern bald umschlug und zur Routine mutierte.

Der Smutje war meist ein älterer Seemann

Wichtig an Bord, gerade bei Langreiseseglern, war selbstverständlich der Schiffskoch. Bezeichnend sind die verschiedenen mundartlichen Namen für ihn: „Smut“, „Smutje“, „Smeer“, „Smeerlapp“. Sie alle bedeuten Schmutz im weitesten Sinne des Wortes.

Der Smutje war meist ein älterer Seemann, der die harte Arbeit an Bord eines Segelschiffes nicht mehr bewältigen konnte und als Koch weiter zur See fuhr. Häufig übernahmen auch verletzte Ma­trosen diesen wenig beliebten Job. Nicht umsonst ist beispielsweise Flint, der Smutje im Buch „Die Schatzinsel“, mit Holzbein dargestellt. Der Smutje saß zwischen den Stühlen: Einerseits musste er das Logis mit dem Essen beliefern, das die Speiserolle vorschrieb, andererseits erwartete die Kabine ebenfalls das ihr zustehende Essen.

Segelschifftörn nach Chile dauerte sechs Monate

Da ein Smutje kein gelernter Koch war, passierte es nicht selten, dass die Gerichte, die er kredenzte, alles andere als genießbar waren. Es konnte vorkommen, dass mancher Koch, der nichts von seinem Handwerk verstand, den Unmut der Besatzung zu spüren bekam. Das konnte so weit gehen, dass er über Bord geworfen wurde. Meist aber reichte auch schon eine Tracht Prügel, die häufig von den Offizieren toleriert wurde, denn deren Nahrung war ja ebenfalls ungenießbar, obwohl sie meist besseres Essen bekamen.

Verderbliche Waren auf einem Langreisesegler des 18. oder 19. Jahrhunderts zu lagern war nahezu unmöglich. Kühlräume waren nicht vorhanden. Obwohl man bereits seit dem Mittelalter wusste, dass Mangelerkrankungen wie etwa Skorbut oder Beriberi auf den Mangel an frischem Gemüse zurückzuführen waren, ließ sich das auf See kaum verhindern.

Deutsche und britische Marinesoldaten auf einem großen Labskausessen an der Nordsee. Auch in Wales und England kennt man das Gericht
Deutsche und britische Marinesoldaten auf einem großen Labskausessen an der Nordsee. Auch in Wales und England kennt man das Gericht © picture alliance | Ingo Wagner

Selbst Zwiebeln und Kartoffeln, die als frische Lebensmittel recht lange haltbar waren, verdarben nach spätestens drei Wochen. Frisches Fleisch wurde ebenso mitgeführt, musste aber bereits in der ersten Woche verbraucht sein.

Ein Segelschifftörn nach Chile dauerte allerdings sechs Monate. Nicht selten führten Langreisesegler lebende Schweine, Hühner oder Ziegen mit sich. In vereinzelten Fällen, abhängig von der Besatzungsstärke, auch mal eine Kuh. Die Tiere ernährten sich von den Abfällen an Bord, von denen es allerdings wenig bis keine gab. Hühner wurden so lang am Leben gelassen, wie sie Eier legten. Schweine wurden geschlachtet, wenn sie zu schwach waren. Hauptbestandteil der Ernährung auf See bei Seglern seit dem Mittelalter war Salzfleisch, Salzfisch oder Stockfisch.

Wenn es möglich war, nahmen Seeleute auch frisches Brot mit an Bord

Das Haltbarmachen von Lebensmitteln in Salzlake ist ein Verfahren, das schon seit der Antike bekannt ist. Nachteilig ist, dass dem Fleisch durch die Lagerung in einer starken Salzlake beinahe sämtliche Nährstoffe entzogen werden. Hinzu kam, dass manche Schiffer Fleisch von einlaufenden Seglern kauften. So war es gut möglich, dass Salzfleisch schon einmal den Äquator passiert hatte, bis es aufgebraucht wurde.

Getrocknete Erbsen, Linsen und Graupen waren nach dem Verbrauch der frischen Gemüse meist die einzigen pflanzlichen Nahrungsmittel, die an Bord eines Schiffes noch in essbarem Zustand waren. Durch die Trocknung waren sie sehr lange haltbar. Trotzdem verfügten sie nicht über den Nährstoffgehalt und die wertvollen Vitamine frischen Gemüses und dienten so hauptsächlich der Sättigung. Gegen Ende einer mehrmonatigen Reise waren sie meist das einzige noch verbliebene Lebensmittel an Bord.

Wenn es möglich war, nahmen Seeleute auch frisches Brot mit an Bord, meist waren es jedoch nur Mehl und Hartkekse, sogenannter Schiffszwieback. Dieser wurde aus „tweebacken Brodt“ hergestellt, also aus Brot, das zweimal ausgebacken wurde. Dadurch war das Brot zwar länger, aber nicht ausreichend haltbar für eine mehrmonatige Schiffsreise. Die Seemänner entwickelten ein einfaches, aber wirkungsvolles Verfahren: Da der Keks im trockenen Zustand sowieso nicht essbar war, wurde er erst ausgeklopft und anschließend im Kaffee aufgeweicht, bis die Maden herauskamen. Dann wurden die Maden aus dem Kaffee geschöpft, und der Keks war essbar.

Das verbreitete Klischee vom Branntwein saufenden Matrosen ist falsch

Mit an Bord gebrachtes Mehl diente selten zum Backen, meist wurde daraus ein Mehlkloß oder -pudding gemacht, den die Seeleute sehr mochten, sofern er dem Smut gelang. Mehl musste aber ebenso regelmäßig vom Befall durch Schädlinge befreit werden wie alle anderen Lebensmittel auch.

Auf Langreiseseglern mussten die Kapitäne zudem stets für ausreichend Trinkwasser sorgen, da das Meerwasser aufgrund des hohen Salzgehaltes dem Körper Flüssigkeit entzieht. Mitgeführt wurde Trinkwasser, das erst nach geraumer Zeit brackig und schlecht werden konnte. Wenn dies der Fall war, wurden die entstandenen Algen durch den Schiffsjungen abgeschöpft, und dem Wasser wurde Natron hinzugegeben. Die Hamburger Speiserolle schrieb vor, dass jedem Seemann auch eine gewisse Menge Bier zustand. Pro Monat hatte der Seemann Anrecht auf einen Oxhoft Bier, also etwa 50 Liter.

Der Alkoholgehalt dieses Bieres lag bei etwa 2 bis 2,5 Prozent, war also eher gering. Das verbreitete Klischee vom Branntwein saufenden Matrosen ist falsch. Natürlich schlugen viele Seeleute nach langen entbehrungsreichen Fahrten über die Stränge, wenn sie im Hafen Landurlaub bekamen. An Bord von Schiffen waren hochprozentige Getränke aber weitestgehend tabu. Die Seemänner selbst beschwerten sich über den Alkohol. So beklagten die Wismarer Seeleute 1851 beim Seeamt: „Die Kapitäne sollten lieber Kaffee ausgeben als geistige Getränke.“

Kapitän und Smutje legten das Essen für die Woche fest

In der Folge wurden starke alkoholische Getränke schließlich in den jeweiligen Seemannsordnungen verboten, so zum Beispiel 1854 in der revidierten Hamburgischen Seemannsrolle, in der es heißt: „Niemand von der Mannschaft (darf) Branntwein und sonstige geistige Getränke an Bord bringen.“ Natürlich waren die Segler letztlich keine „trockenen Schiffe“, Alkohol wurde weiterhin mitgeführt.

Buchcover Mythos Labskaus
Buchcover Mythos Labskaus © KJM Verlag | KJM Verlag

Der Seemann Wossidlo konnte in seinem Tagebuch berichten, dass der erste Schnaps stets um 6 Uhr verteilt wurde, also zwei Stunden vor dem Frühstück. Die Ausgabe von Alkohol aber wurde streng kontrolliert, und er galt
offiziell als medizinisches Mittel. Selbstverständlich nutzte die Schiffsführung Branntwein auch, um die Mannschaft zu belohnen oder sie zu beschwichtigen, wenn das Essen mal wieder von schlechter Qualität war.

Kapitän und Smutje legten das Essen für die Woche fest. Entscheidend dafür war, was die sogenannte Speiserolle darüber aussagte. Lange Zeit gab es keinerlei Beschränkungen oder Gesetze, erst im ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhundert änderte sich die Lage der Seeleute in diesem Punkt radikal. Schiffern war nun, was das Essen betraf, nicht mehr alles erlaubt. Die Hamburger Speiserolle schrieb zum Beispiel vor, dass von sieben Wochentagen nur drei Fischtage sein durften, die anderen mussten Fleischtage sein. Gemüse wie Erbsen, Graupen oder Bohnen sollten abwechselnd gereicht werden. Matrosen hatten das Recht, sich nach Ankunft im Hafen zu beschweren, wenn die Speiserolle nicht eingehalten wurde.

Labskaus gehört zu den kulinarischen „Heiligtümern“ der Küstenregionen

Labskaus gehört unbestritten zu den kulinarischen „Heiligtümern“ der Küstenregionen des Nordens. Von keinem norddeutschen Gericht wird so viel Aufhebens gemacht wie von diesem ganz speziellen Eintopf, der gar nicht wie einer aussieht, eher wie ein leicht rosafarbener Kartoffel-Fleisch-Brei. Studiert man historische Quellen und Kochbücher und spricht mit Regionalhistorikerinnen, wird man ganz dösig im Kopf. Jeder hat eine andere Ansicht dazu, was in seiner Region das Labskaus von dem der Nachbarin unterscheidet.

Das Gericht ist und bleibt ein Mischmasch. Klein gehackter Hering gebe dem Labskaus erst das richtige maritime Aroma, steht in einigen alten Kochbüchern. Alte Seeleute rufen empört „Verfälschung“. Halten wir fest: Der Streit darüber, was nun genau in ein „richtiges“ Labskaus hineingehört, ist so alt wie die christliche Seefahrt.

An der Nordsee in Hooksiel stießen wir auf ein Rezept, das ein Koch von seinem Vater bekam, der es einem Fischhändler abgeluchst haben soll, der es wiederum von einem Marineoffizier erhalten hatte. Hier finden sich neben der klassischen Rinderbrust noch gepökelter Schweinebauch und Schweineschmalz abgerundet mit einer Prise Cayennepfeffer und gemahlener Muskatnuss. In Ella Orths „Praktischem Kochbuch für die schleswig-holsteinische Küche“ aus dem späten 19. Jahrhundert finden sich zwei Labskausvarianten: einmal mit Schweinefleisch (sehr fett soll es sein), Wasser, viel Zwiebeln, Salz und Pfeffer.

Die einen begegnen Labskaus mit Abscheu, die anderen lieben den Brei

In der zweiten Variante empfiehlt sie halb Schwein, halb gepökeltes Rindfleisch und Salzheringe, und es kommen noch Salzgurken, Kümmel und Weinessig zum Einsatz. Es soll sogar eine nordfriesische Art des Mischmasches geben, behaupten einige Quellen. Nur, der nordfriesische Mischmasch entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ein Rezept, das so überall im Norden zubereitet wird. Ähnlich verhält es sich mit Mecklenburger oder Schleswig-Holsteiner Labskaus. Überall an der Küste und auf den Inseln spielt Labskaus eine mehr oder weniger große Rolle, überall finden sich Varianten, aber keine Variante ist einer bestimmten Region gesichert zuzuordnen.

Auch sie aßen einst Labskaus: Matrosen auf einem Segelschiff in schwerer See
Auch sie aßen einst Labskaus: Matrosen auf einem Segelschiff in schwerer See © Getty Images | Culture Club

Wie an zahlreichen Orten im hohen Norden zählt Labskaus auch in Bremen zu den traditionellen Speisen. Obwohl das Gericht oft nicht besonders attraktiv auf dem Teller aussieht, darf es in keinem gutbürgerlichen Restaurant der Hansestadt auf der Speisekarte fehlen. Gereicht wird Labskaus in Bremen immer mit Gewürzgurke, Roter Bete und Spiegelei. Ob zu einem typischen Bremer Labskaus nun Corned Beef gehört oder gepökeltes Rindfleisch oder ob es mit oder ohne Fisch angereicht wird, ist in der Stadt bis heute umstritten.

Die einen begegnen Labskaus mit Abscheu, die anderen lieben den Brei – aber alle denken, das Gericht sei ursprünglich aus Hamburg. Vor allem die Hamburger und Hamburgerinnen selbst. Ach, Hamburg. Tor zur Welt und Erfinderin des weltberühmten Labskaus? Bis heute preist die Hansestadt Labskaus als regionale Spezialität und touristische
Attraktion. Dabei liegt der genaue Ursprung der rosa Masse mit Spiegelei, Roter Bete, saurer Gurke und fischiger Beilage im Nebel, vermutlich in Norwegen und Liverpool. Die Hanseaten hingegen – ob nun aus Hamburg, Bremen oder
Lübeck – waren an der Erfindung nicht direkt beteiligt, und bis vor 100 Jahren kam das Armeleuteessen in gutbürgerlichen Hamburger Kreisen auch nie auf den Tisch. Man aß nicht wie der einfache Matrose und Seemann.

Das walisische Labskaus hat wenig Gemeinsamkeiten mit dem norddeutschen

Wenden wir den Blick auf die nordwest- und nordeuropäischen weiteren Länder und Orte, in denen Labskaus – in der einen und anderen Art der Ausprägung – zu Hause ist. Zum Beispiel nach Wales. Der walisische Name für Labskaus lautet Lobsgaws, ausgesprochen: „Lobsgaus“. In walisischen Wörterbüchern finden wir die Erklärung, dieses Wort sei aus dem Norwegischen übernommen. In norwegischen Wörterbüchern wiederum, denn auch in Norwegen gibt es Labskaus, heißt es, das Wort stamme aus dem Niederdeutschen. Und dort wird erneut nach Norwegen verwiesen. Was es also ursprünglich bedeutet, scheint niemand zu wissen.

Das walisische Labskaus hat wenig Gemeinsamkeiten mit dem norddeutschen, schmeckt aber genauso gut. Ein typisches Rezept enthält Möhren oder Steckrüben, Zwiebeln, Kartoffeln, Lammfleisch und viel Pfeffer, zudem zwei Spritzer Worcestersauce und einen Brühwürfel. Die Waliserin Ness Owen erzählt, dass sie noch nie die norddeutsche Variante gesehen oder gar gekostet habe, aber sie sei sicher, ihre Familie wäre begeistert. „Die meisten Leute hier haben ein Familienrezept, und dabei bleiben sie. Und alle sind davon überzeugt, dass ihr Rezept das einzig wahre ist.

Ich würde zum Beispiel gern Pastinaken verwenden, aber mein Mann ist entsetzt, wenn ich das nur erwähne. Er isst Pastinaken eigentlich gern, aber ein Lobsgaws mit Pastinaken hat den Namen Lobsgaws nicht verdient.“ In anderen Familien werden nicht nur die Gemüsesorten ausgetauscht, sondern auch das Fleisch. Es wurde schon Lobsgaws mit Rindfleisch gesichtet, und sogar Schweinefleisch kommt bisweilen zur Anwendung. In Nordwales bezeichnet Lobsgaws (manchmal auch Lobscouse) zumeist einen Lammeintopf, sehr häufig auch Cawl genannt. Cawl gilt als walisisches Nationalgericht. Er wird meistens ohne weitere Gänge serviert und enthält Lamm und Porree, die eng mit der walisischen Kultur verbunden sind.

Über die Herkunft des Namens wird auch hier spekuliert

Bethan Hughes, Bibliothekarin und Kennerin der walisischen Küche, sagt: „Lobsgaws kenne ich gut. Meine Mutter und meine Schwester kochen das regelmäßig. Es ist ein ziemlich billiger Eintopf aus Kartoffeln, Fleisch und Gemüse mit einer Brühe. Angeblich schmeckt es würziger, wenn man es am nächsten Tag noch einmal aufwärmt.“ Über die Herkunft des Namens wird auch hier spekuliert, aber die meisten Gewährsleute in Wales machen sich die Sache einfach: Sie verweisen auf das Lobscouse aus Liverpool und erklären, den Namen von dort übernommen zu haben. Walisische Kochbücher behaupten gern, Lobsgaws sei von Seeleuten aus Norddeutschland nach Norwegen gebracht worden, von Norwegen nach Liverpool und von Liverpool nach Wales.

Gern wird auf Liverpool und das dortige Scouse verwiesen. Das sagt ein walisischer Koch: „In Liverpool ist es eine Art Eintopf, mit Lammfleisch, normalerweise nicht die besseren Teile, Kartoffeln und Gemüse. Und da Liverpool sozusagen die Hauptstadt von Nordwales ist, ist es auch bei uns so.“ In englischen Kochbüchern finden wir Scouse als Liverpooler Spezialität. Ursprünglich, so heißt es, war Scouse ein Gericht für Arme, ein Eintopf aus Gemüse und Fleischresten. Es wurde so stark mit Liverpool assoziiert, dass Leute aus Liverpool noch heute als „Scousers“ bezeichnet werden.

Es gibt sogar ein Fan-Lied des FC Liverpool: „We’re not English, we are Scouse!“ Vom Scouse gab und gibt es auch eine fleischlose Variante, ursprünglich für Menschen, die so arm waren, dass sie sich nicht einmal das Armeleuteessen Scouse leisten konnten. Und wie in Wales heißt die fleischlose Version „Blind Scouse“, blindes Skaus. Immer wieder hören wir in Liverpool, das ­Scouse sei skandinavischen Ursprungs oder aus Norddeutschland. Zeigt man dann ein Foto von Hamburger Labskaus, ist das Staunen groß, da es keine Ähnlichkeit mit dem Liverpooler Scouse hat.