Hamburg. Süchtig, wohnungslos, allein: Langzeitarbeitslose gelten oft als verloren. Aber viele finden jetzt eine Zukunft – so wie Peter Redeker.

Es gab Zeiten, da drehte sich alles um die nächste Flasche, den nächsten Schluck, den nächsten Rausch. Erst waren es nur ein paar Biere mit den Kollegen nach Feierabend, dann wurden es immer mehr. Mit Mitte 40 hatte Peter Redeker zwei Entzüge hinter sich, war seine Wohnung los und seinen Job als Elektrotechniker auch.

„Durch den Alkohol wurde ich unzuverlässig, habe Fehler gemacht“, erinnert sich der heute 56-Jährige. Aber das Schlimmste waren diese Halluzinationen, die irgendwann durch den Alkohol kamen. „An meinem Tiefpunkt habe ich drei Nächte lang nicht geschlafen und permanent Angst gehabt, verfolgt zu werden. Das wünscht man seinem größten Feind nicht.“ Nach diesem Erlebnis beschließt er: „Das war’s mit dem Alkohol. Dieses Mal wollte ich es wirklich schaffen.“

Nach Entzug und Therapie zurück in den Beruf

Und so kam es dann auch. Redeker machte einen dritten Entzug und eine Therapie. Währenddessen hatte der gebürtige Hamburger, der damals in einem Wohncontainer untergekommen war, immer seine beiden Ziele im Kopf: wieder eine Wohnung und einen Job finden. Zu dem Zeitpunkt hatte Redeker seit rund zehn Jahren nicht gearbeitet. Und so ahnte er, dass der Wiedereinstieg wohl etwas schwerer werden könnte.

Als Redeker sich auf Jobsuche macht, ist er in der Statistik längst als Langzeitarbeitsloser erfasst. Rund 19.000 von ihnen gibt es derzeit in Hamburg. Und oft gilt: Je länger die Zeit der Erwerbslosigkeit andauert, desto schwieriger ist es, wieder Fuß zu fassen.

Teilhabechancegesetz unterstützt Langzeitarbeitslose

An dieser Stelle setzt das sogenannte Teilhabechancengesetz an, das 2019 in Kraft getreten ist und sich an Menschen richtet, die seit sechs Jahren Leistungen vom Jobcenter erhalten. Ziel der Förderung ist es, Langzeitarbeitslose in reguläre, nach Tarif bezahlte Beschäftigungsverhältnisse zu bringen. Konkret funktioniert es so, dass das Jobcenter eine passende Beschäftigung sucht und für diese bis zu fünf Jahre lang Lohnkostenzuschüsse bezahlt. Ein berufsbegleitendes Coaching soll den Start erleichtern.

Kürzlich hat das Jobcenter Hamburg eine Info-Kampagne in der Stadt gestartet, die Arbeitgeber auf die Förderung aufmerksam machen soll. Aktuell haben schon über 60 Unternehmen Interesse im Jobcenter angemeldet, einen oder mehrere langzeitarbeitslose Menschen in ihrer Firma zu beschäftigen.

„Ein Neustart. Zwei Gewinner“, lautet der Slogan, mit dem Unternehmen dazu aufgerufen werden, die Fördermöglichkeiten in Anspruch zu nehmen. „Gerade jetzt in der Corona-Pandemie ist das Teilhabechancengesetz von großer Bedeutung“, sagte Jobcenter-Chef Dirk Heyden.

350 Menschen bereits zurück im Erwerbsleben

„Menschen, die es vorher schon schwer hatten, fällt es nun noch schwerer, in Arbeit zu kommen. Unsere Botschaft lautet daher: Es lohnt sich immer, sich für langzeitarbeitslose Menschen stark zu machen.“ In diesem Jahr sei es – trotz Corona – gelungen, rund 350 Menschen nach langer Arbeitslosigkeit wieder ins Erwerbsleben zu bringen.

Dass Arbeitgeber oftmals Scheu haben, Langzeitarbeitslose einzustellen, erfährt Heyden immer wieder. „Oft gibt es Vorurteile. Doch dahinter verbergen sich Menschen, die eine Chance verdient haben, einer Arbeit nachzugehen, für sich selbst sorgen zu können und wieder am sozialen Leben teilzuhaben.“ Unternehmen würden im Gegenzug eine helfende Hand, etwa im Lager, in der Hauswirtschaft oder der Gebäudepflege erhalten.

Heyden betont: „Soziales Engagement gehört zu Hamburg. Das Teilhabechancengesetz unterstützt Arbeitgeber dabei und ermöglicht so einen Neustart, bei dem es gleich zwei Gewinner gibt.“

Qualifikation verhalf Redeker zu Job bei Hamburger Verein

Auf der Suche nach genau so einer „helfenden Hand“ war vor rund 1,5 Jahren Meike Ohene vom Verein Oberhafen 5+1 e. V. Auf dem Gelände, auf dem unter anderem Künstler, Kreative, Handwerksbetriebe und viele mehr ansässig sind, gebe es schließlich ständig etwas zu tun. Mal tropft ein Wasserhahn, mal geht das Licht nicht, und wieso ist die Hecke immer noch nicht geschnitten?

Auf einer Infoveranstaltung erfuhr Ohene von dem Teilhabechancengesetz und dem Angebot des Jobcenters und fand die Idee sofort richtig gut. Auf der Seite des Jobcenters fand sie dann die Bewerbung von Peter Redeker. „Die Bewerbung war nett geschrieben, und seine Qualifikation als Elektrotechniker konnten wir gut gebrauchen.“

Wenige Tage später kam Peter Rededer zum Vorstellungstermin an den Oberhafen. „Als ich Peter gesehen habe, wusste ich sofort, dass es passen würde“, sagt sie. Peter arbeitete ein paar Tage zur Probe und bekam dann seinen Arbeitsvertrag.

Mittlerweile ist der ehemalige Langzeitarbeitslose Teil der Obenhafen-Familie

Eineinhalb Jahre ist das nun her. Und Peter Redeker gehört heute selbstverständlich zur Oberhafen-Familie dazu. Aus seiner Wohnung in Langenhorn, die er inzwischen gefunden hat, fährt er jeden Morgen mit dem Rad in die Innenstadt. Um 4 Uhr aufstehen, Arbeitsantritt um 6.30 Uhr und nachmittags wieder zurück. Was ihm das bedeutet? „Alles“, sagt der 2,07 große Mann. „Es bedeutet, dass ich einfach ein vernünftiges Leben führen kann.“

Ohene ist sich sicher: „Viele Firmen könnten von Menschen wie Peter profitieren.“ Schließlich gebe es unendlich viele Gründe dafür, warum man ein paar Jahre nicht arbeiten konnte. Und bei Peter habe sie das Gefühl, dass sie und das Team auch viel vom ihm lernen können. „Menschen, die so etwas erlebt haben, wissen oft viel vom Leben“, sagt sie.

Peter Redeker ist inzwischen seit viereinhalb Jahren vom Alkohol los. „Mit dem alten Leben hab ich abgeschlossen“, sagt er. Ob er noch weitere Wünsche habe? „Ich würde gern so lange hier bleiben, bis ich in 11 Jahren einen Rentenbescheid bekomme“, sagt er. „Das würde mich sehr glücklich machen.“

Interessierte erhalten weitere Informationen im Internet unter www.gewinner.hamburg.