Hamburg. Ein neues Buch schildert die Vergangenheit der Bundeswehr-Einrichtung und spart dabei auch dunkle Kapitel nicht aus.
Sie gehört zu den wichtigsten militärischen Einrichtungen bundesweit: Seit rund 60 Jahren hat die Führungsakademie ihren Sitz in Hamburg. Die auch FüAk genannte höchste Bildungseinrichtung der Bundeswehr hat eine ausgezeichnete Reputation – und eine höchst wechselvolle Geschichte.
In der jetzt von dem Historiker Oberst Dr. Wolfgang Schmidt vorgelegten Chronik, die das Abendblatt hier exklusiv vorab vorstellt, werden auch die dunklen Kapitel der FüAk-Vergangenheit nicht ausgespart. Im Gegenteil. Ausführlich schreibt Schmidt, Leiter des Fachgebiets Bundeswehr, Gesellschaft und Geschichte, über die Vertreibung der jüdischen Familien Plaut und Liebeschütz, die einst auf dem weitläufigen Gelände an der Manteuffelstraße lebten.
Der Mediziner Hugo Carl Plaut (1858 bis 1928) war dort Eigentümer einer heute noch erhaltenen, von einem riesigen Garten umgebenen Villa. Plauts Tochter Rahel und ihr Mann, der Historiker Hans Liebeschütz, ließen sich nebenan ein Rotklinkerhaus bauen, das ebenfalls noch steht. Im Verlauf der 1930er-Jahre wurden beide Familienzweige im Zuge der Nürnberger Rassengesetze immer stärker ausgegrenzt. Als der achtjährige Wolfgang Liebeschütz von 1936 an die öffentliche Grundschule in Dockenhuden nicht mehr besuchen durfte, gründete die Familie eine kleine jüdische Schule auf eigene Kosten. Für Wolfgang Schmidt „eine bemerkenswerte Form individueller und kollektiver Selbstorganisation“. Von 1936 bis 1938 diente der Salon der Villa als Klassenraum für bis zu sieben Kinder. Den Unterricht erteilte die Lehrerin Henriette Arndt.
FüAk will sich stärker als früher in ihrer Umgebung verankern
Als der Druck weiter zunahm, flohen Adele Plaut, Witwe von Hugo Carl Plaut, und ihre Tochter Rahel 1938 mit deren Kindern nach England. Hans Liebeschütz folgte im Frühjahr 1939. Die NS-Ausreisebestimmungen, laut Wolfgang Schmidt „ein staatlicher Raub, um die Finanzkasse Deutschlands zu befüllen“, beließen ihnen nur drei Prozent ihres Vermögens. Das Restmobiliar aus beiden Häusern wurde versteigert und das rund 56.000 Quadratmeter große Grundstück verkauft, das dafür eingenommene Geld aber nicht nach England überweisen, sondern als „Ausländer-Sperrguthaben“ eingefroren. Die Plauts und Liebeschützs blieben in England, Henriette Arndt wurde 1942 im Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) ermordet
Dieser Abschnitt der FüAk-Geschichte war intern schon länger bekannt und wurde als Handreichung auch regelmäßig an Interessierte weitergegeben. Erstmals gibt es die komplette Historie dieser Tragödie nun als Buch für alle. Zu verdanken ist das auch dem Förderkreis Historisches Blankenese e. V., in dessen im KJM Verlag erscheinender Reihe „Edition Gezeiten“ das Buch jetzt erscheint. Der Vorsitzende des Förderkreises, Dr. Jan Kurz, hat Schmidt zur Veröffentlichung auf dem Buchmarkt motiviert und in langen Gesprächen Informationen und Material zugeliefert.
Die Zusammenarbeit zwischen Autor und Förderkreis hängt auch damit zusammen, dass sich die FüAk stärker als früher in ihrer Umgebung verankern will. Mit dem neuen Buch soll es darum gehen, Nachbarn und einer interessierten Öffentlichkeit Einblicke in die historischen Geschehnisse zu geben.
Schmidts Forschungsergebnisse gehen mittlerweile noch weit über das Bekannte hinaus. Unter anderem hat er akribisch alle Akten gesichtet, die zum Zwangsverkauf verfügbar waren. Bemerkenswert: Schmidt nennt alle Firmen, die Nutznießer dieser deprimierenden Aktion waren, namentlich – mancher wird das nicht gerne lesen. Die Bundeswehr, die logischerweise keine Schuld an diesen Vorkommnissen trifft, hat sich trotzdem frühzeitig dem Thema gestellt und gehandelt. Bereits 1994 wurde in Anwesenheit von Nachfahren der Familien Plaut und Liebeschütz ein Baum gepflanzt und an der Außenfassade der Villa eine Plakette mit der Aufschrift „Villa Plaut“ angebracht. Im ehemaligen Salon des lange als Büro der Truppenverwaltung genutzten Hauses erinnert zudem eine Tafel an Henriette Arndt.
Spannendes Kapitel
Während des Zweiten Weltkriegs residierte (nach weiteren Grundstückskäufen in der Nachbarschaft) mit großem Brimborium das Luftgaukommando XI in Nienstedten. Damals begann die militärische Prägung des Geländes, die bis heute andauert – wenn auch unter völlig anderen Rahmenbedingungen.
Dieses Kapitel liest sich ebenso spannend wie die Schilderung der Nachkriegsjahre. Nachdem das Gelände von den britischen Besatzern unter dem Namen „Uxbridge Barracks“ genutzt worden war, zog hier erst 1958 die Führungsakademie ein. Diese Wahl war indes keine Selbstverständlichkeit – auch Bad Ems und Heidelberg hatten um die FüAk geworben. Amüsant: Vonseiten Hamburgs wurde unter anderem mit einem Schreiben für den Standort geworben, in dem es heißt: „Im Sommer ist in Hamburg das Klima für derartige Lehrgänge wesentlich erträglicher.“
Die Entwicklung des Geländes spiegelt laut Wolfgang Schmidt, der auch vieles zu Architektur und Kunst vor Ort dokumentiert, in Teilen „die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts wider“.