Hamburg. Sebastian Kubon und zwei Kolleginnen trafen mit Kritik an befristeten Hochschuljobs einen Nerv. Nun veröffentlichten sie 95 Thesen.

Eine große Aktion anzukurbeln, das hatte Sebastian Kubon nicht vor, als er am Reformationstag einen Beitrag auf Twitter kommentierte. Dort hatte eine Forscherin angekündigt, sie werde zu Halloween als Wissenschaftszeitvertragsgesetz gehen. „Das ist seelische Grausamkeit“, schrieb Kubon, promovierter Mediävist, befristet beschäftigt an der Universität Hamburg. Eigentlich gelte es, 95 Thesen gegen das seit langem umstrittene Gesetz an die Uni-Türen zu nageln.

„Sehr gute Idee“, schrieb die Forscherin Amrei Bahr aus Düsseldorf, die allerdings vorschlug, die Thesen unter dem Schlagwort #95vsWissZeitVG zu sammeln – woraufhin die Forscherin Kristin Eichhorn aus Paderborn die ersten Thesen veröffentlichte.

Seitdem sind Kubon zufolge auf Twitter mehr als 2000 Reaktionen aus dem ganzen Bundesgebiet zusammengekommen. „Wir haben offensichtlich einen Nerv getroffen“, sagt der Wissenschaftler, der gerade in Elternzeit ist. „Man merkt, wie unzufrieden viele Kolleginnen und Kollegen sind.“ Der 40 Jahre alte Forscher und seine beiden Kolleginnen haben die vielen Twitter-Beiträge ausgewertet – und heute 95 Thesen gegen das Regelwerk im Internet veröffentlicht.

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WissZeitVG-Szenario: Jeder kämpft für sich

Das kurz WissZeitVG genannte Gesetz lässt für wissenschaftliche Mitarbeiter – etwa Doktoranden, Habilitanden und Lehrbeauftragte – bis zu zwölf Jahre lang Befristungen zu. Das Problem, so Kubon: „Wer es innerhalb dieser Zeit nicht auf eine feste Stelle schafft, erhält faktisch ein Berufsverbot als Wissenschaftler.“ So gesehen werde Wissenschaft zu einem nur bedingt attraktiven Wagnis mit erschwerter Lebens- und Familienplanung.

Zu guter Forschung sollte Freiraum gehören, um kreativ sein zu können, um ungewöhnliche Ideen zu verfolgen, sagt Kubon. „Das aber ist schwer, wenn man sich von Befristung zu Befristung hangelt.“ Eine weitere auf Twitter geäußerte These sei, dass es als Folge des WissZeitVG im akademischen Mittelbau kaum noch um kollaboratives Arbeiten gehe. „Vielmehr kämpft jeder für sich.“

Angst um mühevoll aufgebaute Expertise

Ein Argument gegen Dauerstellen an den Hochschulen lautet, eine stetige personelle Erneuerung sei das Schwungrad der Wissenschaft. Kubon hält dagegen: „Es fordert keiner, dass alle wissenschaftlichen Mitarbeiter entfristet werden. Die Kritik lautet vielmehr, dass es fast gar keine Konstanz gibt. Viele Wissenschaftler bauen sich mühevoll Expertise auf – und wenn sie da ist, sollen sie sich umorientieren“, sagt der Historiker, der nach eigenen Angaben schon mehr als zehn befristete Hochschulverträge hatte, wobei der längste Vertrag für zwei Jahre und vier Monate galt.

Der promovierte Historiker Sebastian Kubon arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg.
Der promovierte Historiker Sebastian Kubon arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg. © Privat

„In der Public History an der Universität Hamburg haben wir ein tolles Game Lab herumstehen, richtig teuer. Das verstaubt jetzt, weil der tolle Kollege, der damit arbeitete, an eine andere Universität gegangen ist, die eine längere Perspektive bot“, sagt Kubon. Das sei die vielleicht „größte Paradoxie unseres Wissenschaftssystems, das ständig Kosten sparen will“, sagt Kubon. „Am Ende wird es durch Regeln wie die des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes eine teure Veranstaltung.“

Protestet vor Hamburger Wissenschaftsbehörde

In Hamburg protestierten gegen befristete Jobs und prekäre Beschäftigung an den Hochschulen im Februar dieses Jahres 30 Vertreter der Mittelbauinitiative und der Initiative TVStud Hamburg – Bündnisse aus Studierenden, Doktoranden, Habilitanden und Lehrbeauftragten – vor der von Katharina Fegebank (Grünen) geführten Wissenschaftsbehörde. Im Anschluss daran hieß es aus der Behörde, man gehe davon aus, dass die kommenden Vereinbarungen zur Grundfinanzierung der Hamburger Hochschulen diesen mehr Geld und Planungssicherheit bringen werden. Dadurch könnten die Hochschulen auch mehr unbefristete Stellen schaffen.

Neun Monate später sind die Zukunftsverträge immer noch nicht abgeschlossen. Im übrigen werden darin keinerlei Zielvorgaben für mehr unbefristete Stellen genannt, wie eine schriftliche kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Stephanie Rose ergab. Auf Abendblatt-Anfrage erklärt die Behörde dazu: „Übergreifend wurde auf Zielvorgaben bewusst verzichtet, weil sich die Situation an den Hochschulen und in den verschiedenen Fachbereichen sehr unterschiedlich darstellt.“ Gleichwohl arbeite die Behörde „gemeinsam mit den Einrichtungen daran, den Anteil der befristet Beschäftigten weiter zu reduzieren“.

Stephanie Rose sagt: „Andere Bundesländer machen uns vor, wie es geht, und haben bereits Zielvorgaben für Dauerstellen in die Verpflichtungserklärung aufgenommen. Hamburg muss hier nachlegen und dazu Vorgaben in die Ziel- und Leistungsvereinbarungen mit den Hochschulen aufnehmen.“ Einen entsprechenden Linken-Antrag lehnten die Regierungsfraktionen von SPD und Grünen in der Bürgerschaft allerdings hab.

Rare Dauerstellen für wissenschaftliche Mitarbeiter

Noch bilden unbefristete Anstellungen im Mittelbau der staatlichen Hamburger Hochschulen den deutlich kleineren Teil der Jobs, wie die Senatsantwort auf Stephanie Roses Anfrage zeigt. Demnach beträgt der Anteil der dauerhaft Beschäftigten unter den wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeitern an der Universität Hamburg 6,2 Prozent bei den Männer und 1,6 Prozent bei den Frauen. An der HAW Hamburg betragen die Anteile der Dauerstellen in dieser Gruppe 38 Prozent (Männer) und 32,4 Prozent (Frauen), an der Technischen Universität Hamburg liegen die Anteile bei 11,4 Prozent (Männer) und 10,5 Prozent (Frauen), an der HafenCity Universität beträgt der Anteil der Dauerstellen unter den wissenschaftlichen und künstlerischen Mitarbeitern 15,3 Prozent bei den Männern und 4,7 Prozent bei den Frauen.