Hamburg. Die rechtsextremistischen Attentäter von Hanau und Halle kamen für die Sicherheitsbehörden quasi aus dem Nichts, weil sie zuvor nicht auffällig waren. Um mögliche Täter zu erkennen, baut man in Hamburg auf die Mithilfe der Bürger.
In Hamburg werden Hinweise auf rechtsextremistische Bestrebungen neuerdings von einer zentralen Stelle des Landeskriminalamts erfasst. Die Anschläge des vergangenen Jahres hätten das enorme Gefahrenpotenzial deutlich gemacht, das besonders von polizeilich zuvor nicht auffällig gewordenen Tätern ausgehen könne, sagte Innensenator Andy Grote (SPD) am Dienstag. Deshalb könnten Bürger, die in ihrem Umfeld Beobachtungen machen, die auf rechtsextremistische Verhaltensweisen und Einstellungen schließen lassen, sich ab sofort an die Zentrale Hinweisaufnahme wenden.
"Es geht nicht darum, zu denunzieren", sagte der Chef des Landeskriminalamtes (LKA), Mirko Streiber. Vielmehr wolle man "schwere Gewalttaten" von der Bevölkerung abwenden. In der Zentralen Hinweisstelle sollen sich fünf Beamte um die Meldungen kümmern und sie dem Gefahrenpotenzial entsprechend kategorisieren. Wochentags seien sie von 8.00 Uhr bis 15.00 Uhr telefonisch zu erreichen, per E-Mail rund um die Uhr. Außerdem wolle man gezielt auf andere Hamburger Behörden und Institutionen wie Vereine und Verbände zugehen, um niedrigschwellig für Hinweise zu möglichen rechtsextremistischen Gefahrenpotenzialen ansprechbar zu sein.
Politisch oder religiös motivierte Extremisten seien auch in Hamburg "aktiver, stärker, militanter und gefährlicher geworden", sagte Grote. Die Bedohung durch islamistischen Terror sei durch die Anschlagsserie der letzten Wochen noch einmal deutlich geworden. Auch zeigten Urteile wie jüngst gegen "die drei von der Parkbank", dass auch von Links mit Anschlägen gerechnet werden müsse. "Die größte Gefahr aber nach wie vor - und da sind sich auch alle Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern einig - für unser freiheitliches demokratisches Gemeinwesen ist der Rechtsextremismus."
Der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, Torsten Voß, machte deutlich, dass rechtsterroristische Bedrohungen weiterhin jederzeit und an jedem Ort entstehen können. Dies gehe aus dem von den norddeutschen Bundesländern gemeinsam erstellten Lagebild hervor.
In Hamburg gehe man von 330 Rechtsextremisten aus, von denen 40 Prozent als gewaltbereit eingestuft würden. Ihre Aktivitäten verlagerten sich zunehmend ins Internet. Zudem gebe es Zusammenhänge zwischen rechtsextremen Strukturen und den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen. "Es gibt Schnittstellen zwischen diesen beiden Systemen und Überschneidungen auch in Hamburg."
Konkret nannte Voß die Hamburger Ableger der "Querdenker", die als rechtsextremistisch eingestuften Organisatoren der "Michel, wach endlich auf"- und ehemals "Merkel muss weg"-Demos und Anhänger des offiziell aufgelösten rechtsextremen AfD-Flügels in Hamburg. "Hier haben wir nach unseren Erkenntnissen Verbindungen feststellen können", sagte der Verfassungsschutzchef.
Der Hamburger AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann warf dem Innensenator vor, einen einseitigen Kampf gegen Rechts zu führen. "Grotes Äußerung - der Rechtsextremismus sei die größte Gefahr für unsere Gesellschaft - ist nicht nur falsch, sondern relativiert die jüngste islamistische Terrorwelle in Europa und Deutschland." Nockemann forderte eine "konsequente Bekämpfung des Islamismus".