Hamburg. Die Aktivistin spricht über die Fehler und Chancen der Stadt – und den Wunsch, eines Tages wieder hier zu leben. Ein Spaziergang.

Luisa Neubauer ist Hamburgerin durch und durch: Die 24 Jahre alte Vertreterin von „Fridays for Future“ wurde in der Hansestadt sozialisiert und mischt sich engagiert ein, wenn es darum geht, wie und wohin sich Hamburg entwickeln soll. Auf Podien oder Demonstrationen, in Hintergrundgesprächen oder bei Aktionswochen­ wirbt sie für die klimaneutrale Stadt. So kam sie gern zum Stadtspaziergang, den der Hamburg-Konvent derzeit mit verschiedenen Experten veranstaltet, um über die Zukunft der Hansestadt zu sprechen.

Luisa Neubauer demonstrierte als Kind gegen Schließung ihrer Grundschule

Wir sind erst wenige Meter unterwegs, da schlägt die Vergangenheit zu, laut und brachial: Unter uns rauscht auf sechs Spuren der Verkehr über die Willy-Brandt-Straße, auf einer Schneise, die die autogerechte Stadt mitten durch Hamburg geschlagen hat. „Hier kann man sehen, dass Städte für Autos konzipiert wurden und Verkehrspolitik für die Autos gemacht wird“, sagt Neubauer. Hamburg benötige aber nicht noch mehr Autos auf den Straßen, sondern die beste Mobilität für alle. „Wenn alle mehr Auto fahren, verlieren wir alle“, sagt die 24-Jährige: „Wie verlieren unsere Mobilität, wir verlieren unsere Lebensqualität, verschmutzen die Luft und stoßen noch mehr Emissionen aus.“

Es geht in die Deichstraße, eine ihrer Lieblingsstraßen in Hamburg, „hier schlägt das Maritime durch“. Wir schlendern vorbei an einem ihrer Lieblingsrestaurants, dem bretonischen Ti Breizh. Neubauer erzählt von früher, wie sie politisch sozialisiert wurde: Als Kind demonstrierte sie gegen die Schließung ihrer Grundschule Iserbrook, mit Erfolg: Die Schule gibt es noch immer. Eine Lehre, dass Engagement lohnt. Mit ihrer Großmutter klebte sie 2010 Plakate für die Primarschule. Das Konzept einer sechsjährigen gemeinsamen Grundschule scheiterte dann im Volksentscheid. „Das ärgert mich bis heute: Ich wollte immer Primarschullehrerin werden“, sagt Neubauer.

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Umbau der Verkehrspolitik in anderen Städten viel mutiger

Im Wettbewerb „Jugend forscht“ gewann sie in der siebten Klasse einen Solarförderpreis. Bald darauf stand an ihrem Marion-Dönhoff-Gymnasium in Blankenese der Treibhauseffekt auf dem Stundenplan. „Das war damals ein Thema wie das Wattenmeer, eine Doppelstunde in Klasse 8, und das war’s. Ich dachte mir damals: Es kann doch wohl nicht wahr sein, dass ein so wichtiges Thema so klein abgehandelt wird.“

In der Oberstufe reiste sie mit ihrer Klasse zur Partnerschule nach Swakopmund. Wochenlang sammelten die Gymnasiasten Geld, sangen Weihnachtslieder in Altersheimen, um den Flug nach Namibia zu finanzieren. Die Reise prägt sie: „Es war unerträglich, diese soziale Spaltung zu sehen. Und wir fühlten Scham als Deutsche“, sagt sie. Ihr Schulleiter riet ihr daraufhin, ihre Erlebnisse aufzuschreiben.

Das Schreiben prägt Neubauer – nach dem Abitur absolvierte sie ein zweimonatiges Praktikum beim Greenpeace-Magazin und geriet in einen Widerspruch. „Über das Klima zu schreiben, aber nichts zu tun, passte mir nicht.“ Sie begann sich für Divestment zu interessieren, eine Bewegung zum finanziellen Ausstieg aus Kohle, Öl oder Gas. „Wenn Städte, Unis, Pensionsfonds aufhören, in klimazerstörende Energien zu investieren.“

Die mögliche Stilllegung des Kraftwerks Moorburg sieht sie positiv. Es sei höchste Zeit, aus der Kohlekraft auszusteigen. „Das ist ein postfaktisches Kraftwerk“, sagt Neubauer. Es erschließt sich ihr nicht, wie man angesichts der Klimadebatte so etwas noch habe bauen können. Dass Moorburg einen besseren Wirkungsgrad erzielt als ältere Kraftwerke, sieht die 24-Jährige nicht als Argument für längere Laufzeiten. „Der Weg hinaus aus den fossilen Brennstoffen verläuft eben nicht linear.“

Neubauer: „Wo sind die ambitionierten Ziele?“

Wir bummeln durch die Speicherstadt („die ist doch toll“) und biegen ab in die HafenCity. „Dieser Stadtteil ist neu konzipiert worden, ist aber ökologisch nicht unproblematisch“, kritisiert sie. Sie vermisst das Grün, Pflanzen, welche die Sommerhitze kühlen könnten. Vor allem aber fehlt ihr der ökologische Ehrgeiz: „Wo sind die ambitionierten Ziele?“ Städte wie die dänische Hauptstadt Kopenhagen, die schon vor zwei Jahrzehnten mit dem Umbau der Verkehrspolitik begann, oder wie Paris, das in Corona-Zeiten umsteuert, seien deutlich mutiger.

Dabei habe Hamburg alle Chancen, eine Modellstadt für Nachhaltigkeit zu werden. „Kaum eine Stadt ist so prädestiniert wie Hamburg. Wir sind weltoffen – nicht nur für Schiffe, sondern für Ideen. Wir sind progressiv und haben das Geld. Und wir kennen die Folgen der Klimaveränderung“, sagt Neubauer. Sie verweist dabei auf die verheerende Sturmflut von 1962, als in Hamburg die Deiche brachen und 315 Menschen starben. „Jedes Zehntel Grad zusätzlicher Erwärmung steigert die Chancen von solchen Fluten signifikant.“

Neubauer bezeichnet sich als „Possibilist“

Wenn das Klima kippt, so schreibt sie in ihrem Buch „Vom Ende der Klimakrise: Eine Geschichte unserer Zukunft“, werde Hamburg im Jahr 2050 kaum wiederzuerkennen sein. Der Satz darin „Auf den Schulhöfen werden sich Kinder im Sommer die Füße verbrennen“, wurde bei Erscheinen des Buches kritisiert, ja verlacht. „Diese Reaktionen fand ich erschreckend. Als Grundlage haben wir einen Klimareport der Stadt Hamburg genommen“, sagt Neubauer. „Die Hansestadt wird in einer eskalierenden Klimakrise leiden.“ Ob durch heiße Sommer, die wachsende Überschwemmungsgefahr, Ernteausfälle oder kippende Ökosysteme.

Neubauer fühlt sich weder als Optimist noch als Pessimist, sondern bezeichnet sich als „Possibilist“: „Was uns antreibt, ist nicht der Glaube, dass alles gut wird, sondern die Überzeugung, dass die Katastrophe nicht unausweichlich und viel Gutes noch machbar ist. Aber wir müssen für Veränderungen kämpfen.“ Das Thema Stadtplanung treibt sie dabei um – ursprünglich wollte sie das Fach studieren, entschied sich dann aber für Geografie. „Wir müssen die städtischen Räume so gestalten, dass Menschen sich wohlfühlen, dass die Städte nachhaltig und zugleich krisenfest sind.“

Das Mitglied der Grünen mahnt mehr politischen Ehrgeiz an: „Wir befinden uns in einer Krise, die uns keine Zeit lässt. Wir müssen die Ressourcen investieren, die nötig sind.“ Wenn mehr Städte den ökologischen Umbau wagten, werde es einfacher. „Da passiert mir aktuell zu wenig. Und wenn ich höre, dass die Hansestadt überlegt, ihr Klimaschutzbudget zu kürzen, ist das für mich völlig unverständlich – auch nach dem Wahlergebnis vom Februar.“

Corona-Pandemie eine Katastrophe für die ökologische Debatte

Als wir Am Kaiserkai entlanglaufen, reagiert Luisa Neubauer irritiert. Für Autos gibt es zwei Streifen, aber einen Fahrradweg sucht man vergeblich. „Warum hat das Auto mehr Platz als das Rad? Wie lange will sich eine Stadt leisten, so viel begrenzten Raum für Fahrzeuge zu reservieren, die 23 Stunden am Tag an der Straße stehen?“ Corona habe gezeigt, wie gut das Fahrrad als Verkehrsmittel ist – für die Gesundheit, die Umwelt und als Symbol für neue Urbanität. „Baut mehr Radwege – und mehr Menschen werden umsteigen.“

Die Pandemie nennt sie eine Katas­trophe – nicht nur für die Gesundheit, sondern auch die ökologische Debatte. „Corona absorbiert viel Energie“, sagt sie. „Die Klimafrage darf nicht verschwinden. Viele Politiker versuchten, die Erderwärmung kleinzureden. „Die Beharrungskräfte sind gigantisch.“

Elbphilharmonie hat etwas von Großmannssucht

Wir passieren die Elbphilharmonie. „Ich bin einmal beim Konzert eines befreundeten Pianisten gewesen“, erzählt die Wahlberlinerin. Prinzipiell sei es eine tolle Idee, etwas für alle zu bauen und in Kunst, Bildung und Musik zu investieren. „Am Ende aber fürchte ich, dass die Elbphilharmonie doch ein elitäres Projekt ist.“ Für sie habe das Konzerthaus etwas von Großmannssucht. „Manchmal glaube ich, Hamburg ist um sein Prestige besorgt.“ So erklärt sie sich auch den Wunsch nach Olympischen Spielen, den sie nicht geteilt hat. „Vielleicht hat Hamburg Komplexe. Dabei hat die Stadt das doch gar nicht nötig.“

An der Alster entlang geht es zurück in die Innenstadt. „Klimapolitik hat was von Segelsetzen – lassen wir uns treiben oder segeln wir?“, sagt die Hamburgerin.

Neubauer: „Meine Großmutter hat mich sehr geprägt“

Derzeit kommt Neubauer wieder häufiger in die Stadt. Sie schreibt mit ihrer Großmutter an einem neuen Buch, das die Brücke vom 20. ins 21. Jahrhundert schlagen will und die großen Themen Krieg und Frieden, Demokratie und Ökologie behandelt. „Der Frieden auf der Welt und der Krieg gegen unsere natürlichen Lebensgrundlagen gehören zusammen“, sagt Neubauer. Sie erzählt gern von ihrer Oma: „Meine Großmutter hat mich sehr geprägt“. Die 87-Jährige engagierte sich, geprägt durch die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, früh in der Anti-AKW-Bewegung und sensibilisierte sie für die Klimafrage. „Ohne sie wäre ich wahrscheinlich heute nicht hier.“

Luisa Neubauer mag ihre Heimatstadt. „Irgendwann möchte ich wieder in Hamburg leben“, verrät sie. Aber es soll kein Hamburg in einer Klimakrise sein: „Die Stadt weiß noch, wie ein Eisvergnügen aussieht, die Jahrhundertflut ist im kollektiven Gedächtnis abgespeichert. Wir sollten endlich handeln.“