Hamburg. Viele Gastronomen kritisieren den Lockdown, erste Hoteliers kündigen Schließungen an. Oberverwaltungsgericht bestätigt Sperrstunde.

Die verschärften Coronamaßnahmen, die in wenigen Tagen in Kraft treten sollen, versetzen ganze Branchen in einen Schockzustand. Restaurants, Hotels, Massagepraxen, Kosmetik- und Fitnessstudios müssen im November schließen. Dabei hatten viele Betreiber gerade erst die Folgen des Lockdowns im Frühjahr überwunden.

Christian Rach: „Ich finde diese Entscheidung dramatisch“

„Die Politik hat ihre Hausaufgaben nicht gemacht und jetzt einen Panik­beschluss gefasst, der an vielen Stellen die Falschen trifft“, sagt Gastronomin Cornelia Poletto. „Ich erkenne da kein Konzept: Schüler sollen in die Schule, dürfen sich am Nachmittag aber nicht treffen, Gottesdienste sind erlaubt, Konzertbesuche nicht.“ Die Gastronomie treffe es zu Unrecht hart, denn dort sei viel Zeit und Geld in sinnvolle Hygienekonzepte gesteckt worden. Auch TV-Koch Christian Rach ist entsetzt über den erneuten Lockdown. „Ich bin zwar nicht direkt betroffen, weil ich keinen eigenen Laden mehr betreibe. Aber ich finde diese Entscheidung dramatisch.“

Es werde eine gesamte Branche stigmatisiert, so der Hamburger. „Dabei gab es nur einige wenige schwarze Schafe, die sich nicht an die Regeln gehalten haben. Die Entscheidung, den Unternehmen 75 Prozent des Umsatzes aus dem November 2019 auszuzahlen, nennt der TV-Koch eine „große Hilfe“. „Aber das muss jetzt schnell und unbürokratisch passieren.“ Sorge bereite ihm auch, dass der ausgesetzte Überschuldungsparagraf vom 1. Januar an wieder in Kraft trete. „Wir werden eine riesige Welle an Insolvenzen sehen, wenn hier nicht noch nachgebessert wird.“ Er mahnt die Politiker: „Wir werden mit dem Virus noch lange leben müssen. Wir müssen einen Weg finden, das auch ohne Lockdown zu tun.“

Neue Aktion: Restaurantgutscheine als Weihnachtsgeschenke

Matthias Gfrörer, Inhaber der Gutsküche in Tangstedt, hatte gehofft, dass seine Branche nicht so hart getroffen werde. „Und nun das. Einen ganzen Monat sollen wir schließen, das ist der absolute Wahnsinn.“ Den Spätsommer über hätten er und seine Kollegen in der Stadt versucht, die Verluste aus dem Frühjahr auszugleichen und das Vertrauen der Gäste wiederzugewinnen. „Das war harte Arbeit. Alle haben reingehauen wie verrückt.“ Stück für Stück seien mehr Gäste in die Restaurants gekommen. Alle hätten sich dabei an die Regeln gehalten. Die Buchungen hätten zugelegt. „Gerade der November ist ein entscheidender Monat für uns“, sagt Gfrörer. Er habe viele Reservierungen. Die müsse er jetzt absagen. Aber er hoffe, dass der eine oder andere Gast einen Gutschein bei ihm kaufe, „um uns in dieser schweren Zeit zu unterstützen“.

Schon im Frühjahr hatten Gutscheine der Branche geholfen. 1400 Restaurants wurden durch die Initiative „pay now, eat later“ bundesweit unterstützt, 400 in Hamburg. Gutscheine im Wert von 1,2 Millionen Euro wurden gekauft. Jetzt hat die Initiative eine neue Aktion gestartet: Unternehmen können ab sofort Restaurantgutscheine als Weihnachtsgeschenke für ihre Beschäftigten erwerben. „Wir konnten bereits zehn mittelständische Unternehmen gewinnen, eine Firma hat schon 1700 Gutscheine bestellt“, berichtet Malte Steiert, Gründer der Initiative.

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Zahlreiche Hotels in Hamburg werden vorübergehend schließen

Erste Hotels kündigten wegen des Lockdowns Konsequenzen an. Vom 2. November an dürfen keine Touristen, sondern nur noch Geschäftsreisende in der Hansestadt übernachten. Das Boutique-Hotel Tortue in den Stadthöfen wird nun zum zweiten Mal seit März schließen. „Ein Notbetrieb für eine Handvoll Geschäftsreisender wäre der sichere Weg in die Pleite“, sagte Geschäftsführer Carsten von der Heide. Die rund 100 Mitarbeiter des 130-Zimmer-Hauses müssen nun wieder in die Kurzarbeit geschickt werden. Erst Ende Juli hatte das Tortue nach dem ersten Lockdown wiedereröffnet. Von der Heide und Co-Geschäftsführer Marc Ciunis schauen mit Sorge in die Zukunft: Die Lage sei diesmal noch weitaus dramatischer als im Frühjahr. „Politisch ist weit und breit kein Konzept erkennbar, das uns Hoffnung auf einen überlebenswichtigen pandemiekonformen Betrieb ab Dezember macht“, so Ciunis.

Nach Angaben einer Sprecherin wird auch die Hamburger DSR Hotel Holding aus „wirtschaftlichen Gründen“ bis auf Weiteres schließen – davon betroffen sind das Luxushotel Louis C. Jacob an der Elbchaussee, das Henri Hotel in der Innenstadt sowie die A-Rosa Resorts in Travemünde und auf Sylt. Nach Abendblatt-Informationen wird es noch zahlreiche weitere Hotels in Hamburg geben, die wegen der neuen Regelung vorübergehend ihren Betrieb aufgeben werden.

St. Pauli-Gastronomen wollen doch nicht klagen

Anders als noch am Mittwoch angekündigt, wollen die Gastronomen auf St. Pauli nun offenbar doch nicht gegen die Schließung im November klagen. „Es geht ja um die Frage, was den Betrieben in der derzeitigen Situation am besten hilft“, sagte Peter Kämmerer, Vorstand der Interessengemeinschaft St. Pauli, die mehrere Hundert Betriebe auf dem Kiez vertritt. Auch wenn der erneute Lockdown die Gastronomen empfindlich treffe, ergehe es ihnen mit der staatlich angekündigten Hilfe noch vergleichsweise gut.

„Wenn man nun dagegen klagt, könnte man zwar im Erfolgsfall wieder öffnen – ein lohnender Betrieb würde aber wegen fehlender Kunden praktisch trotzdem kaum möglich sein“, sagte Kämmerer. In der Schließzeit erhielten die Betroffenen nun mit einer Erstattung von 75 Prozent des Umsatzes im November vergangenen Jahres mehr Geld. Es gelte jedoch dringend dafür zu sorgen, dass auch für Gastronomen, die erst nach dem November 2019 eröffnet haben, eine ausreichende Entschädigung gezahlt werde.

Frederik Braun, der mit seinem Bruder Gerrit das Miniatur Wunderland in Hamburg betreibt, hat die Sofortmaßnahmen der Bundesregierung gelobt und gegen die Kritik verteidigt. Bezogen auf die 75 Prozent Nothilfe sagte Braun: „Welcher Gastronom hätte das denn bitte in diesem November unter aktuellen Bedingungen erwirtschaftet? Und das mit niedrigeren Kosten als 2019. Das ist für viele deutlich mehr, als wenn es keinen Lockdown geben würde.“ Diese Erkenntnis scheint sich in der Branche mehr und mehr durchzusetzen.

OVG: Sperrstunde hat weiterhin Bestand

Unterdessen hat das Hamburger Verwaltungsgericht im Fall einer Gastronomin aus Eimsbüttel die Sperrstundenregelung gekippt. In einem Eilverfahren gab es dem Antrag der Rechtsanwältin Sabine U. Marx statt und setzte die Anordnung für die drei Schankwirtschaften („Raucherkneipen“) ihrer Mandantin aus. Das Gericht folgte der Argumentation der Juristin, dass das Interesse der Gastronomin an einer Berufsausübung dem Versuch der Eindämmung des Infektionsgeschehens überzuordnen sei. Die Sperrstundenregelung sei „im Hinblick auf den zu erwartenden Nutzen und die gravierenden Auswirkungen auch auf eine Vielzahl von sich regelkonform verhaltenden Betreibern von Gaststätten weder erforderlich noch angemessen“, heißt es in dem Gerichtsbeschluss.

Zudem genüge die Stadt „mit der pauschalen Festsetzung einer einheitlichen Sperrstunde für sämtliche Gaststätten in Hamburg“ nicht der „ihr ... weiterhin obliegenden Verpflichtung zu einer differenzierten Risikoeinschätzung unter Berücksichtigung der … existenzbedrohenden wirtschaftlichen Einbußen der Betroffenen.“ Anwältin Marx betont: „Wenn Verordnungen erlassen werden, die die Grundrechte der Bürger einschränken, muss die Verhältnis­mäßigkeit im Fokus bleiben.“ In diesem Fall gehe das Gericht zwar davon aus, dass grundsätzlich eine Sperrstundenregelung erlassen werden könne, es aber auf den Einzelfall ankomme.

Gegen den Beschluss legte die Stadt Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht (OVG) ein. Das OVG gab der Stadt recht und erklärte noch am Donnerstagabend, dass die Sperrstunde weiter Bestand habe. Allerdings ist die Sperrstunde bereits am Montagabend wegen des Lockdowns überholt.