Hamburg. Mehrheit würde für Friedrich Merz als Parteichef stimmen – aber die meisten wünschen sich einen anderen. Problem für Landeschef Ploß?
Es steht ein Elefant im Raum und der heißt Jens. Spahn mit Nachnamen. Auch in der Hamburger CDU hängt der Name des Bundesgesundheitsministers dieser Tage bei Gesprächen über die Zukunft der Partei oft mit in der Luft. Denn viele Mitglieder wünschen sich, dass der 40-Jährige beim Parteitag Anfang Dezember doch noch als Kandidat für den Bundesvorsitz antritt.
Das hat nicht nur damit zu tun, dass er in den Augen der meisten in der Corona-Krise an Format gewonnen hat – sondern auch damit, dass kaum jemand wirklich glücklich ist mit den drei Kandidaten für den CDU-Führungsjob.
Hamburgs Christdemokraten wünschen sich Spahn für Bundesvorsitz
Friedrich Merz polarisiere zu stark und agiere ungeschickt, sagen Hamburger Christdemokraten, Norbert Röttgen sei kein Menschenfänger – und Armin Laschet kommt für viele Hamburger Parteifreunde gar nicht infrage: zu planlos, zu unklar, keine Führungsstärke – so ein verbreitetes Urteil über den Aachener.
„Wenn es auf dem Stimmzettel beim Parteitag eine vierte Spalte mit ‚Ich weiß nicht, ich kann mich nicht entscheiden‘ gäbe, würden dort wahrscheinlich die meisten Kreuze gemacht werden“, sagt der Altonaer CDU-Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg. „Es fehlt vielen Mitgliedern jemand, hinter dem sich alle vorbehaltlos versammeln können.
So einer könnte Jens Spahn sein.“ Die Partei brauche ein „Angebot für alle Strömungen“, so Weinberg. „Ich kann mir vorstellen, dass wir mit einem Parteivorsitzenden Spahn und einem Kanzlerkandidaten Söder 2021 als Union sehr gut fahren würden.“
"Sehr viel Sympathie für ein Zukunfts-Tandem Söder/Spahn"
Nun hat das Wort des ausgewiesenen Parteilinken Weinberg seit seiner historischen Niederlage bei der Bürgerschaftswahl in der Hamburger CDU womöglich nicht mehr das allergrößte Gewicht. Denn mit Christoph Ploß und Dennis Thering werden Partei und Fraktion jetzt von zwei jungen Konservativen geführt. Allerdings war es Fraktionschef Thering selbst, der im Sommer als erster Hamburger CDU-Promi nach Spahn gerufen und das Duo Spahn/Söder ins Gespräch gebracht hatte.
Auch der ebenfalls zu den Konservativen zählende CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries konstatiert jetzt: „Ich spüre bei der Mehrzahl der Bundestagsabgeordneten weder große Lust auf innerparteilichen Wettkampf noch uneingeschränkte Euphorie für einen der offiziellen Kandidaten. Mit Blick auf die Wahlchancen und einen breiten Rückhalt der Union gibt es dagegen sehr viel Sympathie für ein Zukunfts-Tandem Söder/Spahn.“ Offenbar könnten sich also Vertreter aller Lager für Spahn (und Söder) erwärmen.
Herlind Gundelach, lange Jahre Staatsrätin und Senatorin unter Ole von Beust und heute Vorsitzende der Senioren-Union, glaubt ebenfalls, dass der aus dem konservativen Lager kommende Spahn „den christlich-sozialen Flügel mitnehmen könnte“ und den Job des Parteichefs „packen würde“.
Auch Franziska Hoppermann, Chefin der zuletzt leidgeplagten Hamburger Frauen-Union, kann sich „durchaus einen Parteivorsitzenden Jens Spahn vorstellen“. Spahn verbinde „die konservative und progressive Linie sehr gut – bei Merz haben da viele in der Union eher ein Fragezeichen, ob er das könnte“, so Hoppermann. „Merz vertritt im Grunde dieselben Positionen wie vor 20 Jahren. Ich glaube nicht, dass das die Weiterentwicklung ist, die wir als Union jetzt brauchen.“
Duo steht bisher nicht zur Verfügung
Dummerweise steht das von vielen herbeigesehnte Duo bisher nicht zur Verfügung. Spahn hat sich als Vize von Laschet verpflichtet – und Söder hat betont, er wolle in Bayern bleiben. Die Sehnsucht nach einer Alternative zu Merz/Laschet/Röttgen hat aber in Hamburg noch einen anderen Haken: Sie könnte den frisch gekürten neuen CDU-Landeschef Christoph Ploß beschädigen. Denn Ploß hat seit Jahren keine Gelegenheit ausgelassen, sich für den von ihm verehrten Friedrich Merz als neuen Parteichef (und möglichen Kanzlerkandidaten) auszusprechen und Selfies mit seinem Idol zu posten.
Lesen Sie auch:
- Wie der Bundestag kleiner werden soll – und bis wann
- Koalition berät über Wahlrecht - Schäuble: Reform überfällig
- Bundestag aufgebläht: GroKo muss sich beim Wahlrecht schnell einigen
Für Donnerstag der kommenden Woche hat Ploß Merz zu einer Diskussionsveranstaltung ins Elysée eingeladen – die anderen Kandidaten wurden von der Parteiführung nicht nach Hamburg gebeten. Es gebe ja Online-Diskussionen mit allen, so Ploß, der Merz auch in einer liberalen Großstadt für den perfekten Kandidaten hält.
„Er ist weltgewandt, wirtschaftsnah, steht für eine zielgenaue Sozialpolitik, die den Bedürftigen hilft, und er setzt darauf, wichtige Themen wie Migration oder Klimaschutz europäisch zu lösen“, so Ploß. „Das passt sehr gut zu Hamburg.“ Der CDU-Chef weiß bei seinem Votum für Merz wohl drei Viertel der 16 Hamburger Parteitagsdelegierten hinter sich. Kaum jemand aber teilt seine geradezu überbordende Begeisterung für den langjährigen Blackrocker und Privatjetter, der niemals ein Regierungsamt innehatte.
Merz sei „zu forsch“ und polarisiere zu sehr
Merz sei „zu forsch“ und polarisiere zu sehr, sagen Delegierte. Das bediene nach jahrelanger GroKo zwar die Sehnsucht nach klarer Kante – sei allerdings für Wähler der Mitte womöglich nicht durchweg attraktiv. Bekanntlich müsse der Wurm dem Fisch schmecken und nicht dem Angler.
Andere kreiden Merz „aus der Zeit gefallene handwerkliche Fehler“ an, oder „dass er zuletzt keinen Fettnapf stehen lassen hat“ – etwa als er Homosexualität indirekt mit Pädophilie in Verbindung brachte oder den Eindruck erweckte, als halte er Menschen, die wegen der Corona-Krise ihre Jobs verloren hätten oder in Kurzarbeit seien, für faul. Viele Delegierte stehen – anders als Parteichef Ploß – denn wohl nur hinter Merz, weil Spahn nicht antritt.
„Merz ist ein sehr guter Kandidat, für den ich mich ausspreche, sofern Jens Spahn nicht seinen Hut in den Ring wirft“, sagt Innenpolitiker Dennis Gladiator. „Sonst wäre Spahn mein Favorit. Klar wäre auch Söder ein guter Kanzlerkandidat.“ Der konservative Chef der Jungen Union (JU), Philipp Heißner, will sich noch nicht festlegen – denn die JU organisiert eine bundesweite Online-Mitgliederbefragung. Deren Hamburger Ergebnis werde für ihn der „gewichtigste Faktor bei der Abstimmung“, so Heißner.
Fraktionschef Thering macht bis heute keinen Hehl aus seinen Zweifeln an Merz. Gleichwohl werde er für den 64-Jährigen stimmen, so Thering – „da Jens Spahn aktuell nicht kandidiert“. Es würde „dann auch in Hamburg eine sehr klare Mehrheit unter den Delegierten für Merz geben“. Offenbar will Thering seinen Buddy, den frisch gekürten Landeschef Ploß, nicht düpieren. Immerhin hat der ihn gerade zum möglichen Bürgermeisterkandidaten 2025 ausgerufen.
„Die Hamburger CDU hat einen Rechtsdrift absolviert“
Für Politikwissenschaftler Elmar Wiesendahl spiegelt die große, wenngleich zähneknirschende Zustimmung für Merz die jüngste Entwicklung wider. „Die Hamburger CDU hat einen deutlichen Rechtsdrift absolviert“, so Wiesendahl. „Es gibt keinen Großstadtliberalen mehr in der Führung. Die Bürgermeisterkandidatur von Marcus Weinberg war der Versuch, die Partei zu verbreitern, aber das ist missglückt. Nun hat eine Crew die Führung übernommen, die nicht mehr die Partei als Ganze repräsentiert.“
Mit Ploß und Thering gebe es „einen konservativen Doppelkopf“, so Wiesendahl. „Die neue Führung passt damit nicht zum volksparteilichen Selbstverständnis der Union.“ Es werde „nur noch das Wirtschaftsliberale und gesellschaftspolitisch Konservative abgebildet“. Damit fehle „nicht nur Großstadtliberalität, sondern auch die Teilhabe von Frauen und der christlich-soziale Flügel“, so Wiesendahl. Aus dieser Konstellation erkläre sich die klare Neigung zu Merz. „Denn der repräsentiert genau dies: Wirtschaftsliberalität und gesellschaftspolitischen Konservatismus.“
Dass der Elefant im Raum sich vor dem Parteitag noch bewegt und das Dilemma auflöst, glaubt der Hamburger Politikwissenschaftler nicht. „Jens Spahn macht eine gute Figur als Gesundheitsminister und ist innerparteilich wohlgelitten“, so Wiesendahl. „Wenn er nun die Absprache mit Laschet brechen würde, dürfte das große Abwehrreflexe auslösen. Er ist jung und hat Zeit – und daher keinen Grund, sich jetzt auf so ein Vabanquespiel einzulassen.“
Das sehen auch prominente Hamburger Christdemokraten so. Die einzige Chance sei es, dass Laschet selbst zurückziehe und Spahn freigebe. Manche würden ihn bereits in diese Richtung bearbeiten, sagt ein Delegierter. „Falls er den Weg für Spahn frei macht, wird eine Hurrawelle durch die Partei gehen.“