Hamburg. Senatorin Melanie Leonhard sagt ja, Hausärzte und Apotheker widersprechen. Warum das Impfen in Corona-Zeiten besonders wichtig ist.
Empfohlen, aber eher unbeliebt – das galt in den vergangenen Jahren für die Grippeschutzimpfung. Doch in diesem Herbst zeigt sich ein anderes Bild: Die Hamburger Hausärzte haben bisher ungefähr 50 Prozent mehr Dosen des Vierfachwirkstoffs gegen Influenza-Viren verimpft als im Vorjahr, wie der Hamburger Hausärzteverband auf Abendblatt-Anfrage mitteilte. „Die Impfwilligen kommen drei bis vier Wochen eher“, hieß es. Auffällig ist, dass unter den ersten Impfwilligen in der Hansestadt nicht nur Risikopatienten waren, sondern auch etliche Menschen ohne Indikation für eine Grippeschutzimpfung, wie die Vorsitzende des Hausärzteverbands, Dr. Jana Husemann, sagte.
So eindeutig die starke Nachfrage ist – umstritten war am Dienstag hingegen, ob es dadurch zu Lieferengpässen gekommen ist. Sozial- und Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard (SPD) erklärte zunächst im Rathaus, ihre Behörde habe die Liefersituation zum Beginn des Herbstes abgefragt. „In Hamburg sieht es gegenwärtig gut aus“, sagte Leonhard. Zwar könne sie nicht genau sagen, welcher Anteil der bundesweit 26 Millionen verfügbaren Grippe-Impfdosen in den Hamburger Vorrat geflossen sei, da sich die Ärzte unabhängig bevorrateten. Es gebe „in der ein oder anderen Praxis auch schon einen guten Zulauf auf Impfdosen“, da seien „auch mal Nachbestellungen erforderlich“, sagte die Senatorin. „Aber wir sind noch in keiner Situation, dass wir von einer Impfstoffknappheit sprechen.“
Viele impfwillige Hamburger sollten sich den Impfstoff selbst besorgen
Das konnte Dr. Jana Husemann nicht bestätigen. „Viele Praxen haben noch ein bisschen Impfstoff, aber der größte Teil der ersten Lieferung ist verbraucht“, sagte die Vorsitzende des Hausärzteverbands. Es sei „nicht klar, ob es am Ende für jeden reichen wird, der eine Grippeimpfung haben möchte“.
Dass der Grippe-Impfstoff knapp geworden sein könnte, hatten impfwillige Hamburger in den vergangenen Tagen erfahren: Häufig waren sie von Hausärzten gebeten worden, den Impfstoff selbst zu besorgen. Bei Privatpatienten ist das ohnehin zumeist der Fall. So klapperten sie Apotheken ab, um sich Impfstoff zu sichern. Mittlerweile zeigten sich die Folgen, sagte der Präsident der Apothekerkammer, Kai-Peter Siemsen. „Sowohl in den allermeisten Arztpraxen als auch Apotheken ist derzeit kein aktueller Grippe-Impfstoff vorrätig.“
Die nächste Auslieferungswelle sei den Apotheken für Ende Oktober, Anfang November angekündigt worden, sagte Siemsen. Nach Abendblatt-Informationen haben Hamburger Arztpraxen bereits in den vergangenen Wochen Alarm geschlagen.
Risikopatienten werden bevorzugt geimpft
Die Gesundheitsbehörde blieb auf Anfrage bei ihrer Einschätzung. „Wir haben das noch einmal geprüft und können bekräftigen, dass es in Hamburg keinen Impfstoffmangel gibt“, teilte eine Sprecherin der Behörde mit. Möglich seien „lokal zeitliche Lieferverzögerungen aufgrund der starken Nachfrage“. Melanie Leonhard habe sich bei Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) „rückversichert, dass grundsätzlich genügend Impfstoff beschafft“ worden sei.
Hamburg: Leonhard informiert über Grippeimpfung und Corona
Auch wenn es aktuell in Hamburg einen Engpass bei Grippe-Impfstoffen geben sollte – ein Grund zur Besorgnis ist das nach Meinung von Jana Husemann nicht. „Die Arztpraxen sorgen dafür, dass Risikopatienten bevorzugt geimpft werden“, sagte die Vorsitzende des Hausärzteverbandes. Alle anderen Menschen, die eine Grippeimpfung wünschen, könnten sich von ihrem Hausarzt beraten lassen, ob dies wirklich nötig sei.
Überlastung von Krankenhäusern vermeiden
Dr. Pedram Emami, Präsident der Hamburger Ärztekammer, geht davon aus, dass nach der nächsten Impfstofflieferung in den kommenden Wochen noch rechtzeitig vor einer erhöhten Influenza-Aktivität viele weitere Patienten gegen Grippe geimpft werden können, für die eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) vorliegt: Menschen ab 60 Jahren, chronisch Kranke jeden Alters, auch Kinder mit Grunderkrankungen, Schwangere ab der zwölften Schwangerschaftswoche sowie medizinisches und pflegerisches Personal. Insbesondere für ältere Menschen und Risikopatienten gelte: „Nehmen Sie die Grippe nicht auf die leichte Schulter“, sagte Emami.
Die Grippe sei eine ernst zu nehmende Viruserkrankung der Atmungsorgane, die zu gefährlichen Komplikationen führen könne.
Emami wies im Rathaus gemeinsam mit Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard darauf hin, dass die Grippeschutzimpfung für Risikopatienten in Zeiten der Corona-Pandemie besonders wichtig sei. Es müsse vermieden werden, dass es zu einem starken Anstieg von Grippefällen mit schweren Verläufen und Covid-19-Erkrankungen komme, weil dies zu einer Überlastung von Krankenhäusern, Arztpraxen und Laboren führen könne.
Wann soll man impfen und wie lange hält die Grippe-Impfung an?
Eine Grippe-Impfung könne eine Doppelinfektion mit Influenzaviren und Sars-CoV-2 verhindern oder den Verlauf einer Grippe mildern. Dem Abendblatt sagte Emami: Junge und fitte Menschen sollten sich an die Hygiene-Regeln halten. Sie seien eher selten von schweren Verläufen einer Grippe-Erkrankung betroffen
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Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Grippeschutzimpfung für jene, die laut STIKO geimpft werden sollten. Alle anderen Hamburger müssten bei ihrer Kasse um eine Auskunft zur Kostenübernahme bitten, teilte die Gesundheitsbehörde mit.
In Ärztekreisen wird darauf hingewiesen, dass man nicht zu früh impfen sollte, um den Schutz nicht zu verlieren, wenn die Grippewelle wie üblich erst nach Januar/Februar Richtung Hamburg schwappt. Doch Apothekerkammer-Präsident Siemsen sagte dem Abendblatt: „Der jährliche Grippeimpfstoff ist so ausgelegt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen die Virus-Stämme immunisiert, die im aktuellen Jahr vorkommen.“ Der neue Vierfach-Impfstoff wirke nur eine Wintersaison. Es gebe oft die Empfehlung, sich erst im November impfen zu lassen.
Siemsen: „Grob kann man sagen, dass die Immunisierung gerade bei älteren Patienten mit der Zeit nachlässt. Daher empfehlen viele Ärzte auch gerade älteren Patienten sich erst im November impfen zu lassen, um dann im Januar, Februar, wenn oft die Grippewellen durchs Land ziehen, noch eine ausreichende Immunisierung zu haben. Aber auch andere Faktoren beeinflussen das individuelle Immunsystem und können nur durch den behandelnden Arzt fachlich korrekt eingeschätzt werden.“