Hamburg. Trotz Corona gastiert der Zirkus Frank in Lurup. Die Zukunft der Artisten ist ungewiss. Ein Blick hinter die Kulissen.

In der Manege tanzt der Clown. Furios. Als der rücklings auf dem Boden strampelnde Spaßmacher den Mann mit dem gestreiften Rock neben ihm „Mama“ nennt, hält es den jungen Teil des Publikums kaum noch auf den Holzbänken. Und als sich dann noch drei Kinderclowns in das Tohuwabohu einmischen, Pfeifen trillern und Erwachsene wie Tölpel stolpern, ist die Begeisterung enorm. Später sorgt ein Feuerschlucker, fantasievoll illuminiert, für gespanntes Schweigen.

Diese Welt der Kontraste lebt. Trotz Corona. Der Zirkus Frank, das wird am Sonnabendnachmittag klar, braucht weder Hightech-Tricks noch exotische Tierdressuren, um zu begeistern. Charme und Klasse des traditionsreichen Familienunternehmens mit Wurzeln in Norddeutschland reichen, um Groß wie Klein in den Bann zu ziehen.

Joschi Frank mimt einen der Clowns

Der Duft von Popcorn und Sägespänen macht den Reiz aus. Musik erklingt nicht digital: Zirkusdirektor Joschi beherrscht Schlagzeug und Trompete virtuos. Jeder, der hier arbeitet, muss ein Tausendsassa sein. „Jetzt kommt der Höhepunkt“, verkündet eine Stimme nach der ersten Stunde Spielzeit. Fanfare, Trommelwirbel, Scheinwerferflackern. Sodann betritt ein kleiner Junge das Rund, mit einem Schild vor dem Bauch: „Pause“.

Nummern wie diese kommen an. Mundschutz auf, hinaus an die frische Luft. Auf dem Rasenplatz an der Ecke Luruper Hauptstraße/Rugenbarg ist noch bis 8. November der Zirkus los: von Mittwoch bis Freitag um 16.30 Uhr, am Wochenende täglich zweimal.

Wie kann das Familienunternehmen in der Corona-Zeit wirtschaftlich überleben?

Joschi Frank, gemeinsam mit seinem Schwager Patrick Sperlich in siebter Generation in der Chefrolle, mimt einen der Clowns: Gesicht weiß geschminkt, goldfarbene Pluderhose. Nicht nur die Kleinen machten große Augen. Zeit zum Abschminken ist in der Pause nicht. „Komm, wir trinken einen Kaffee im Wohnwagen“, sagt der 28 Jahre alte Direktor. Da man einen Clown irgendwie nicht siezen kann, sind wir rasch beim Du. Oben an der Treppe bitte Schuhe ausziehen – und rein in die gute Stube.

Tatsächlich macht das großformatige Fahrzeug seiner Bezeichnung Wohnwagen alle Ehre: viel Platz, gemütliche Sitzecke, Polstersessel, großes Fernsehgerät. Nebenan, separat, Bad und Schlafzimmer. Und bevor wir bei Spaß, Lebensfreude, Extravaganz und Tradition weitermachen, kommt ein ernstes Thema auf den Kaffeetisch. Wie kann ein Familienunternehmen in aktueller Corona-Zeit wirtschaftlich überleben? Wie verliefen die vergangenen Monate?

Die Zukunft des Zirkus' hängt von der Corona-Entwicklung ab

Der Clown blickt ernst. Anfang März, zu Beginn einer Gastspielserie in Langenhorn, sei der Abpfiff erfolgt. Corona. Dabei schafft das Frühjahr sonst den stärksten Umsatz und Polster für die Wintersaison. Nach fast vier Monaten Zwangspause, am 26. Juni, sei der Betrieb allmählich wieder angelaufen: Grevesmühle, Lübeck, Kaltenkirchen, jetzt ein Monat Hamburg-Lurup.

Und dann? Wer weiß? Vielleicht Siek in Schleswig-Holstein? Hängt alles von der Corona-Entwicklung ab. Zwar konnten die beiden 18-Tonnen-Lkw, fünf Anhänger, zwei große und fünf kleinere Wohnwagen sowie die neuen Zeltplanen aus ersparten Eigenmitteln finanziert werden, doch liefen Kleinkredite, Versicherungen, Lebenshaltungskosten weiter. Auch dank staatlicher Corona-Hilfe wurde eine Insolvenz verhindert. „Zuschüsse wie bei Theatern erhalten wird nicht“, sagt Joschi Frank. Weil die rund 500 Zirkusse hierzulande, praktisch allesamt Familienbetriebe, nicht als „Kulturgut“ gewertet werden – im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern.

Hin und wieder spenden befreundete Landwirte Heuballen und Stroh für die zwei mitreisenden Pferde und fünf Ponys. An Haustüren werden keine Spenden gesammelt. Weil die Franks und Sperlichs, seit Generationen Zirkusbetreiber, in ihren Wohnwagen kommod leben, entfallen Mietzahlungen.

Es dürfen derzeit nur 120 Karten pro Vorstellung verkauft werden

Früher quartierte man sich in Hallen oder Freiflächen im Großraum Hamburg ein; seit dem Jahr 2000 wird auf einem angemieteten Platz in Wittenburg im Landkreis Ludwigslust Winterquartier bezogen. Wegen des Hygienekonzepts dürfen 120 Karten für das eigentlich 400 Besucher fassende, beheizbare Zelt mit 20 Metern Durchmesser verkauft werden.

Tickets kosten für Kinder zwischen 11 und 19 Euro, für Erwachsene zwischen 13 und 23 Euro. Sonntags haben Väter nach telefonischer Reservierung freien Eintritt in den Zirkus.

Erst bei vielen Gästen rechnet sich der Aufwand

Joschi Frank trinkt noch einen Schluck Kaffee. Die Pause ist vorbei, er muss zurück ins Rund. Jeder packt mit an, jeder ist an den Darbietungen in der Manege beteiligt. Auch für Evangeline, Angelique und Joschi Franks zweijährige Tochter mit dem Spitznamen „Erbse“, ist das die normalste Sache der Zirkuswelt. Übermütig trainiert sie im elterlichen Wohnwagen Purzelbäume und Pirouetten. Von 16 Personen, die an diesem Nachmittag auftreten, gehören 13 zur Familie. Und die Hälfte sind Kinder.

Wahrscheinlich ist die Begeisterung des Publikums gerade deswegen so groß: Die Lütten erkennen sich in den Artisten und Akrobaten wieder. Mit 120 Personen ist der Zirkus – soweit momentan möglich – voll besetzt. Die Kehrseite des Zirkuslebens bemerken diese Gäste nicht mehr: Die Abendvorstellung am Sonnabend um 18.30 muss ausfallen. Leider. Wenn weniger als 40 Personen Eintritt zahlen, rechnet sich die Gala nicht. Fast alle Kartenkäufer zeigen Verständnis. Am Donnerstag geht der Spaß von vorne los. Hoffentlich.