Hamburg. Fallzahlen steigen wieder stark an, in einigen Bereichen um bis zu 160 Prozent. Neue Dienststelle soll Trend umkehren.
Es ist das wohl größte Problemfeld der Polizei: In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Betrugsfälle in Hamburg stark gestiegen, vor allem im Internet haben die Täter meist sehr leichtes Spiel. Nach exklusiven Abendblatt-Informationen gab es nach dem Corona-Lockdown jüngst einen weiteren, teilweise krassen Anstieg.
Polizei: Neue Dienststelle wegen Anstieg von Betrugsfällen
Eine neue Dienststelle mit rund 140 Beamten soll das Blatt aus Sicht der Polizei nun wenden. Vertreter der Kripobeamten sprechen jedoch von einer ganzen Reihe weiterer Baustellen.
Die Ermittler stehen bislang einer wahren Flut von Fällen gegenüber. Allein in der Zeit von Anfang Mai bis Anfang September wurden knapp 10.400 Taten angezeigt. Das ist eine Steigerung von 13,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Hamburg: Zahl an Trickbetrügen sei "explodiert"
Geradezu „explodiert“ ist dabei der Trickbetrug. Hier registrierte die Polizei seit dem Ende des Lockdowns 1884 Taten. Das ist eine Steigerung von rund 160 Prozent. Aber auch der Betrug im Zusammenhang mit Arbeitsverhältnissen ist um knapp 120 Prozent auf 140 Taten gestiegen – ebenso wie erneut der die Zahl der Warenkreditbetrügereien, also etwa Bestellungen auf fremden Namen im Internet.
Rund 2200 Fälle wurden nach Ende des Lockdowns bei der Polizei angezeigt, ein Plus von 5,3 Prozent. Weil diese Art von Betrügereien bequem vom Computer aus begangen werden kann und viele Händler im Internet kaum Schutzmechanismen haben, waren die Fallzahlen auch während der harten Corona-Einschränkungen im Frühjahr weiter angestiegen.
Polizei: Taten im Internet sind Herausforderung
Die Polizei betont auf Anfrage, dass die Zahl der Betrugsfälle in der letztjährigen Gesamtstatistik um 7,6 Prozent zurückgegangen war. Gleichwohl stellten vor allem die Taten im Internet eine Herausforderung da.
„Parallel zu der fortschreitenden digitalen Transformation und dem konstanten Wachstum nehmen auch die Tatgelegenheiten für Betrugsdelikte mit dem Tatmittel Internet zu, und die Methoden der Betrüger werden professioneller“, sagte der Polizeisprecher Holger Vehren.
Die Verlagerung der Kriminalität ins Internet wirke sich auch auf die Aufklärungsquote aus, die beim Betrug im Jahr 2019 von 55 auf 51 Prozent gesunken war.
"LKA 1 Betrug" soll vergebliche Ermittlungen verhindern
Ab 1. Oktober nimmt nun die neue Dienststelle „LKA 1 Betrug“ unter der Leitung des Kriminaloberrates Stefan Kramp ihre Arbeit auf, wie die Polizei gegenüber dem Abendblatt bestätigte. Neben erfahrenen Sachbearbeitern aus dem bisherigen Betrugsdezernat sollen auch frische Absolventen der Polizeiakademie zu den knapp 140 Ermittlern gehören.
Die neue Struktur dient aus Sicht der Polizei einem doppelten Ziel: Zusammenhänge zwischen Fällen besser zu erkennen, aber auch Doppelarbeit und vergebliche Ermittlungen zu verhindern.
Ähnliche Maschen bei Trickbetrug an Haustür
Künftig werden demnach die Verfahren nach dem Eingang betrachtet und in verschiedene Kategorien eingeteilt. Mehr als 35 verschiedene Betrugsphänomene sind der Polizei bekannt - dabei gibt es stark ähnliche Maschen, etwa Trickbetrug an der Haustür als angebliche Handwerker oder Polizisten.
In der neuen Dienststelle gibt es zudem Regionalgruppen, um etwa Tatserien in bestimmten Vierteln besser zu erkennen.
Keine Erfolg versprechenden Ansätze bei Ermittlungen zu Internetbetrug
Die Polizei macht jedoch auch seit Langem kaum einen Hehl daraus, dass es in vielen Fällen – und gerade bei Internetbetrügerein – von vornherein praktisch keine Erfolg versprechenden Ansätze für die Ermittler gibt.
Der frühere LKA-Chef Frank-Martin Heise sprach hierbei von 20 Prozent aller Fälle, ehe sein Nachfolger Mirko Streiber das Projekt der neuen Dienststelle übernahm. Diese Verfahren sollen schneller erledigt werden, dazu gibt es seit 2019 auch eine Absprache mit der Staatsanwaltschaft. Zudem liegt ein Augenmerk darauf, „ressourcenschonend“ zu arbeiten.
Dass Fälle wie in der Vergangenheit zu Tausenden zurückgestellt werden mussten, soll es nicht mehr geben.
Strafverfolgung soll effizienter und effektiver werden
Laut dem Polizeisprecher würden „tragfähige Strukturen geschaffen, um die Strafverfolgung effizienter und effektiver zu gestalten“. Für den Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) sind die Defizite aber weiterhin groß. Hinter den Kulissen gab es lange Streit um die Personalzumessung für die neue Dienststelle – der BDK kritisiert, dass etwa durch Teilzeit weitaus weniger Beamte an den Fällen arbeiten als auf dem Papier stehe.
Wohl „aus Angst vor der Wahrheit“ habe Innensenator Andy Grote (SPD) jedoch eine Erfassung der tatsächlichen Personalstärke blockiert. „Es ist richtig, kommt aber viel zu spät, dem Betrug strukturell mehr entgegenzusetzen“, so der BDK-Landeschef Jan Reinecke.
Zudem stünden die technischen Defizite bei der Ausstattung der Polizei einer schnelleren Ermittlungsarbeit und Fahndungserfolgen direkt im Weg. „Auf die Auswertung von Datenträgern müssen die Kollegen mindestens neun Monate warten“, so Reinecke. „Das bleibt ein Nadelöhr, gegen das auch eine neue Dienststelle nicht hilft.“
Einrichtung der Dienststelle dauerte ein Jahr
Die Polizei nannte technische Kniffe der Täter, ihre Identität im Internet zu verschleiern, eine „besondere Herausforderung“. Dieser werde jedoch auch projektbezogen bereits begegnet.
Zu der Frage, warum die Einrichtung der Dienststelle mehr als ein Jahr gedauert hat, verwies der Sprecher Vehren auf den „Erörterungs- und Abstimmungsprozess“, der zur Erfassung des Personals und der Arbeitsbelastung nötig gewesen sei. Das nun gefundene System solle zunächst für ein Jahr erprobt werden.